von Maria Kindler

Himmler und Bonhoeffer: Nachfahren eines NS-Täters und eines Widerstandskämpfers im Dialog

Unter dem Titel „Nie wieder ist jetzt!“ haben Katrin Himmler, Großnichte des führenden Nazis Heinrich Himmler, und Mathias Bonhoeffer, Großneffe des Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer, über den Rechtsruck in Deutschland, über Zivilcourage und über die Verantwortung diskutiert, die ihnen aus ihren Familiengeschichten zuwächst. Alle rund 300 Plätze in der Mülheimer Bistumsakademie „Die Wolfsburg“ waren besetzt – und es war mucksmäuschenstill.

Ihre Familiengeschichten könnten nicht gegensätzlicher sein: Katrin Himmler, Großnichte Heinrich Himmlers, als „Reichsführer SS“ hauptverantwortlich für den Holocaust, und Pfarrer Mathias Bonhoeffer, Großneffe des evangelischen Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer, der noch heute für eine beispiellose aufrechte christliche Haltung und für bewundernswerten Mut steht.

Am Mittwochabend (22. Januar) sprachen Himmler und Bonhoeffer vor dem Hintergrund des derzeit erstarkenden Rechtsextremismus in Deutschland und Europa vor rund 300 Zuhörenden – darunter viele Schülerinnen und Schüler mit ihren Lehrerinnen und Lehrern – in der Mülheimer Akademie des Bistums Essen „Die Wolfsburg“ über Verantwortung, demokratische Werte und die Notwendigkeit von Zivilcourage. Die Veranstaltung fand anlässlich des Tages zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar statt.

Aufarbeiten der NS-Zeit: Erzählen versus Schweigen

Himmler, Politologin und Autorin, sprach offen über den langen Prozess, sich mit ihrer Familiengeschichte auseinanderzusetzen. „Ich bin mit diesem Namen in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass wir verwandt sind mit diesem schrecklichen Verbrecher“, sagte sie. Innerhalb ihrer Familie seien die Taten Heinrich Himmlers immer ein Thema gewesen. Doch erst durch ihre eigene intensive Recherche und die Auseinandersetzung mit Heinrich Himmler habe sie die tiefen Verstrickungen erkannt und konkret begriffen, dass ihr Großonkel ein überzeugter Nationalsozialist und Massenmörder war.

In Vorträgen, die sie quer durch die Republik etwa an Schulen hält, warnt Himmler vor rechtsextremen und rechtspopulistischen Gruppen und Parteien. Das sei eine Aufklärungsarbeit, die aktuell besonders wichtig sei. So war die Politologin am Donnerstag auch zu Gast am Bischöflichen Abtei-Gymnasium in Duisburg-Hamborn, wo sie mit Schülerinnen und Schülern diskutierte und sich ihren Fragen stellte.

Pfarrer Mathias Bonhoeffer schilderte, dass die Geschichte des Widerstands in seiner Familie natürlich immer wieder Thema gewesen sei und auch immer mit ihr verbunden bleiben werde. Dennoch habe es auch „ein großes Schweigen“ gegeben, unter anderem weil Widerstandskämpfer im „Dritten Reich“ auch in der frühen Bundesrepublik noch oft als Vaterlandsverräter galten. Er habe seinem Vater Antworten auf seine Fragen abringen müssen. Weil sein Großonkel für viele ein Vorbild sei, spüre er oft Ehrfurcht, wenn der Name Bonhoeffer falle. Dietrich Bonhoeffer habe nach der Maxime gehandelt: „Es gibt Situationen, in denen ist das Nichtstun ein größeres Unrecht als das Tun.“

Rechtes Geheimtreffen in Potsdam gab Anstoß für die Veranstaltung

Den Anstoß für die Veranstaltung hatte die Enthüllung einer geheimen Versammlung in Potsdam im Januar 2024 gegeben, bei der Neonazis, Vertreter der Neuen Rechten, der AfD und der Werteunion sowie Unternehmer Strategien zur Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte besprachen – ein Szenario, das an die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte erinnert. Diese Enthüllungen hatten damals bundesweit massive Proteste hunderttausender Menschen gegen Rechtsextremismus unter dem Motto „Nie wieder ist jetzt!“ ausgelöst, an denen auch Nachfahren von NS-Opfern teilnahmen.

Eines wurde am Mittwochabend klar: Die Mechanismen, mit denen Rechtsextremisten heute arbeiten, ähneln jenen der 1930er Jahre. Himmler sagte: „Krisen, wie wir sie derzeit erleben, sind ein idealer Nährboden für Rechtsextremismus und schaffen Raum für die menschenverachtenden und verfassungsfeindlichen Ansichten der Rechtsextremisten.“ Auch Bonhoeffer warnte vor derartigen Methoden: „Das ist der schleichende Versuch der Umwertung von Werten, das Böse kommt in Lichtgestalt des Guten daher – das dürfen wir nicht ignorieren.“ Demokratie müsse jeden Tag verteidigt werden, sie sei nicht einfach da.

Junge Generation gefragt: Nicht schweigen, wenn es unbequem wird!

Besonders eindrücklich war das offene Gespräch mit den vielen jungen Menschen im Publikum. Eine Schülerin wollte etwa von Himmler wissen, wie die Eltern ihr erklärt haben, dass der Großonkel ein Massenmörder war. „Wie können wir uns heute gegen Rechtsextremismus engagieren?“, wollte eine weitere wissen.

Himmler ermutigte die Jugendlichen, sich einzumischen. „Zivilcourage beginnt im Alltag – sei es, rassistischen Äußerungen oder Hassäußerungen zu widersprechen und sie nicht einfach stehen zu lassen oder sich für die Rechte von Minderheiten aktiv einzusetzen. Eigentlich braucht es nur Menschsein“, sagte Himmler. Sie verwies dabei auf zivilgesellschaftliche Bündnisse, die sich erst nach dem Öffentlichwerden des Potsdamer Geheimtreffens gebildet hätten und zu denen sie als Referentin vermehrt eingeladen werde.

Appell: Verantwortung endet nicht mit der Vergangenheit

Der Abend endete mit einem eindringlichen Appell, wachsam gegenüber antidemokratischen Entwicklungen zu bleiben und aktiv für Demokratie, Mitmenschlichkeit und Toleranz einzutreten. Himmler und Bonhoeffer machten deutlich, dass die Vergangenheit nicht einfach vergangen ist, sondern dass die Auseinandersetzung mit ihr nicht nur Aufgabe der Betroffenen, sondern der gesamten Gesellschaft ist. Nicht zuletzt, weil gerade die NS-Zeit von Rechtspopulisten und -extremisten zugunsten eines nationalistischen Bewusstseins umgedeutet wird.

Die Wolfsburg-Veranstaltung setzte ein starkes Zeichen: Erinnerung ist kein Selbstzweck – sie ist die Grundlage für eine wehrhafte Demokratie der Gegenwart und der Zukunft.

Pressestelle Bistum Essen

Zwölfling 16
45127 Essen