von Thomas Rünker

Fronleichnam zwischen kirchlichem und wirtschaftlichem Strukturwandel

In seiner Fronleichnams-Predigt sprach Bischof Franz-Josef Overbeck auch über die ‎kriselnde Stahlindustrie im Ruhrgebiet als ein Beispiel für „schmerzhafte, aber ‎unvermeidliche Veränderungsprozesse“ in der Gesellschaft. Er warb für Ausgleich: ‎Soziale Sensibilität und wirtschaftliche Offenheit in der Gesellschaft gehörten ebenso ‎zusammen wie eine spirituelle Sensibilität und eine klare theologische Entwicklung in ‎der Kirche.‎

Bunte Gewänder, Fahnen und viel Musik: Als ein großes Glaubensfest haben hunderte Katholikinnen und Katholiken am Donnerstag, 19. Juni, in der Essener Innenstadt Fronleichnam gefeiert. Nach der Freiluft-Messe mit Bischof Franz-Josef Overbeck auf dem Burgplatz zog die traditionelle Stadtprozession singend und betend durch die Innenstadt, bevor der Bischof nach der Rückkehr auf dem Burgplatz den Segen spendete.

Predigt: Von der biblischen Brotvermehrung zur aktuellen Stahlkrise

In seiner Predigt schlug Overbeck einen Bogen von der biblischen Erzählung der Brotvermehrung und den dramatischen Veränderungsprozessen im Umfeld Jesu zu den Veränderungsprozessen der Gegenwart: „So wie das Tun Jesu bekannte Grenzen gesprengt hat, so sprengt auf andere Weise die heutige wirtschaftliche und soziale Realität vertraute Rahmenbedingungen für gelingendes Leben, die lange verlässlich galten.””

Overbeck lenkte den Blick auf die Stahlindustrie im Ruhrgebiet angesichts der großen Sorgen um Arbeitsplätze in den Werken und Verwaltungen. Die Eigentümer müssten sich „auf neue, oftmals herausfordernde Logiken einlassen, um weiterhin gewinnorientiert und zugleich sozialverträglich wirtschaften zu können“, mahnte der Bischof. Er sprach von „grundständigen Wandlungsprozessen“, nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im Sozialen. So sehe man an den Städten im Ruhrgebiet, „dass die klassischen Formen der Wohlfahrt nicht mehr ausreichen unter den heutigen Lebensbedingungen.

INFO: Prozession mit langer Geschichte

Die Essener Stadtprozession blick auf eine lange Geschichte zurück. Bereits im 14. Jahrhundert lassen sich Fronleichnamsprozessionen auf dem Essener Stadtgebiet nachweisen. Nach einer Unterbrechung im Zweiten Weltkrieg zogen bereits 1946, als die Stadt noch in Trümmern lag, wieder Katholikinnen und Katholiken durch die Straßen ihrer Stadt. Eine neue Bedeutung erhielt die Stadtprozession, als Essen 1958 zum Bischofssitz erhoben wurde.

Gerade die Industrialisierungsprozesse der vergangenen 200 Jahre würden durch die Digitalisierung und die Globalisierung aller Wirtschaftszusammenhänge bedroht. Darauf richtige Antworten im Sinne des Gemeinwohls zu finden, sei nicht leicht: „Altes vergeht und das Neue hat noch keine richtige Kontur gewonnen.“ Zugleich sei dies „eine Chance, in eine neue Welt einzutreten“, betonte der Bischof. Angesichts „schmerzhafter, aber unvermeidlicher Veränderungsprozesse“ warb Overbeck um Ausgleich: Soziale Sensibilität und wirtschaftliche Offenheit in der Gesellschaft gehörten ebenso zusammen wie eine spirituelle Sensibilität und eine klare theologische Entwicklung in der Kirche.

Letzter Zwischenstopp an der St.-Gertrud-Kirche als Gotteshaus

Der traditionelle Zwischenstopp der Prozession an der St.-Gertrud-Kirche in der Rottstraße hatte in diesem Jahr einen besonderen Charakter: Zum letzten Mal machte die Prozession an dieser Stelle ihre „Statio“ vor einem Gotteshaus. Am kommenden Sonntag feiert die Pfarrei St. Gertrud in der Kirche mit Bischof Overbeck die letzte Heilige Messe – dann wird das Gebäude verkauft und künftig als „Kreativ-Kathedrale“ genutzt. In und neben dem 1887 geweihten Kirchengebäude soll ein Zentrum für Kunst, Bildung und Kultur entstehen, dessen Hauptnutzer die Hochschule der bildenden Künste (HBK) wird, die bislang in Essen-Kupferdreh zu Hause ist. Ihre Gottesdienste feiert die St.-Gertrud-Gemeinde künftig am Dom in der Anbetungskirche St. Johann.

Ökumenisches Gebet für die Stadt Essen

Dass die Stadtprozession an Fronleichnam auch für evangelische Christinnen und Christen eine Bedeutung hat, wurde bei der zweiten „Statio“ der Prozession deutlich: Vor der evangelischen Marktkirche baten Dompropst Michael Dörnemann und die evangelische Superintendentin gemeinsam um Gottes Segen für die Stadt Essen.

Für ein besonders farbenfrohes Bild während der Prozession sorgten die Gemeinden anderer Muttersprache und Ritus, die aus dem gesamten Ruhrbistum zur Essener Fronleichnamsprozession gekommen waren. Traditionell waren unter anderem katholische Gläubige mit Wurzeln in Italien, Portugal, Kroatien, Spanien, Slowenien, Polen, Ungarn, Korea und verschiedenen afrikanischen Ländern zum Teil in ihren typischen Landestrachten erschienen und bereicherten die Prozession mit ihren Fahnen sowie Liedern und Gebeten in ihren jeweiligen Muttersprachen. Daneben nahmen die Eucharistischen Ehrengarden der Stadt, Ritter und Damen des Malteserordens und des Ordens vom Heiligen Grab sowie Vertretungen der Studierendenverbindungen an der Fronleichnamsfeier teil. Für die musikalische Gestaltung sorgte neben den Chören der Essener Dommusik das Schönebecker Jugendblasorchester.

Pressestelle Bistum Essen

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