von Jürgen Flatken

Kirchenkritiker Eugen Drewermann fordert Rückbesinnung auf das Vorbild Jesu

Die Kirche soll die Menschen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen, sagte der 80-jährige Theologe am Freitagabend bei einem Gesprächsabend mit dem Essener Generalvikar Klaus Pfeffer in der Mülheimer Bistumsakademie „Die Wolfsburg“.

Der katholische Theologe und Psychoanalytiker Eugen Drewermann hat in der Mülheimer Bistums-Akademie „Die Wolfsburg“ eine Lanze dafür gebrochen, sich am Leben Jesu zu orientieren. „Für Jesus steht einzig der Mensch im Mittelpunkt seiner Verkündigung“, erklärte der große Kritiker der katholischen Kirche und der lehramtlichen Theologie am Freitag, 10. September, vor vollem Haus bei dem Diskussionsabend „Religion ist ein Ort von Hoffnung“. Drewermann wird nicht müde, immer wieder zu kritisieren, dass das Gottesbild der herkömmlichen christlichen Theologie den „Enttäuschungs-Atheismus“ befördert.

„Es wurde höchste Zeit, dass wir Sie als Gast in unserem Bistum und der Akademie begrüßen dürfen“, sagte Klaus Pfeffer, Generalvikar des Bistums Essen, unter großem Applaus. „Dass, was heute so selbstverständlich ist, war früher undenkbar und hätte für große Aufregung gesorgt“, warf der Generalvikar einen Blick zurück in eine Zeit, in der „das freie Wort in der Kirche, eine offene Auseinandersetzung in Glaubensfragen oft schwierig war“. 1991 hatte der damalige Paderborner Erzbischof Joachim Degenhardt dem wortgewaltigen Kirchenrebell Drewermann die Predigt- und Lehrbefugnis entzogen.

„Doch diese Zeiten gehen zu Ende“, freute sich der Generalvikar, der als junger Student von Gedanken Drewermanns durchaus fasziniert war. „Ihre Art, sich mit biblischen Texten auseinanderzusetzen und zu fragen, was Jesus für uns Menschen ganz konkret bedeutet, war für viele Menschen und auch für mich eine große Bereicherung auf dem Weg der eigenen Glaubensentwicklung.“ Die Einladung ins Bistum Essen, so der Generalvikar, sei auch ein Ausdruck der Wertschätzung für das Lebenswerk des 80-jährigen Theologen.

Drewermann fragt nach dem Nutzen der Religion

„Wozu soll die Religion nutzen?“, fragte Drewermann zu Beginn seines Vortrags. Angesichts von Naturkatastrophen und politischer Willkür flehten die Menschen Gott um Gnade für sich und ihre Liebsten an. „Doch dann stirbt der Mann doch, oder das Haus wird zerstört und der Schrei dringt zum Himmel, wie Gott das zulassen kann. Diese Art der Verzweckung Gottes muss in einem Enttäuschungs-Atheismus münden“, sagte Drewermann – eben weil diese Frage keine Beantwortung in dem Weltbild finde, das die Kirche lehrt. Es mache also keinen Unterschied, ob man betet oder nicht. Rumms, das saß – und die Zuhörerinnen und Zuhörer bekamen eine Ahnung davon, wie wirkmächtig Drewermann als Professor auf seine Studierenden ausgestrahlt haben muss. Das Auditorium in der „Wolfsburg“ hing an seinen Lippen, an den Lippen eines 80-Jährigen.

Gott hilft, das Leben zu bestehen

Die Kirchen schafften es nicht mehr, die Frohe Botschaft so zu vermitteln, dass Menschen heute wie zur Zeit Jesu erkennen, „dass das Neue Testament etwas zu sagen hat, das unser Leben entscheidend von Angst in Vertrauen, von Verzweiflung in Hoffnung, von Aggression in Güte verwandeln könnte“. Gott sei kein Wunscherfüller. Also, warum sollte man dennoch beten? Als Kind hatte Drewermann gelernt, „Wo ich gehe, wo ich stehe, bist du, oh Gott, bei mir.“ Ein Schlüssel zur Maxime seines Glaubens: „Gott bewahrt uns vor gar nichts. Aber er hilft uns, all das, was uns im Leben widerfährt, durchzustehen.“

Jesus habe am Abend seiner Verhaftung in Getsemani Gott angefleht, ihm den Kelch des „grausamen Todes am Kreuz“ zu ersparen. „,Aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe`, sagt Jesus am Schluss. Gott erhört ihn, indem er alles geschehen lässt“, doziert Drewermann. „Er schickt Jesus aber einen Engel, um ihn zu stärken und es durchzustehen.“ Das Vertrauen und der Glaube an den liebenden Gott habe Jesus alles ertragen lassen.

