von Cordula Spangenberg

Kirche kann von Change-Prozessen der Wirtschaft lernen

Projektgruppen im Bistum Essen trafen sich mit Experten zum Klausurtag in der „Wolfsburg“. Ihr Auftrag: Tiefgreifende Veränderungsvorschläge für die Kirche vor Ort entwickeln.

Derzeit arbeiten vier Projektgruppen an konkreten Handlungsempfehlungen für die Kirche im Bistum Essen

Auf einem Klausurtag in der „Wolfsburg“ informierten die Beteiligten sich über organisationstheoretische und theologische Hintergründe

Am 19. September 2020 werden die Vorschläge auf einem Forum rund um den Essener Dom öffentlich diskutiert

Segnung homosexueller Partnerschaften, Priesterweihe verheirateter Männer, Machtverzicht des Bischofs, Frauen im Verkündigungsdienst – die Türen zur Neuausrichtung der Kirche sind noch nicht ganz geschlossen, sofern man es kirchenrechtlich geschickt angeht. Mit dieser Botschaft ermutigte der münstersche Kirchenrechtler Prof. Thomas Schüller am Freitag, 28. Februar 2020, in der Mülheimer Akademie „Die Wolfsburg“ die Teilnehmer der vier Projektgruppen, die seit September vergangenen Jahres konkrete Handlungsempfehlungen für die Kirche im Bistum Essen entwickeln. Die Themen in Essen sind dieselben wie die des „Synodalen Weges“ der deutschen Kirche: Sexualmoral, Priesteramt, Gewaltenteilung, Geschlechtergerechtigkeit. Derzeit werden für das Bistum Essen von „Kirchen-Profis“ Empfehlungen erarbeitet; für den 19. September 2020 ist ein öffentliches Forum rund um den Essener Dom zum Thema geplant. Der Auftrag in den Worten von Generalvikar Klaus Pfeffer: „Was können wir hier im Bistum mit unseren Möglichkeiten ändern?“

Thomas Schüller: Bischöfe sollten Änderungen zu fünft oder zehnt angehen

Kirchenrechtler Schüller glaubt zwar einerseits, dass nach dem päpstlichen Schreiben „Querida Amazonia“ die Tür geschlossen ist zu Veränderungen, die nur der Vatikan anstoßen kann, allem voran das Weiheamt für Frauen. Dennoch könne ein Bischof Liturgien und damit auch Segnungsfeiern für homosexuelle Paare in seiner Diözese festlegen, sofern das Benediktionale – verbindliches Segensbuch der katholischen Kirche – nichts anderes regelt. Zur Weihe verheirateter Männer könne der Diözesan-Bischof in Rom einen Antrag auf Dispens stellen – wenn kein Einwand komme, weihe er gültig, so Schüller. Jedem Bischof stehe es auch frei, sich verbindlich an den Rat eines Laien-Gremiums zu binden und damit auf ein alleiniges Entscheidungsrecht verzichten. Gegen Frauen als Mitglieder des Domkapitels gebe es keine grundsätzlichen kirchenrechtlichen Einwände. Und auf die jüngsten päpstlichen Einlassungen über Frauen als „erste Empfängerinnen des Wortes Jesu nach seiner Auferstehung“ könne man sich berufen, um Frauen das Verkündigungsamt im Gottesdienst zu übertragen, sagte Schüller. Taufen, Eheschließungs-Assistenzen, alle Segnungshandlungen sowie die Verkündigung würden in Ländern mit hohem Priestermangel längst von Frauen übernommen. Allerdings empfiehlt Schüller den Bischöfen, solche Grundsatzfragen in Deutschland nicht isoliert, sondern zu fünft oder zehnt gemeinsam anzugehen: „Seien Sie mutig! Wir wissen nicht, wie schnell die Tür wieder zu ist.“

Rudolf Wimmer: Die Kirche steckt mit ihrem Selbstbild in einer vormodernen Welt

Wie die nötigen Energien innerhalb der Kirche mobilisiert werden können, um einen kräftezehrenden und verunsichernden Change-Prozess umzusetzen, erklärte den Reformern aus dem Bistum Essen Prof. Rudolph Wimmer, graue Eminenz in Fragen der Organisationsentwicklung mit Forschungsschwerpunkten in Witten und Wien. Die Kirche stecke mit ihrem Selbstbild offenbar noch in einer vormodernen Welt. Ihr Hauptproblem: „Führung ist eine hochkomplexe Aufgabe und in Ihrer Organisation unterrepräsentiert“ – sie sei von Seelsorgern nicht so einfach zu stemmen.

