Homosexualität, Zölibat, Frauenfrage – viele Katholiken erwarten Veränderungen
Sexualisierte Gewalt wurde in den 60er Jahren ganz anders beurteilt als heute
Die Zölibatsverpflichtung treibt auch sexuell unreife, wenig selbstreflektierte Männer in den Priesterberuf
Ein guter Priester hilft, in Kontakt mit Gott zu kommen. Dafür muss er weder männlich sein noch zölibatär leben
Den Zölibat zur freien Wahl stellen, das Verhältnis zur Homosexualität revidieren und Gewaltenteilung in der Personalführung der Kirche einführen: Umwälzende Einschnitte erwarten die katholische Kirche, wenn es nach dem Willen der Runde bei „frank&frei“ geht, einer Diskussionsreihe in der Karl-Rahner-Akademie in Köln. Ob die Kirche nach der Veröffentlichung der Studie über sexuellen Missbrauch an Minderjährigen allerdings wirklich die Kraft zu grundlegender Veränderung aufbringen wird, darüber mochten die Podiumsteilnehmer des Akademieabends unter Leitung des Kölner Journalisten Joachim Frank am Freitag, 26. Oktober, allerdings keine Prognose abgeben.
„Wer hat die Täter gedeckt?“ war eine zentrale Frage des Abends. Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer berichtete dazu von seinen eigenen Recherchen in den heute neu organisierten Personalakten des Bistums Essen, in denen noch bis vor wenigen Jahren relativ willkürlich und ungeordnet E-Mails, Vermerke und Urlaubspostkarten an den Bischof zusammengeheftet waren. In seiner kurzen Zeit als Personalverantwortlicher stieß Pfeffer eher zufällig auf Unterlagen, die über einen Jahrzehnte zurückliegenden Übergriff eines Priesters gegenüber einem Kind im Ferienlager berichteten. Der "Nervenarzt", an den der Priester damals verwiesen wurde, betrachtete allerdings dessen Alkoholismus als das eigentliche Problem. „Die Beurteilung sexueller Gewalt war damals offensichtlich völlig anders als heute“, sagte Pfeffer. Die nähere Befassung mit diesem Fall habe auf eine grundsätzliche psychische Verhaltensproblematik des inzwischen verstorbenen Priesters hingewiesen, deren mögliche Gefahr niemand wahrgenommen habe.
Auch „narzisstisch gestörte Leute“ würden vom Priesterberuf deshalb angezogen, weil sie sich hier nicht mit ihrer Sexualität auseinandersetzen müssten, so der Eindruck des Frankfurter Stadtdekans und Limburger Domkapitulars Johannes zu Eltz. Der Zölibat schaffe eine leicht einsetzbare Elite: leistungsfähig, diszipliniert, ungebunden, ohne Empathie für eigene und fremde Schmerzen. „Solche Menschen kommen bei uns bevorzugt in hohe Ämter“, so zu Eltz.
Die Studie hatte zutage gebracht, dass zu den Opfern des Missbrauchs durch Priester überwiegend Jungen zählten. Die Teilnehmenden des Podiums warnten allerdings davor, daraus den Schluss zu ziehen, Homosexualität sei eine Ursache für sexuelle Übergriffe. Die Wissenschaftler verweisen eher auf die Folgen der grundsätzlich negativen Bewertung der Homosexualität in der Kirche. Prof. Claudia Bundschuh, Jugendpädagogin der Hochschule Niederrhein, erklärte: „Homosexualisierte Gewalt war total tabu. Die Wahrscheinlichkeit, dass die betroffenen Jungs schweigen, war umso größer.“
Letztlich gehe es aber nicht so sehr um Sex, sondern vor allem um klerikale Macht, darüber war die Runde sich einig. „Wo die Vertuscher jegliches Mitgefühl für die Opfer vermissen lassen, um die Kirche zu schützen, da wird der Missbrauch zum systemischen Problem“, analysierte der Grazer Pastoraltheologe Prof. Rainer Bucher. Seine Hoffnung ist eine komplett veränderte Priesterausbildung und ein anderes Kirchenrecht, das die Stellung des Priesters korrigiert: „Wenn wir uns weiter abkoppeln von der Rechtsauffassung der Gesellschaft, dann befinden wir uns auf einem Pfad außerhalb dieser Gesellschaft, der uns verdrängen wird, und das zurecht.“ Andernfalls, so erlebt es Kirchendekan zu Eltz in Frankfurt, werde es keinen revolutionären Druck unter den Katholiken geben, sondern „die Leute treten einfach aus der Kirche aus“. Immer, wenn er in Briefkontakt mit den Ausgetretenen komme, werde der Missbrauchsskandal als entscheidender Grund genannt. Auch Generalvikar Pfeffer erlebt den Druck vieler treuer Katholiken, dass „etwas passieren“ müsse in Fragen der Sexualmoral, der Ämterstruktur und in vielen Bereichen der kirchlichen Lehre. "Wir müssen an diese grundsätzlichen Fragen ernsthaft ran", forderte Pfeffer, der für das Bistum Essen mit großer Sorge auf die Kirchenaustritte blickt: "Für unser finanziell ohnehin schwaches Bistum wird das irgendwann existenzbedrohend!"
Der gute Priester – was wäre das für ein Typ, fragte Joachim Frank abschließend seine Gäste. „Es gab Priester, die waren eine Gnade für mein Leben, weil sie mir Horizonte eröffnet haben“, bekannte Pastoraltheologe Bucher. Klaus Pfeffer erinnerte sich an die Worte einer Kommunionkatechetin, die etwas salopp beschrieben hatte, wofür sie einen Priester brauche: "Er soll Menschen dabei helfen, einen Draht zu Gott zu finden." Und der Generalvikar ergänzte: "Das müssen nicht ausschließlich zölibatär lebende Männer sein.“