Gesundheit ist Aufgabe vieler Akteure im Ruhrgebiet

„Soziale Katastrophen verhindern“ - Diskussionsabend in der Mülheimer „Wolfsburg“ mit Vertretern aus Ärzteschaft, Forschung, Politik und Kirche.

„Soziale Katastrophen verhindern“ - Diskussionsabend in der Mülheimer „Wolfsburg“ mit Vertretern aus Ärzteschaft, Forschung, Politik und Kirche.  

Das Ruhrgebiet ist eine Gesundheitsregion: Forschung und Medizintechnik haben sich hier angesiedelt, 370.000 Arbeitsplätze stellt der Gesundheitsbereich in der Region. Zugleich sind die Gesundheitswerte der Bevölkerung vor allem im nördlichen Ruhrgebiet alles andere als gut, wenn man sie mit anderen Regionen Deutschlands vergleicht. Wo die Ursachen dafür liegen, und welche gesundheitsfördernden Maßnahmen zu ergreifen wären, war Thema einer Diskussionsrunde am Dienstagabend in der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim. Unter dem Titel „Macht die Region krank?“ diskutierten prominente Vertreter von Ärzteschaft und Forschung, aus Politik und Kirche unter der Moderation von Dr. Judith Wolf. Eingeladen hatte der Rat für Gesundheit und Medizinethik im Bistum Essen.  

Ein starkes Nord-Südgefälle im Gesundheits-Status der Menschen des Ruhrgebiets stellten die Teilnehmer der Diskussionsrunde übereinstimmend fest. „Wir haben hier deutlich höhere Zahlen etwa an Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Adipositas“, fasste Prof. Josef Hilbert zusammen, Direktor des Instituts für Arbeit und Technik (IAT) sowie Direktor des Forschungsschwerpunktes Gesundheitswirtschaft und Lebensqualität. Zugleich lebten im Nordteil der Ruhrregion überdurchschnittlich viele alte, pflegebedürftige, schlecht gebildete, wirtschaftlich arme, zugewanderte Menschen.  

Dr. Christoph Hanefeld, ärztlicher Geschäftsführer des Katholischen Universitätsklinikums Bochum, weiß aus beruflicher Erfahrung, wo der Rettungsdienst oft angefragt wird, und welche Einsätze dann gefahren werden: „Oft kommt man nicht zu einem medizinischen Notfall, sondern in eine soziale Katastrophe. Diese Menschen lassen außer dem Rettungsdienst niemanden mehr in ihre Wohnung.“ Solche Grenzfälle könne man keinesfalls allein nach medizinischen Standards abarbeiten.

Teuer sei es außerdem, sich hier nur auf die Notfallambulanz zu verlassen, erklärte Hilbert: „Der Einsatz des Rettungswagens und der stationäre Aufenthalt im Krankenhaus inklusive kompletter Diagnostik kosten schnell 10.000 Euro, bevor man den Patienten dann wieder nach Hause in seine wenig gesunden Lebensumstände entlassen muss.“

Kostengünstiger und humaner sei es also, eine zuverlässige Vorsorgestruktur zu schaffen, resümierte die Runde in der „Wolfsburg“. Das beginne mit einer persönlichen Ansprache der Patienten, sagte Dr. Ansgar Wübker vom Kompetenzbereich „Gesundheit“ im Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI): Ähnlich wie bei der persönlichen schriftlichen Einladung zum Mammographie-Screening oder zur Grippeimpfung ließen sich auch Menschen mit wenig Bildung und geringem eigenen Zutrauen eher durch persönliche Beratung von Vorsorgeuntersuchungen überzeugen.

Auch altersgerechte Rehabilitation könne helfen, alte Menschen länger gesund zu halten: Der katholische Klinikverbund in Bochum-Wattenscheid baue derzeit die größte geriatrische Einrichtung Deutschlands, berichtete deren Geschäftsführer Hanefeld, hatte aber selbst gleich eine kritische Einschränkung parat: „Mit Geriatrie verdient man Geld, mit Geburtshilfe und Kindermedizin schreiben wir dicke rote Zahlen.“

Bei der wichtigsten Neuerung für eine breit gefächerte Gesundheitsvorsorge der Bevölkerung vor Ort im Stadtteil kommt auch die Politik ins Spiel, an diesem Abend in der Person von Martina Hoffmann-Badache, Staatssekretärin im NRW-Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: In Projekte des Quartiersmanagements solle mehr Geld aus Kranken- und Pflegekassen fließen. Nahversorgung im Stadtteil erfordere aber darüber hinaus das Engagement aller ortsansässigen Institutionen – dies sei auch ein wichtiges Aufgabenfeld für Kirchengemeinden: „Davon profitieren nicht nur Ältere, sondern auch Familien oder Menschen mit Behinderung“, sagte Hoffmann-Badache.

Diesen Spielball nahm der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer auf, der als Kirchenvertreter an der Gesprächsrunde teilnahm. „Die Kirche ist ein Teamplayer unter anderen Akteuren im Stadtteil, auch wenn es um Gesundheitsversorgung geht“, sagte Pfeffer, gab aber zu, dass viele Gemeinden sich aus alter Gewohnheit oft noch schwer damit täten. Es gebe aber bereits gute Beispiele gemeinsamer Stadtteil-Initiativen unter kirchlicher Beteiligung, zum Beispiel im Duisburger Norden. Und einen weiteren Gedanken brachte Pfeffer ein: Studien zeigten, dass religiöse Menschen länger lebten: „Was haben wir Christen den Menschen zu geben, damit die Religion für sie heilsam wirkt?“ (cs)

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