von Maria Kindler

Katholischer Militärbischof: Militärseelsorge ist und bleibt unverzichtbar

Ob in der Bundeswehr, der Polizei oder im Justizvollzug: Seelsorge für Menschen in spezifischen Berufen und speziellen Lebenssituationen muss sich an gesellschaftliche Veränderungen, an die Folgen sicherheitspolitischer Entwicklungen, an eine wachsende religiöse Vielfalt und auch an eine Zunahme von Konfessionslosigkeit anpassen. Rund 80 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Kirche, Politik und Verwaltung haben bei den Essener Gesprächen am 17. und 18. März in der Wolfsburg in Mülheim über die vielfältigen aktuellen Herausforderungen und den rechtlichen Rahmen für die sogenannte kategoriale Seelsorge diskutiert.

Die Militärseelsorge steht angesichts wachsender internationaler Spannungen und einer veränderten sicherheitspolitischen Lage sowie aufgrund einer zunehmenden Säkularisierung und Pluralisierung der Gesellschaft vor großen Herausforderungen, bleibt aber ein unverzichtbarer und integraler Bestandteil der Bundeswehr. Das betonte der Katholische Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr und Essener Bischof, Franz-Josef Overbeck, bei den 60. Essener Gesprächen zum Thema Staat und Kirche in der Bistumsakademie Die Wolfsburg in Mülheim.

INFO: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche

Die Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche haben sich seit ihren Anfängen zu einem europaweit anerkannten überkonfessionell und interdisziplinär ausgerichteten wissenschaftlichen Fachkongress entwickelt, bei dem aktuelle Fragen zum Verhältnis von Staat und Kirche erörtert werden. Die Dokumentationsbände finden seit Jahren in Rechtsprechung und Fachliteratur Beachtung und werden in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zitiert.

Immer im Frühjahr lädt der Bischof von Essen zu den Essener Gesprächen in die Wolfsburg ein. Die 61. Essener Gespräche werden sich am 16. und 17. März 2026 unter anderem mit verfassungsstaatliche Erwartungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften beschäftigen. Geleitet wird der Fachkongress seit 2018 von dem Leipziger Staats- und Verfassungsrechtler Prof. Dr. Arnd Uhle.

Bei der renommierten Fachtagung, die in Verantwortung der Wolfsburg durchgeführt wird, diskutierten am Montag und Dienstag (17. + 18. März) rund 80 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik, Kirche und Verwaltung unter dem Titel Kategoriale Seelsorge – Rechtlicher Rahmen und aktuelle Herausforderungen. Die kategoriale Seelsorge, zu der etwa die Militär-, Krankenhaus-, Polizei- und Gefängnisseelsorge zählen, wendet sich an Menschen in besonderen Lebens- und Berufssituationen, die mit der allgemeinen Seelsorge kaum zu erreichen sind.

In seinem gut einstündigen Vortrag unterstrich Overbeck, dass die Militärseelsorge innerhalb der militärischen Hierarchie einen geschützten Raum biete, in dem persönliche Nöte, Zweifel und ethische Dilemmata ausgesprochen werden könnten. Damit erfülle sie nicht nur einen „fürsorgerischen Auftrag“, sie trage auch dem verfassungsrechtlich verbürgten Recht der Soldaten auf freie Religionsausübung Rechnung. „Als ‚Brücke‘ zwischen Staat und Kirche verbindet sie die staatliche Sicherheitsverantwortung mit den Werten und dem Beistand der Religionsgemeinschaften.“ Zugleich berühre die Militärseelsorge einen „sensiblen Schnittpunkt von Staat und Kirche“.

Overbeck skizzierte die veränderten Rahmenbedingungen, die auf die Verfasstheit und Gestalt der Militärseelsorge ausstrahlen:

Gesellschaftliche Diversität verlangt Erweiterung der Seelsorgeangebote

Die zunehmende Pluralisierung und Säkularisierung der Truppe stelle eine Herausforderung für die Militärseelsorge dar, da inzwischen fast die Hälfte der Soldatinnen und Soldaten keiner der großen Kirchen angehörten. Zudem seien rund 3000 Soldaten Muslime und etwa 300 jüdischen Glaubens. Dies erfordere eine Erweiterung des seelsorglichen Angebots. Die Seelsorge sei aber trotz dieser Veränderungen auch von nicht christlichen Soldatinnen und Soldaten hoch akzeptiert und werde bei ethischen und persönlichen Fragestellungen in Anspruch genommen.

