von Jürgen Flatken

Glauben in Eigenregie

In der Serie „krisenchance“ stellt das Bistum Essen aus der Corona-Not geborene Ideen vor, die durchaus zur Tugend werden können. Heute: wie durch Hausgottesdienste der Glaube lebendig bleibt.

 „Aufstehen, Haare machen und vergiss nicht, das Kommunionkleid anzuziehen.“ Da machte die neunjährige Friederike große Augen, als ihre Mutter sie eines sonntagmorgens liebevoll aber bestimmt aus dem Bett warf. Es war der 26. April, der Weiße Sonntag, an dem Friederike eigentlich Erstkommunion feiern wollte. Eigentlich, wenn Corona nicht dazwischengefunkt hätte. Aber der Virus hat die Rechnung ohne Friederikes Mutter Kathrin Seidel gemacht. „Wir haben uns ein halbes Jahr auf diesen Tag vorbereitet und darauf hingefiebert“, erzählt die Sauerländerin. „Daher war es mir wichtig, diesen Tag irgendwie besonders zu gestalten.“ Corona hin oder her.

Und so wurde aus dem Esstisch im Handumdrehen ein Altar, die Tauf- zur Erstkommunionkerze und die Taufpaten und Großeltern über Whatsapp zur Andacht dazugeschaltet. Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen. „Bischof Overbeck hat den Erstkommunion-Kindern ja einen Brief geschrieben, als klar war, dass die Feiern verschoben werden. Da war auch ein Gottesdienstvorschlag dabei. Den haben wir verwendet“, freute sich die Mutter über das Angebot des Bistums.

Neben der Kerze befand sich auf dem Tisch auch ein von Friederike bemalter Schuhkarton, „die Erinnerungskiste“, die die Kinder an ihrem Vorbereitungswochenende im Februar aus der Pfarrei St Josef, Kierspe, im Sauerland gestaltet haben. Anstatt vieler Glückwunsch-Karten und kleiner Geschenke, für die eigentlich der Karton gedacht war, hat die Familie ein Bild von Friederike auf einen Zettel geklebt und die Paten und Großeltern während der Andacht nach ihren typischen Eigenschaften gefragt. „Freundlich, aufmerksam, spontan“, steht da unter anderem zu lesen. Dieser Zettel liegt nun in der Kiste, erst einmal allein. „Und ist eine tolle Erinnerung an eine spontane Corona-Erstkommunion-Feier.“

Eigeninitiative gilt es zu stärken

„Wir können aus den Erfahrungen, die die Familien mit Hausgottesdiensten gemacht haben, viel lernen“, freut sich Theresa Kohlmeyer, Leiterin der Abteilung Glaube, Liturgie und Kultur im Generalvikariat des Bistums Essen, über die kreative Vielfalt, mit der in der Corona-Zeit auf die Absage vieler kirchlicher Feiern reagiert wurde. „Die positive Erfahrung, dass man zum Feiern eines Wortgottesdienstes nicht studiert haben muss, machen gerade viele Menschen. Diese Eigeninitiative gilt es zu stärken“, betont Kohlmeyer.

„Vielleicht haben wir in der Vergangenheit die Eucharistie zu hoch gehalten“ stellt sie selbstkritisch fest. Die vergangenen Wochen zeigten, dass es daneben auch viele tolle unterschiedliche Gottesdienst-Formate gebe. Kohlmeyer sieht die Krise auch als Chance, kreativ mit der Vielfalt umzugehen, darauf zu reagieren und sich zu fragen: Was braucht die Familie, was brauchen die unterschiedlichen Gruppen, um eine gute Gottesbeziehung zu pflegen? Die Chance, dass daraus Neues erwachsen kann.

