Internationale Verantwortung mit humanitärer Perspektive

Über Deutschlands Rolle in der internationalen Friedenspolitik hat Ruhrbischof Overbeck in der Akademie "Die Wolfsburg" mit Rupert Neudeck, Ruprecht Polenz und der Duisburger Friedensforscherin Janet Kursawe diskutiert.

Diskussion über Friedenspolitik in der Akademie „Die Wolfsburg“

Die Frage der Bedeutung regionaler Krisen für die Weltpolitik stand am Donnerstag, 18. Juni, im Mittelpunkt der Diskussion „Regionale Konflikte – Globale Verantwortung“ in der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim. Vom oft bemühten Begriff der „neuen deutschen Verantwortung“ sprach Janet Kursawe vom Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen in ihrem Eingangsstatement, in dem sie das Friedensgutachten 2015 vorstellte, das das Institut gemeinsam mit vier weiteren Friedensforschungseinrichtungen herausgibt. In dem Bericht plädieren Kursawe und ihre Forschungskollegen dafür, dass Deutschland mehr Verantwortung in internationalen Konflikten übernehmen müsse, diese aber gleichzeitig mit einer Verpflichtung zum Frieden verbinden solle. Es sei zu hinterfragen, inwieweit militärische Maßnahmen überhaupt geeignete Mittel außenpolitischer Handlungen seien. Diese sollten daher, so Kursawe, auf humanitäre Einsätze beschränkt werden.

Dass Deutschland durchaus bereits eine solche Verantwortung übernimmt, unterstrich Franz-Josef Overbeck, der nicht nur Bischof von Essen, sondern auch Militärbischof ist. Als Beispiel führte Overbeck die Bemühungen Deutschlands an, in Afghanistan Lehrer und Polizisten auszubilden, um den Frieden fördernde Strukturen zu schaffen. „Hier hat in den letzten Jahren ein Lernprozess stattgefunden, der in anderen Ländern so häufig nicht zu erkennen ist“, erklärte der Bischof.

Vor- und Nachteile von Sanktionen

Über Konfliktlösungsstrategien diskutierten die Gesprächspartner vor allem auch im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise teils kontrovers. Während das Friedensgutachten in diesem Konflikt Sanktionen gegen Russland nicht als geeignetes Mittel für die Lösung der Krise sieht und stattdessen auf das Potential gegenseitiger Anerkennung für eine Begegnung der Konfliktparteien auf Augenhöhe verweist, wies Rupert Neudeck, Gründer von „Cap Anamur“, auf die Wirksamkeit von Sanktionen in anderen Zusammenhängen hin. Sei ein militärischer Weg ausgeschlossen, blieben Sanktionen ein geeignetes Mittel, eine Konfliktlösung zu erreichen.

Krim-Annexion als „Zeitenwende“

Als Zeitenwende bezeichnete Ruprecht Polenz, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, die Annexion der Krim durch Russland. Hier sei eine neue Dimension der Konfrontation mit Russland erreicht. „Die Frage ist nicht, wie wir einen Krieg in Europa verhindern können, denn faktisch haben wir diesen Krieg bereits. Die Frage ist vielmehr, wie wir ihn beenden können“, so Polenz weiter. Dafür seien Entschlossenheit und Geschlossenheit in der Europäischen Union unverzichtbar. Diese Position unterstrich auch Bischof Overbeck. Er plädierte für eine Kooperation zwischen Russland und der Europäischen Union, wo immer diese möglich sei, unterstrich aber auch die Notwendigkeit, Grenzen einer solchen Kooperation aufzuzeigen.

Neudeck sieht Fortschritte in der Friedenspolitik

Neudeck machte am Beispiel des Ukraine-Konflikts noch einmal deutlich, wie sehr sich die Außenpolitik in den letzten Jahren geändert hat. Statt militärischer Eingriffe stehe schon heute das Bemühen um friedliche Lösungen im Fokus. „Zu erleben, dass die Welt nicht den klassischen militärischen Weg geht, sondern verhandelt, ist ein großes Zeichen dafür, dass wir in der Realisierung von Friedensintentionen in der Politik sehr viel weiter gekommen sind“, so Neudeck.

Zurückhaltung im Nahen Osten

Die Podiumsgäste widmeten sich mit der Situation in Syrien und im Irak auch einer zweiten Konfliktlinie. Hier empfiehlt das Friedensgutachten eine weniger starke Einmischung westlicher Mächte. Statt eine Konfliktpartei zu unterstützen könne Zurückhaltung zu einer Entspannung des Konflikts beitragen. „Der Islamische Staat wird seine Legitimation unter Beweis stellen müssen. Das wird schwieriger, wenn seine Position nicht durch kriegerische Eingriffe befeuert wird“, erläuterte Janet Kursawe. Gleichzeitig forderte sie auch hier, den Fokus auf humanitäre Unterstützung zu legen, beispielsweise durch die Einrichtung von Schutzzonen für verfolgte Bevölkerungsgruppen oder die Versorgung der Menschen über Luftbrücken.

Neudeck: "Verpasste Chancen"

Von verpassten Chancen sprach Neudeck in diesem Zusammenhang. „Vor dem Auftreten des Phänomens Islamischer Staat hätten westliche Kräfte die Möglichkeit gehabt, die vorhandene Selbstverwaltung zu stärken und zu unterstützen. Stattdessen verengten sich die Handlungen auf die Frage ‚Geben wir Waffen oder nicht?‘“. Bischof Overbeck unterstrich diese Erkenntnisse. In seinem Bericht über Begegnungen mit dem Erzbischof von Mossul schilderte er die verzweifelte Situation der Christen im Irak. Es sei klar, dass diese nie wieder in ihre Heimat zurückkehren könnten. Hätte man von Anfang an diese Gruppe unterstützt und geschützt, hätte es nicht zu dieser Situation kommen müssen, so Overbeck. Vor diesem Hintergrund plädierte der Bischof für eine Intervention mit klarer humanitärer Perspektive. (lk)

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