Diskussionen fordern ständige Selbstlegitimation und -überprüfung

Der Militärbischof führte weiter aus, dass es trotz einer grundsätzlich breiten Akzeptanz immer wieder Kontroversen über die rechtliche Zulässigkeit und Ausgestaltung der Militärseelsorge gebe. Die Rechtsprechung bestätige, dass staatlich organisierte und finanzierte Seelsorge mit dem Neutralitätsprinzip vereinbar sei, solange keine religiöse Bevormundung erfolge. Hier zeige die jahrzehntelange Praxis, dass die Kooperation zwischen Kirche und Staat in der Militärseelsorge konfliktfrei verlaufe.

Im Spannungsfeld zwischen Friedensethik und Soldatenberuf

Als eine weitere Herausforderung nannte Overbeck die ethisch-theologische Vergewisserung. Die Militärseelsorge bewege sich in einem Spannungsfeld zwischen Friedensethik und soldatischem Dienst. Ihre Aufgabe sei es, Gewissenskonflikte und ethische Dilemmata anzusprechen, um reflektiertes und verantwortungsbewusstes Handeln zu fördern. Damit leiste sie einen wesentlichen Beitrag zur ethischen Orientierung der Streitkräfte in einer demokratischen Gesellschaft, sagte Overbeck.

Veränderte sicherheitspolitische Lage erhöht psychische Belastung

INFO: Kategoriale Seelsorge

Als kategoriale Seelsorge wird eine Form der Seelsorge bezeichnet, die sich nicht an eine bestimmte Pfarrei oder Gemeinde richtet, sondern an Menschen in speziellen Lebens- und Berufssituationen. Zur kategorialen Seelsorge zählen unter anderem die:

  • Militärseelsorge (für Soldatinnen und Soldaten)
  • Gefängnisseelsorge (für Inhaftierte und Justizvollzugsbeamte)
  • Polizeiseelsorge (für Polizistinnen und Polizisten)
  • Krankenhausseelsorge (für Patientinnen und Patienten sowie Krankenhauspersonal)
  • Notfallseelsorge (für Menschen in akuten Krisen- oder Extremsituationen etwa nach Katastrophen)
  • Schulseelsorge (für Schülerinnen und Schüler).

Daneben stelle auch die veränderte sicherheitspolitische Lage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine die Bundeswehr vor neue Herausforderungen, die auch die Militärseelsorge unmittelbar beträfen. „Die reale Möglichkeit eines militärischen Konflikts an der NATO-Ostflanke führt zu einer erhöhten psychischen Belastung für Soldatinnen und Soldaten sowie deren Familien“, sagte Overbeck. Die Militärseelsorge müsse darauf reagieren, um Resilienz zu stärken, moralische Orientierung zu bieten und seelsorgliche Begleitung auch in Extremsituationen sicherzustellen.

Lebenskundlicher Unterricht als wichtiger Teil des Bildungsauftrags

Ein zentrales Instrument der ethischen Bildung in der Bundeswehr ist laut Overbeck der sogenannte Lebenskundliche Unterricht, den Militärseelsorger erteilen. Dieser sei aber kein Religionsunterricht, sondern ein wertorientierter und überkonfessionell ausgerichteter Unterricht zur Persönlichkeitsbildung der Soldaten, bei dem ethische, psychologische und lebenspraktische Themen behandelt würden. Seine Bedeutung liege nicht nur in der individuellen Orientierung für die Soldaten, sondern auch in der Stärkung eines reflektierten, wertegeleiteten Selbstverständnisses innerhalb der Streitkräfte.

Historische Entwicklung – Militärseelsorge hat lange Tradition

Zu Beginn seines Vortrags hatte Overbeck zunächst die historische Entwicklung der Militärseelsorge nachgezeichnet – von ihren Anfängen im 17. Jahrhundert über die Neuordnung nach 1945 bis in die Gegenwart, in der die Begleitung von Auslandseinsätzen mit Beginn der 1990er Jahre zu einem dauerhaften Aufgabenfeld geworden ist.

