von Michael Kreuzfelder

„Ich will bei einem guten Start helfen“

Sprache ist der Schlüssel zur Integration. In mehr als 100 Sprachkursen helfen Ehrenamtliche Flüchtlingen beim Deutschlernen.

Tör, Tür oder Tär – kreuzen Sie an! Abdulhalim Fares (52) greift zum Stift, strahlt sein umwerfendes Lächeln und entscheidet sich ganz souverän für Nummer zwei: Tür. Dabei hat er in seiner Heimat nie lesen und schreiben gelernt. Das holt der Kurde, der aus Syrien geflohen ist, jetzt in Bottrop nach. Er kommt jeden Dienstag zum Sprachtraining für Flüchtlinge in die Geschäftsstelle der Caritas an der Pfarrstraße. Dort gibt Alicja Szkatula, eine junge Studentin, Deutschunterricht. Unterrichten, das hat sie zwar nie gelernt, macht es aber gerne und mit Bravour. Und zwar ehrenamtlich.

Szkatula ist eine von vielen Freiwilligen, die in einem der mehr als 100 Sprachkurse der Caritas im Ruhrgebiet Flüchtlingen beim Sprach-Start helfen. Und zwar ganz unterschiedlich mit Kursen für Alphabetisierung, für Anfänger, junge Leute oder Schnell-Lerner. Allein in Bottrop gibt es derzeit acht Trainings - 90 Minuten, einmal in der Woche. Dabei können Flüchtlinge die ersten Wörter lernen, bevor später der offizielle Integrationskurs anfängt. „Auf diese Kurse müssen Asylbewerber oft monatelang warten. Wir wollen die Zeit nutzen. Denn die meisten möchten lernen und nicht nur untätig herumsitzen. Sie wissen, dass Integration nur funktioniert, wenn sie auch die Sprache des Landes sprechen“, sagt Bettina Beusing, Fachberaterin für Integration und Migration bei der Caritas Bottrop.

Die Studentin Alicja ist eine von 20 Ehrenamtlichen der Caritas Bottrop; darunter sind pensionierte Lehrer, junge Leute oder Migranten, die schon länger in Deutschland leben. Ihre Familie hat selbst einen Migrationshintergrund. Ihr Vater ist aus Polen geflüchtet, hat oft von der ersten Zeit in Deutschland erzählt, als er in einer Notunterkunft lebte, die Sprache nicht beherrschte. „Er hat immer sehr positiv davon gesprochen. Auch wenn anfangs nicht alles so war, wie er es sich erträumte.“ Tochter Alicja ist in Bottrop geboren, in Boy, einem Stadtteil mit hohem Ausländeranteil, aufgewachsen. Die junge Frau, die perfekt Deutsch und Polnisch spricht, studiert in Düsseldorf Sozialarbeit, muss gerade für die letzte Prüfung pauken. Dennoch findet sie die Zeit, Deutschunterricht zu geben. „Es macht total viel Spaß. Und es einfach schön, zu sehen, wie die Leute Fortschritte machen“, sagt sie.

So wie Abdulhalim Fares, der zwar nie das arabische Alphabet gelernt hat, aber mittlerweile das lateinische Alphabet kennt. Sorgfältig schreibt er Buchstabe für Buchstabe in ein Heft mit einer dreiteiligen Lineatur, wie es Grundschüler benutzen. Gerade geht es um das Wort Ampel. „Wo wohnt das P?“, fragt die Sprachtrainerin mit Blick auf sein Heft. „Ach ja, im Keller“, sagt Herr Fares beinahe entschuldigend und zieht den Buchstaben noch ein Stück weiter nach unten. Man spricht sich im Kurs übrigens mit Sie und Nachnamen an. „Damit die Teilnehmer wissen, dass man in Deutschland nicht gleich jeden duzt“, sagt Alicja Szkatula.

Die Schüler erfahren vom Sprachtraining meist bei der Beratung, die die Caritas und andere Sozialverbände Asylbewerbern anbieten. Sie kommen aus Syrien, dem Irak, aus Eritrea und aus den Balkanstaaten; überwiegend sind es Männer. „Viele Frauen haben kleine Kinder, um die sie sich kümmern müssen“, weiß Bettina Beusing. Außerdem entspreche es ihrem traditionellen Rollenverständnis, den Männern den Vortritt zu lassen.