Die Energie für Veränderungen müssten die Mitarbeitenden liefern. Den innerkirchlichen Widerstand und das Festhalten am Status Quo kennt Wimmer aus der Wirtschaft: Dann werde oft ein externer Berater eingekauft, der als Einzelner den Chance-Prozess befeuern soll, während Mitarbeitende und Führungskräfte sich weiterhin mit Routinen und den operativen Tagesaufgaben beschäftigten. So könne das nicht funktionieren, sagt Wimmer. Seine Alternative: Einerseits müssten die Akteure sich gemeinsam darauf verständigen, wovon sie sich verabschieden wollen. Andererseits müsse ein gemeinsames Zukunftsbild entworfen werden: „Wo wollen wir hin?“

Rainer Bucher: Der Priester als heiliger, unberührbarer, mächtiger Mann – das ist vorbei

Für die Essener Projektgruppe, die sich mit dem Selbstverständnis des Weiheamtes beschäftigt, warf Prof. Rainer Bucher aus Graz aus pastoraltheologischer Sicht einen Blick auf die Rolle des Priesters: Bis Mitte des 20. Jahrhunderts noch der heilige, unberührbare, mit massiver Amtsmacht ausgestattete Mann, dessen Einfluss gegenüber dem einzelnen Gläubigen bis zu den Praktiken im Ehebett reichte. „Das ist jetzt vorbei“, sagte Bucher. Denn die Menschen würden heute einerseits viel raffinierter vom Spätkapitalismus gesteuert. Andererseits fragten sie aufgrund größerer individueller Freiheiten die Religion nur noch dann an, wenn sie sich einen Nutzen versprächen. Die moralische Doppelbödigkeit, wie sie in der Missbrauchsstudie zutage getreten sei, beschädige zusätzlich die Autorität des Weiheamtes. Dennoch sieht Bucher wichtige Aufgaben für das Weihepriestertum: „Priester sind dazu da, dass sie ahnen, was Gott mit den Menschen vorhat. Durch die institutionelle Struktur der Kirche werden sie daran gehindert.“

Stephan Goertz: Moderne Menschen lieben autonom

Der Projektgruppe des Bistums Essen, die sich mit Sexuellen Identitäten und Sexualmoral beschäftigt, gab Stephan Goertz, Mainzer Professor für Moraltheologie, mit auf den Weg in die Bestandsaufnahme: „Wer voll auf die traditionelle Geschlechterordnung setzt, wird Schwierigkeiten bekommen, weil diese Ordnung längst ins Wanken geraten ist.“ Ein moderner Mensch, der seine Liebesbeziehung in Autonomie, Verantwortung und gegenseitiger Wertschätzung lebe, lasse sich nicht von der Religion einer Sozialordnung unterwerfen, die Gott zugeschrieben und von der Kirche kontrolliert werde. „Natürlich kann man sich als religiöse Gruppe auch darüber identifizieren, ‚anders‘ zu sein als die Gesellschaft. Aber dann verliert man an Relevanz“, sagte Goertz.

Agnes Wuckelt: Wer steht eigentlich vor der Tür, wer dahinter?

Die Tür zum Weiheamt für Frauen sieht auch Agnes Wuckelt derzeit geschlossen: „Alle Argumente sind durchdiskutiert.“ Die emeritierte Professorin für Religionspädagogik an der Katholischen Hochschule NRW in Paderborn, heute aktiv im Bundesvorsitz der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), liest jedoch nach wie vor in den Evangelien Passagen, die zum Frauenamt ermutigen, wenn auch in den Briefen des Neuen Testaments bereits Tendenzen zu finden sind, Frauen unterzuordnen und zu belehren. Doch die Frage bleibe: „Wer steht eigentlich vor der Tür, wer dahinter?“

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