Bereits während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) hätten die Kirchen Geistliche für die Soldaten gestellt. Mit der Gründung der Bundeswehr 1956 wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die Militärseelsorge neu strukturiert: Geistliche blieben staatlich finanziert, wurden aber bewusst außerhalb der militärischen Befehlskette gestellt und trugen – anders als vor 1945 – keine Uniform mehr, etwas, das die deutsche Militärseelsorge bis heute von vielen anderen Ländern unterscheidet.

Verfassungsrechtliche Grundlagen der Militärseelsorge

Als „Bürger in Uniform“ behielten Soldatinnen und Soldaten alle ihre Grundrechte, insbesondere die Religionsfreiheit, führte Overbeck aus. Daraus leite sich das Recht auf Gottesdienst und Seelsorge auch im Militär ab. „Die Militärseelsorge ist folglich verfassungsrechtlich legitimiert als Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, um die freie Religionsausübung in der Bundeswehr praktisch zu ermöglichen“, sagte der Militärbischof. Wichtig sei dabei die „partnerschaftliche Trennung von Zuständigkeiten“: Der Staat sorge für Organisation und Finanzierung, nehme aber keinen Einfluss auf den Inhalt der Seelsorge, für die die Kirchen verantwortlich seien.

Militärseelsorger gehörten organisatorisch zur Bundeswehrverwaltung, seien aber kirchlich beauftragt und unterstünden nicht der militärischen Befehlsgewalt, unterstrich Overbeck. Neben dem Militärsorgevertrag von 1957 für die evangelische Kirche basiert die katholische Militärseelsorge auf dem Reichskonkordat von 1933 und späteren Vereinbarungen. Seit 2019 gibt es zudem einen Staatsvertrag zur Einrichtung einer jüdischen Militärseelsorge.

Overbeck: Militärseelsorge ist integraler Bestandteil unserer Streitkräfte

INFO: Die Referierenden 2025

Zu den Referierenden der Fachtagung gehörten in diesem Jahr außerdem der Bonner Soziologe Prof. Dr. Clemens Albrecht,
der Pastoraltheologe Prof. Dr. Bernd Hillebrand aus Graz,
der Staatskirchen- und Kirchenrechtler Prof. Dr. Michael Germann aus Halle,
der Staatsrechtler Prof. Dr. Markus Heintzen aus Berlin,
der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Stephan Rixen aus Köln,
der Tübinger Strafrechtswissenschaftler und Kriminologe Prof. Dr. Jörg Kinzig und der Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, Prof. Dr. Henning Radtke.

Die historische Verwurzelung der Militärseelsorge und ihre verfassungsrechtliche Verankerung machten deutlich, dass sie kein Fremdkörper, sondern integraler Bestandteil der Streitkräfte sei – und zwar aus gutem Grund: „Soldatinnen und Soldaten üben einen Beruf aus, der sie in Grenzsituationen führen kann, physisch wie moralisch. Sie verdienen es, dass der Staat ihnen nicht nur Waffen und Ausbildung gibt, sondern auch für ihre seelische Fürsorge sorgt“, sagte Overbeck.

Die aktuellen Herausforderungen seien beträchtlich, aber sie zeigten auch, dass die Militärseelsorge bereit sei, sich darauf einzustellen und Antworten zu finden. „Dabei kann sie auf ein stabiles Fundament bauen: die Kooperation von Staat und Kirche, die in Deutschland ausbalanciert und bewährt ist, und die Bereitschaft der Gesellschaft, den Soldaten jene Unterstützung zu geben, die über das Materielle hinausgeht“, sagte Overbeck.

Fazit: Militärseelsorge ist „notwendiger Teil einer modernen Armee“

Im 21. Jahrhundert, in dem wir technisch immer weiter fortschritten, bliebe doch eines gleich: „Der Mensch hat eine Seele und ein Gewissen, die nicht weniger Pflege brauchen als der Körper und der Verstand. Die Militärseelsorge ist die Institution, die sich genau darum kümmert – unabhängig, vertraulich und den Grundwerten verpflichtet. Sie ist daher kein Luxus, sondern ein notwendiger Teil einer modernen Armee in einer freiheitlichen Demokratie“, schloss Overbeck seine Ausführungen.

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