Vor dieser Frage stand auch das Gemeindereferenten-Ehepaar Marlies Hennen-Nöhre und Johannes Nöhre aus der Essener Pfarrei St. Josef Ruhrhalbinsel. „Wie können wir trotz Kontaktverbots mit den Familien in Kontakt bleiben?“ Zusammen haben sie sich der Aufgabe gestellt und "Familiengottesdienste zu Hause" entwickelt, nach dem Baukasten-Prinzip. „Wir haben eigentlich das klassische Modell gewählt mit Evangelium, Fürbitten, Vater Unser und Segen“, erklärt Hennen-Nöhre ihr Grundkonzept. „Das haben wir dann aber immer wieder durchbrochen mit belebenden Elementen wie zum Beispiel einminütigen Video-Impulsen. Die Idee dahinter ist, für jeden etwas anzubieten.“ Der Plan scheint aufgegangen zu sein. Denn es gab eine ganze Reihe, die „die Gottesdienste komplett gefeiert haben, andere haben sich nur den Film angeschaut oder die Lieder gesungen. So konnte sich jeder das raussuchen, was er gerade brauchte.“ Besonders gut angekommen ist dabei auch die Mitmach-Aktion zu Ostern. Die Familien wurden aufgefordert, Bilder ihres Osterfestes der Gemeinde zuzuschicken. „50 Fotos haben uns erreicht“, freut sich die Gemeindereferentin über die große Resonanz. „Obwohl wir getrennt sind, sind wir so doch vereint.“

„Für uns als Familie war es wichtig, miteinander zu singen und zu beten. Auch wenn wir nur unter uns als Familie waren, hatten wir doch das Gefühl, trotzdem mit unserer Gemeinde im Gebet verbunden zu sein“, berichtet Nicola van Bonn aus eben der Kirchen-Gemeinde von Gemeindereferentin Hennen-Nöhre über ihre Erfahrungen mit den Gottesdienstformaten. Das Baukasten-Prinzip im Praxistest sozusagen.

Eine Art von familiärem Bibel-Teilen

„Wir waren alle viel mehr eingebunden, als wir es sonst im Gottesdienst sind, da wir uns die Texte vorgelesen und Lieder gesungen haben“, freut sich van Bonn über den positiven Effekt. Gleichzeitig habe sich die Familie „viel aktiver und intensiver mit den Texten auseinandergesetzt. In der Kirche sind wir eher Zuhörer. Jetzt hatten wir die Chance, zu schauen, welche Bedeutung der Text für mich und mein Leben hat.“ Interpretation der biblischen Texte vor dem individuellen Lebenshintergrund. „Der Inhalt der Schriftstellen bekam plötzlich eine neue Relevanz.“ Gleichzeitig sei man sich auch als Familie nähergekommen: „Wann erzählt ein Kind einem sonst, was ihm oder ihr der Text sagt und bedeutet?“ Eine Art von familiärem Bibel-Teilen. „Wir sind miteinander viel intensiver ins Gespräch gekommen“, freut sich van Bonn.

„Das ersetzt aber nicht die Gemeinde“, betont sie. „Ich vermisse es, mich als Teil der Gemeinschaft zu fühlen.“ Familiengottesdienste zu Hause seien eine schöne Ergänzung und Möglichkeit, den Glauben in der Corona-Zeit lebendig zu halten. „Sie können das Gemeindeleben aber nicht ersetzen.“ Eine Chance liege jetzt darin, dass Althergebrachte mit den neu gemachten Erfahrungen zu kombinieren, schreibt van Bonn der Kirche ins Stammbuch.

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Serie "krisenchance"

Jede Krise ist eine Chance. Das gilt auch für die Corona-Krise und die Kirche. Dort wo das Gemeindeleben seit bald zwei Monaten pausiert und auch Gottesdienste in den Kirchen erst ganz zaghaft wieder aufgenommen werden können, hat sich viel Neues entwickelt: Menschen treffen sich zum digitalen Gebet oder feiern Gottesdienste zuhause, Seelsorger laden zum telefonischen Kaffeeklatsch, Pfadfinder ans digitale Lagerfeuer … - über diese und andere Initiativen berichten wir in den kommenden Wochen unter dem Stichwort #krisenchance. Vielleicht kann manche Idee, die aus der Not geboren wurde, auch nach Corona zu einer Tugend werden.

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