von Jürgen Flatken

„Ich habe mich nicht entschieden, schwul zu sein“

Im vierten und letzten Teil der Bistums-Serie: „Bleiben! Was Menschen in der Kirche hält“ berichtet ein homosexueller Mann über seinen Weg in und mit der Kirche und warum er trotz Verletzungen an ihr festhält.

Serie „Bleiben! Was Menschen in der Kirche hält“

Die Serie „Bleiben! Was Menschen in der Kirche hält“ des Bistums Essen geht in der Fastenzeit der Frage nach, ob und warum sich Menschen noch in der Institution engagieren und nicht austreten.

Der 56-jährige Karl-Heinz Armeloh ist auf einem kleinen Bauernhof im westfälischen Münsterland aufgewachsen, hat nach einer Bank-Lehre Betriebswirtschaft in Münster und Lissabon studiert und verantwortet als Chefredakteur eine betriebswirtschaftliche Fachzeitschrift. Er lebt mit seinem Mann in Essen-Schönebeck.

Bistum Essen: Mit Regenbogenfahnen auf Altären von Kirchen haben im Mai 2021 katholische Pfarrer überall in Deutschland gleichgeschlechtliche Paare gesegnet. Auch im Bistum Essen. Ein bewusster Verstoß gegen klare Vorgaben aus Rom. Schließlich hatte die Glaubenskongregation im Vatikan kategorisch verboten, homosexuelle Paare zu segnen. Haben Sie sich segnen lassen?

Karl-Heinz Armeloh: Ja, wir sind gesegnet worden. Im Zusammenhang mit der „Liebe gewinnt“-Aktion gab es auch im Essener Dom einen Gottesdienst, an dem mein Mann und ich teilgenommen haben. Es war allerdings nicht so, wie wir es uns gewünscht hatten.

Was hatten Sie denn erwartet?

Wir hatten uns vorgestellt, dass wir den Gottesdienst im Hauptschiff des Doms mitfeiern und dann wie alle anderen Paare vorn den Segen empfangen würden. Stattdessen saßen wir quasi unsichtbar oben im Chorraum hinter dem Altar. Auch der Segen wurde uns dort, also nicht vor aller Augen gespendet. Abgesehen vom Segen – was bleibt, ist das Gefühl: hier geschieht etwas Verbotenes. Echte Anerkennung wäre eine selbstverständliche, eine öffentliche Segnung gewesen. Damals hatte es eher etwas von einer Undercover-Aktion.

Und trotzdem halten Sie an der katholischen Kirche fest, obwohl diese Ihnen das Gefühl gibt: Ich bin nicht erwünscht.

Mit der Feier im vergangenen Jahr hat der verantwortliche Priester bereits einen ersten Schritt nach vorn gemacht. Es hängt also wie so oft an einzelnen Personen. Hinzu kommt: Die katholische Kirche, meine Kirche, spielte und spielt eine große Rolle in meinem Leben. Ich bin im Münsterland in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen. Über zehn Jahre war ich Messdiener und habe in der Zeit gute Erfahrungen mit der Kirche gemacht. So ist eine Art Band entstanden, das mich noch in dieser Kirche hält.

Verletzt es Sie nicht, dass die Kirche Ihnen und Ihrem Mann abspricht, Familie zu sein?

Die Kirche handelt hier sehr verletzend. Wir sind zwei katholische Männer, die sich lieben und füreinander einstehen. Was sind wir denn anderes als eine Familie? Wären wir noch jünger, würden wir auch Verantwortung durch Adoption eines Kindes übernehmen wollen. Deshalb beanspruchen mein Mann und ich für uns, Familie zu sein. Wir sind seit 18 Jahren gesetzlich verheiratet. Dass dies von der Kirche nicht anerkannt wird, verletzt uns, ganz klar.

Also, was hält Sie noch in der katholischen Kirche?

Eine häufig gehörte Antwort lautet: Man kann Kirche nur von innen heraus verändern. Und da ist sicherlich etwas dran. Deshalb bringen wir uns auch in diese Kirche ein. Auf der einen Seite frage ich mich dann: Wieviel will und kann ich investieren, um diese Kirche zu verändern? Und auf der anderen Seite: Wieviel kann ich noch ertragen von dem, was sie mir an konkreten Verletzungen, aber auch an scheinbar gut klingenden Absichtsbekundungen zumutet? Etwas verändern zu wollen, das einen offensichtlich ablehnt, das ist schon eine Gratwanderung. Noch schlägt das Pendel bei „Ich bleibe drin“ aus. Vielleicht hat es auch etwas mit Tradition, Familiengedächtnis und der Art und Weise, wie ich aufgewachsen bin, zu tun. Das einstmals stark gewobene Band zerfasert aber zusehends.

