von Christoph Grätz

„Habt doch nich so ´nen Schiss voreinander“

Robert Lucas Sanatanas hat im Medienforum sein Buch „Obdachlos“ vorgestellt. Mit seinen Portraits von Menschen auf der Straße wirbt er für unverkrampfte Begegnungen.

Lohnende Lektüre

„Habt doch nich so ´nen Schiss voreinander“, sagt Robert Lucas Sanatanas; und er meint die, die „drinnen“ und die „draußen“ sind, Menschen in vermeintlich geordneten Verhältnissen und Obdachlose. Er wirbt damit für einen ungezwungeneren Umgang miteinander. Der Autor, der selbst elf Jahre auf der Straße gelebt hat, hat Menschen wie Yelly oder Friedrich in seinem Buch „Obdachlos“ portraitiert. Es geht um Menschen, die Gegengeschichten zum Lebensentwurf der Mehrheit leben. Notizen, die er während seiner Zeit als Wohnungsloser überwiegend in Berlin aufgezeichnet hatte, dienten ihm für seine nun literarische Aufarbeitung dieser Begegnungen. Und die Lektüre lohnt. Einfühlsam und witzig beschreibt er die Menschen, die ihm wohl auch ans Herz gewachsen sind.

Berührend die Geschichte von Yelly, die im Alter von 9 Jahren ihr Bein verloren hatte, dann in einem lieblosen Elternhaus aufwuchs, schließlich auf der Straße landete und als 35-jährige Obdachlose in einer Phantasiewelt lebt. Eine Frau, deren Freunde und Begleiter weggeworfene Plüschfigürchen sind, mit denen sie Zwiesprache hält. Eine Gestrandete, die so der Realität entflieht und deren Gutmütigkeit schon fast schmerzt. Aber auch eine Frau, die mit glasklarem Blick heuchlerische Anteilnahme von „Sozialprofis“ entlarvt.

Oder die Geschichte von Rita, einer „Discountnutte“, die letztendlich an der Piefigkeit der Gesellschaft und Härte der DDR-Staatsorgane gescheitert ist. Eine Frau, die das Herz am rechten Fleck hat und jeden Mittwoch zur verabredeten Zeit Obdachlosen ihre Dienste und – gegen zwei Euro extra – Handtuch und Dusche anbietet.

Anrührend und traurig ist die Geschichte vom verbitterten Friedrich, dem ehemaligen Bohemien, der mit seiner geliebten Eleonora ein kulturbeflissenes Leben führte, bis diese ihn schließlich ohne Abschiedsgruß verließ und mit einem anderen Mann durchbrannte. Der Anfang vom Ende.

Sanatanas hat am Mittwochabend im Medienforum des Bistums Essen aus seinem Buch gelesen. In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass es unter den Menschen auf der Straße alles gibt: Faszinierende Charaktere, aber eben auch Niedertracht und die wirklich Gebrochenen, „Maschinen aus Fleisch“. Sanatanas vermeidet Wertungen und hat keine Patentrezepte für den Umgang mit den Menschen, die nach seiner Ansicht zum Teil bewusst der Kultur – vielleicht besser dem Konsum und der Wegwerfgesellschaft – entfliehen. Aber er warnt vor Bevormundung und Belehrung. Begegnung hingegen sei möglich. „Es lässt sich immer ein kleinster, gemeinsamer Nenner finden“. Selbstversuche von wohlmeinenden Menschen, die sich für kurze Zeit in die Obdachlosigkeit light begäben, entlarvt er als PR-Gags. Sanatanas macht eine Überforderung durch nutzlose Informationen, „mentale Völlerei“, mit dafür verantwortlich, dass viele Menschen auf der Straße landeten und aus diesem Teufelskreis auch nicht ausbrechen könnten. Er spricht bewundernd von der mentalen Disziplin, die Menschen auf der Straße aufbringen müssten, für ihn auch eine spirituelle Stärke.

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