Kritik an der „Verzweckung“ der Menschen

„Wir leben in einer Gesellschaft, in der es heißt: Streng dich an“, fährt Drewermann fort. Nur die Leistung zähle. Das bekämen schon die kleinen Kinder eingeimpft. „Wofür bist du also nutze“, stellt er eine Frage in den Raum. „Zur Sicherung des Industriestandortes Deutschland. Nützlich muss der Mensch sein. Darum geht es. Um das Produzieren und das Konsumieren. Der Mensch wird verzweckt. Ist austauschbar.“ Knallhart beantwortet der Theologe seine Frage gleich selbst. Dem Verzwecken hält Drewermann die Formel des Philosophen Immanuel Kant entgegen, aus der „der Mensch als Zweck an sich selbst und nicht als Mittel zum Zweck existiert“.

„Schau dich doch um in der Welt“, fordert er die Teilnehmenden eindrücklich auf. „Nirgendwo respektiert man dich als Zweck aus dir selbst.“ Sich anzustrengen, ein stilles, produktives Rädchen im Räderwerk des Kapitalismus zu sein, dass sei die menschliche Bestimmung. „Wie wäre es, wenn wir dem etwas entgegensetzen?“ Den Menschen in das Zentrum des Interesses stellten, ihn als Individuum wahrnähmen. „Darum sollte sich die Seelsorge kümmern. Jesus schaut ja auch zuerst auf den Menschen und akzeptiert ihn so, wie er ist. Gott stellt im neuen Bund keine Bedingungen.“ Jesus stehe vorbehaltlos im Namen Gottes an der Seite der Menschen. Dass rät Drewermann auch der katholischen Kirche, der er „ritualisiertes Gehabe“ bescheinigt, „um aus dem Desaster, in dem sie sich gerade befindet, wieder herauszufinden“. Die von Gott gemeinte Religion, „ist eingeschrieben einzig in unser Herz“.

Neuanfang der Kirche müsse auf „Vergebung“ beruhen“

Daher müsse das Gerede über den strafenden Gott ein Ende haben. Es gehe vielmehr um den Wert des Menschen an sich. Und das Wort, das der Mensch zum Leben benötige, laute: Vergebung. „Wenn es einen Neuanfang in der Kirche geben kann, dann beruht der auf diesem Wort“, betont der 80-Jährige. „Wer die Botschaft Jesu verstehen möchte, muss dieses Wort verstehen und anwenden.“

Die Kirche behaupte, an der Seite der Armen und Hilfsbedürftigen zu sein. „Nichts als ritualisierte Floskeln ohne Inhalt“, schimpft Drewermann. So gehe Glaubwürdigkeit verloren. Jesus habe Gesetze gebrochen, um für die Menschen da zu sein. „Dazu gehört Mut. Und die Orientierung am Beispiel Jesu: sich den Menschen zuwenden, ihn verstehen wollen, milde und sanft zu ihm sein, wie Jesus selber es war. Dann wird das Herz berührt.“ Und wenn die Kirche heute mehr sein wolle, als das Relikt einer längst vergangenen Epoche, dann müsse sie den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Verkündigung stellen, wie Jesus es getan habe.

„Die Institution Kirche, so wie wir sie kennen, in der wir groß geworden sind, scheint an ein Ende zu kommen“, äußert sich ein nachdenklicher, aber nicht resignierter Generalvikar am Ende der Veranstaltung. Denn jetzt bestünde „die große Chance“, der eigentlichen Frage nachzugehen: „Was ist es, was dieser Jesus in uns berührt und anrührt? Was bedeutet er uns eigentlich? Was glauben wir? Über diese Frage sprechen wir in unserer Kirche viel zu wenig“, führt Pfeffer aus. „Der heutige Abend war ein gutes Beispiel dafür, wie faszinierend es sein kann, wenn man sich intensiv mit den Worten und Taten Jesu auseinandersetzt.“

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