von Thomas Rünker

Hilfe für Helfende: Polizeiseelsorge ist immer stärker gefragt

Die Polizeiseelsorge im Bistum Essen begleitet Polizeikräfte in herausfordernden Situationen und bietet Hilfe bei seelischer Belastung – von Auszeiten bis Trauerbegleitung. Warum dieses Angebot immer stärker gefragt ist.

Ob bei der Nachtschicht im Streifenwagen, nach schwierigen Einsätzen mit Gewalt, Verletzungen oder Tod oder wenn private Sorgen belasten – die Polizeiseelsorge der Kirchen steht an der Seite der Beschäftigten der Polizei. Und ihre Arbeit ist gefragter denn je, sagt Pastoralreferent Marcus Freitag, der das Polizeiseelsorge-Team im Bistum Essen leitet: „Ich erlebe heute unglaublich viele Polizeibeamte, die ein großes Bedürfnis nach Ruhe haben.“ Ihnen bietet die Polizeiseelsorge spirituell gestaltete Auszeiten wie Pilgertouren im Bergischen Land, Aufenthalte in Klöstern oder auf der Nordseeinsel Juist an. Und obwohl die Zahl dieser Angebote wächst, „sind sie binnen kürzester Zeit ausgebucht“, sagt Freitag. „Ich bin unfassbar gestärkt aus diesen fünf Tagen Juist herausgegangen. Kraftvoll“, lautet eine von zahlreichen positiven Rückmeldungen der Auszeit-Teilnehmenden, die aus den verschiedensten Bereichen der Polizei im Ruhrgebiet kommen.

Helfen, wenn die Helfenden mit oder ohne Uniform selbst Unterstützung brauchen

In der Polizeiseelsorge ist der Pastoralreferent ein alter Hase. Seit 23 Jahren gehört Freitag zum Team der Kirchenbeschäftigten im Ruhrbistum, die helfen, wenn die Helfenden mit oder ohne Uniform selbst Unterstützung brauchen. Mit dem wachsenden Wunsch nach Ruhe seien Polizistinnen und Polizisten nicht allein, sagt er und verweist beispielsweise auf Lehrkräfte, die ebenfalls von zunehmenden psychischen Belastungen sprechen. Doch die Gründe für die Belastung vieler Polizeikräfte seien ganz eigene – und auch innerhalb der Polizei sehr verschieden. Da gebe es die Bediensteten im Wach und Wechseldienst, die Polizeikräfte „auf der Straße“, die nach seiner Beobachtung „heute viel häufiger Beleidigungen ausgesetzt“ sind. Es sei gut, dass Angriffe gegen Polizei- und Rettungskräfte mittlerweile ein eigener Straftatbestand sind – und doch könnten Beamtinnen und Beamte im Streifendienst oder bei der Hundertschaft nicht jedes hinterhergerufene Schimpfwort ahnden. „Das sind Dinge, die langfristig einsickern“, beschreibt es Freitag, ein zunehmender seelischer Ballast „und eine psychische Form von Gewalt“. Ähnlich sei es in einem inhaltlich ganz anderen Polizeibereich: Die zahlreichen hochspezialisierten Kräfte, die massenhaft kinderpornografische Daten untersuchen müssen, müssten ebenfalls eine zunehmende seelische Belastung verarbeiten, so Freitag. Daneben stünde die Polizeiarbeit in einem besonderen Maß unter der latenten Terror-Gefahr und Sicherheitsbedrohung, die die gesamte Bevölkerung betrifft. „Im kommenden Jahr diskutieren wir bei einer Veranstaltung die Frage, wie Polizeiseelsorge in einer Kriegssituation arbeiten könnte“, nennt Freitag eine konkrete Auswirkung der Lage.

Polizeiseelsorge ist die älteste, aber nicht mehr die einzige Unterstützung

Vierköpfiges Team im Ruhrbistum

Neben Marcus Freitag, dem Diözesanbeauftragten für die Polizeiseelsorge im Bistum Essen, gehören die Gemeindereferentin Lydia Bröß, der Pastoralreferent Martin Dautzenberg und der Diakon Bernd Malecki zum Polizeiseelsorgeteam im Bistum Essen. Bundesweit gibt es etwa 100 Polizeiseelsorgende.

Angesichts der vielen Herausforderungen ist die aus den 1920er Jahren stammende und in NRW seit 1962 gesetzlich verankerte Polizeiseelsorge zwar mit Abstand die älteste, aber mittlerweile nicht mehr die einzige Unterstützungsinstanz für verbeamtete und zivile Polizeibeschäftigte. „In den vergangenen 10 bis 15 Jahren hat es eine deutliche Öffnung der Polizei hin zu begleitenden, unterstützenden und flankierenden Angeboten gegeben“, so Freitag. Dies liege zum einen daran, „dass die Polizei deutlich jünger geworden ist. Die Boomer-Generation tritt ab“. Viele jüngere Kräfte signalisierten heute schon von sich aus den Bedarf nach seelischer Unterstützung. Zugleich habe aber auch die Organisation dazugelernt: „Die Polizei hat mehr und mehr verstanden, dass die Gesunderhaltung der Kolleginnen und Kollegen ein wirklich wichtiger Faktor ist“, sagt der Seelsorger – und dass dazu neben körperlicher Fitness auch eine seelische Stabilität gehört. Deshalb gibt es heute neben den Angeboten der Polizeiseelsorge – die das Land und die beiden großen Kirchen in NRW erst im vergangenen Jahr neu vereinbart und finanziell abgesichert haben – auch fest in der Polizeiorganisation verankerte psychosoziale Unterstützungs- und Supervisionsangebote.