Also eher Glaube statt Institution?

Ja, zunehmend. Auf die Institution Kirche in ihrer heutigen Form könnte ich verzichten, auf meinen Glauben nicht. Glauben ist ein wichtiger Bezugspunkt in meinem Leben; er bedeutet für mich eine sehr persönliche Beziehung zu Gott. Diese zeigt sich vor allem im persönlichen Gebet. Dass ich auf ihn bauen, ihm vertrauen kann. Ich habe auch die Hoffnung, dass mit dem Tod nicht alles zu Ende ist. Und der Glaube steht inhaltlich für Werte, für die ich versuche einzutreten, weil sie mir wichtig sind: Fürsorge, Offenheit, Nächstenliebe.

Wie würden Sie Ihre Gottesbeziehung beschreiben?

Theologisch kann ich diese Frage nicht beantworten. Grundsätzlich habe ich ein unerschütterliches Urvertrauen in meinen Gott. Aber die ihm zugeschriebene Allmacht finde ich problematisch. Seit zweitausend Jahren gibt es diese Fragen: Wie konnte Gott das zulassen? Wo ist er jetzt im Russland-Krieg gegen die Ukraine? Mein persönlicher Ansatz einer Antwort darauf lautet: Jeder ist selbst dafür verantwortlich, daran mitzuwirken, dass die Welt ein Stück weit besser wird.

Aber braucht es dazu einen Gott? Gutes tun kann man auch ohne Glauben an eine höhere Macht.

Das stimmt. Aber ich glaube an die Existenz dieses Gottes. Das gibt mir Ruhe und Kraft. Und wenn wir davon ausgehen, dass wir zur Freiheit berufen sind, dann ist es doch billig, diese Freiheit auszuleben, solange es uns gut geht – sobald aber Schwierigkeiten auftauchen, nach göttlicher Hilfe zu rufen. Gott hält mich aus und ich muss ihn auch aushalten. Ich finde es gut, dass er mich mein Leben leben lässt, so wie ich es für richtig halte. Er hat mir Leitplanken und Werte dafür mitgegeben. Es beruhigt mich zu wissen, dass er da ist. Und dass er es aushält, wenn ich wütend oder enttäuscht bin und ihn anschreie. In Gott habe ich immer ein Gegenüber. Und ich sage nicht, dass es zwischen uns immer einfach war.

Wenden wir uns dem Bodenpersonal zu. Was entgegnen Sie Klerikern, die vermeintlich tolerant sein wollen, aber sagen, man müsse barmherzig mit solchen Menschen wie Ihnen sein, ihr Leid sehen?

Das Personal sollte erst einmal auf dem Boden bleiben. Und: Derartige Einlassungen machen mich fassungslos. Ich bin kein „solcher Mensch“. Ich leide auch nicht an, mit oder unter meinem Zustand. Im Gegenteil. Ich bin so, wie ich bin: glücklich und zufrieden. Wo Sie aber schon das „Leid“ ansprechen: Ich leide unter der Kirche. Ich leide unter solchen Aussagen. Immer wieder lässt die katholische Kirche durchscheinen, wie sie über uns queere Menschen denkt. Ich habe mich nicht entschieden, schwul zu sein. Ich bin einfach so, wie ich bin. Und Gott sei Dank erfahren mein Mann und ich Kirche vor Ort durchaus auch anders.

Heißt das, Sie haben in Essen eine kirchliche Heimat gefunden?

Ja, die haben wir in St. Josef in Frintrop, tief im Essener Westen gefunden. Wir haben dort immer sozusagen mit offenen Karten gespielt und jedem, der es wissen wollte, gesagt, wer wir sind, was wir sind und wie wir zueinanderstehen. Wir fühlen uns in dieser Gemeinde willkommen. Und wir möchten uns deshalb so gut es geht dort einbringen, sei es durch die Gemeindearbeit oder durch die Mitgestaltung von Gottesdiensten. Auch wenn wir von St. Josef aus die römisch-katholische Kirche nicht verändern werden: Kirche verändert sich auch vor Ort.

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