Man ist inzwischen beim C angekommen. „C wie Clown“, versucht Alexander Triffterer (25) zu erklären. Achselzucken. Er versucht es mit C wie Computer. Alles klar, das kommt an. Der junge Bottroper ist Goldschmied. Er hat mit seinem Chef ausgehandelt, seine Arbeitszeit dienstags nach hinten zu verschieben, damit er zum Sprachkurs gehen kann. „Ich will ein kleines Stück dazu beitragen, dass die Leute einen guten Start in Deutschland haben“, sagt Alexander Triffterer. Im Alltag hat er keinen Kontakt zu Flüchtlingen, das Sprachtraining sei eine gute Gelegenheit für ihn, sich mit der Situation der Zuwanderung auseinanderzusetzen und Menschen aus einem fremden Kulturkreis kennenzulernen.

D wie Dach. „Satteldach“, ergänzt Abdulhalim Fares und verblüfft die Sprachtrainer mit seinen Detailkenntnissen - was den Mann, der in Syrien Herrenkleidung verkauft hat, sichtlich mit Stolz erfüllt.

Die Teilnehmer lernen nach dem Heft „Deutschkurs für Asylbewerber“. Da geht es um elementare Dinge wie Begrüßung, Wochentage, Einkaufen. Aber auch in die Details der deutschen Mülltrennung – Gelbe Tonne, Papiermüll, Restmüll – werden die Flüchtlinge eingeweiht. Die Bundeskanzlerin tritt übrigens ebenfalls in Erscheinung, im Kapitel Kopf: Haare, Augen, Mund, Nase. „Wer ist das?“, fragt die Lehrerin und deutet lachend auf das Foto. „Angela Merkel“, sagt Alhusain Majd, ohne eine Sekunde zu zögern. Diese Frau kenne in Syrien jeder.

Die Hefte und anderes Lernmaterial werden aus dem Flüchtlingsfonds des Bistums Essen bezahlt. 500.000 Euro sind im Topf, 5000 Euro stehen der Bottroper Caritas in diesem Jahr zur Verfügung. Einige Sprachschüler lernen privat mit Sprach-Apps weiter, darunter auch ein paar „Umas“, unbegleitete minderjährige Ausländer. Die jungen Leute machen schnell Fortschritte - bei entsprechender Motivation. Einige der Jugendlichen stecken mitten in der Pubertät und kommen nicht aus dem Bett raus, andere sind von der Flucht sehr erschöpft, sie brauchen Zeit, sich zu erholen.

Der Familiennachzug ist das Problem, das viele Asylbewerber, die alleine geflohen sind, am meisten beschäftigt. Alicja hat es schon erlebt, dass erwachsene Männer den Tränen nahe sind, wenn sie von ihren Kinder erzählen, die sie im Kriegsgebiet zurücklassen mussten.

Abdulhalim Fares ist sehr froh, dass es seine ganze Großfamilie nach Deutschland geschafft hat: Seine Ehefrau, die fünf Kinder im Alter von zehn bis 25 Jahren, die Eltern und andere Verwandte. Der älteste Sohn arbeitet mittlerweile sogar im Freiwilligendienst beim Sozialamt Bottrop. Er kann sich bereits recht gut verständigen. Wenn der Vater nicht weiterkommt, ruft er ihn per Handy an - zum Übersetzen.

Für Alicja Szkatula hat sich ihr ehrenamtliches Engagement auch persönlich gelohnt. Nach Abschluss ihres Studiums beginnt sie als Fachberaterin für Integration und Migration bei der Caritas in Bottrop. Zu ihrem Aufgabengebiet gehört dann auch die Koordination ehrenamtlicher Arbeit – da kennt sie sich ja bereits bestens aus. „Das ist ein Glücksfall für uns. Es gibt so gut wie keine Sozialarbeiter mehr auf dem Markt. Wir sind froh, dass wir jemanden gefunden haben, der die Praxis kennt, und von dem wir wissen, dass er engagiert ist“, freut sich ihre künftige Chefin Bettina Beusing. (Text: GB/mik)

Zahlen

·        In Bottrop leben derzeit 1.661 Flüchtlinge, davon 542 Minderjährige (Kinder und Jugendliche)

·        Ehrenamtliche der Caritas bieten im Ruhrgebiet mehr als 100 Sprachkurse an: Bochum (41), Duisburg (17), Ennepe-Ruhr (4), Essen (25), Gelsenkirchen (5), Gladbeck (5), Mülheim (5). Häufig geschieht dies in Kooperationen etwa mit der Diakonie oder Katholischen Bildungsstätten.

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