„Ein Zeugnisverweigerungsrecht hat sonst niemand in der Behörde“

Diese Vielfalt sei gut, betont Freitag – zumal die allermeisten Polizeiseelsorgenden auch in der Supervision tätig seien. Während die Polizeiseelsorge vor allem in einer konkreten Situation – zum Beispiel nach einem belastenden Großeinsatz - unterstützen und danach vielleicht noch mittelfristig helfen könne, habe die Supervision die Möglichkeit, Menschen über einen längeren Zeitraum zu begleiten. Zudem haben alle Seelsorgerinnen und Seelsorger ein Zeugnisverweigerungsrecht, „das hat sonst niemand in der Behörde“, betont Freitag. Wenn also eine Beamtin in einem Seelsorgegespräch von einem Fehlverhalten im Dienst berichtet, hat das keine rechtlichen Konsequenzen – anders als beim vertraulichen Gespräch mit einem Kollegen, der beim Verdacht auf eine Straftat gezwungen wäre, dies zu melden. Bei akuten Einsätzen „fahren wir oft zusammen mit dem Team der psychosozialen Unterstützung raus, damit die Kolleginnen und Kollegen wählen können, mit wem sie sprechen möchten“, sagt Freitag. Das habe auch mit der unterschiedlichen Fachlichkeit zu tun: „Als Seelsorger haben wir eine andere Erfahrung in der Trauerbegleitung, im Umgang mit Sterben und Tod.“

Die ganze Bandbreite des Lebens

NRW und Kirchen finanzieren Polizeiseelsorge gemeinsam

Im Januar 2024 hat NRW die Polizeiseelsorge neu aufgestellt und mit einer neuen Vereinbarung die seit 1962 geltenden Regelungen abgelöst. Der Landtag beschloss, künftig vier Vollzeitstellen in der Polizeiseelsorge zu finanzieren - je zwei für die evangelische und die katholische Kirche. Die Kirchen sicherten im Gegenzug zu, zusätzlich mindestens genauso viele Stellen von Polizeiseelsorgenden vorzuhalten. Die Landesleistung erhöht sich damit um 500.000 Euro auf 650.000 Euro pro Jahr. Das verabschiedete Gesetz zur Neuregelung der kirchlichen Polizeiseelsorge im Land tritt an die Stelle einer 1962 zwischen Land und Kirchen geschlossenen Vereinbarung. In der Debatte bezeichnete Innenminister Herbert Reul (CDU) die Leistung der Polizeiseelsorgenden als „grandios“. Mit der neuen Vereinbarung schaffe man „ein Stück Verlässlichkeit“ für diese wichtige Arbeit.

Doch Polizeiseelsorge ist nicht nur Blaulicht, Drama und Leid, sondern – neben ganz viel Alltag – auch Freude, eben die ganze Bandbreite des Lebens. Auf Wunsch der Beschäftigten feiert das Seelsorgeteam Trauungen, Taufen und Segensfeiern, wie es ebenso zu Beerdigungen und Gedenkgottesdiensten einlädt. Anders als seine Kollegin und seine beiden Kollegen hat Freitag sein Büro nicht in einer Polizeibehörde, sondern in der Duisburger Polizei-Hochschule. Dort hat er vor allem mit den jungen Studierenden zu tun, die dort drei Jahre lang zur Kommissarin oder zum Kommissar ausgebildet werden. „Es vergeht keine Woche, in der ich kein seelsorgliches Gespräch führe“, berichtet er – obwohl es auch an der Hochschule eine psychosoziale Studierendenberatung gibt. Neben privaten Umbrüchen – Partnerschaften, Freundschaften, Umgang mit Eltern – und den besonderen Herausforderungen des Polizeiberufs stünden die jungen Leute in der Ausbildung unter einem hohen Druck: Rund ein Viertel schließt die Polizeiausbildung derzeit nicht ab. Und wer an der Polizei-Hochschule aus dem Studium fliegt, verliert nicht nur die berufliche Perspektive, sondern unmittelbar auch alle finanziellen Bezüge des bezahlten Studiums. Wenn die Hochschulleitung diese Exmatrikulationen verteilt, ist Freitag wenn möglich mit dabei.

In seinem Team gebe es niemanden, der über Langeweile klagt, sagt der Polizeiseelsorger. Im Gegenteil: „Ich erlebe eine hohe Zufriedenheit bei meinen Kolleginnen und Kollegen. Wir arbeiten in einem Bereich, in dem wir wirklich gebraucht werden.“

Ansprechpersonen

Diözesanbeauftragter für die Polizeiseelsorge — Supervisor (DGSv)

Pastoralreferent Marcus Freitag


Diözesanreferentin in der Polizeiseelsorge

Lydia Bröß

Zwölfling 16
45127 Essen

Diözesanreferent in der Polizeiseelsorge - Supervisor (DGSv)

Pastoralreferent Martin Dautzenberg


Diözesanreferent in der Polizeiseelsorge - Supervisor (DGSv)

Diakon Bernd Malecki


Pressestelle Bistum Essen

Zwölfling 16
45127 Essen