von Thomas Rünker

Frische Äpfel für den jungen Bischof

Mit einem feierlichen Gottesdienst im Dom wurde am Neujahrstag vor 60 Jahren das Bistum Essen gegründet und Franz Hengsbach als erster Ruhrbischof in sein Amt eingeführt. Er wurde zur maßgeblichen Integrationsfigur der jungen Diözese, in der der Wandel zum Programm wurde.

Rund 30 Jahre nach seinem Tod sind gegen Franz Kardinal Hengsbach Vorwürfe über sexuellen Missbrauch im Bistum Essen erhoben worden. Wenn Sie Kenntnis oder Hinweise über sexuellen Missbrauch haben, den Franz Kardinal Hengsbach begangen haben soll, wenden Sie sich bitte an die beauftragten Ansprechpersonen im Bistum Essen:
Monika Bormann | 0151-16 47 64 11 | monika.bormann@bistum-essen.de
Martin Oppermann | 0160-93 09 66 34 | martin.oppermann@bistum-essen.de

Ob die Äpfel aus dem Pfarrgarten von Niederwenigern Franz Hengsbach gemundet haben, ist nicht überliefert. Bäuerin Hedwig Gennit haben sie vor 60 Jahren immerhin einen der wenigen Sitzplätze in der Essener Münsterkirche beschert. Als Hengsbach dort am Neujahrs-Nachmittag 1958 feierlich in sein Amt als erster Ruhrbischof eingeführt wurde, wurden Gennits Äpfel mit vielen anderen Gaben von Bergleuten, Bauern, Lehrern, Schiffern und anderen Vertretern des Ruhrgebiets zum Altar getragen – Zeichen für die Vielfalt, die das Ruhrbistum schon damals ausgezeichnet hat.

Während in der mehr als 1000 Jahre alten, aber für eine solche Feier eigentlich viel zu kleinen ehemaligen Essener Stiftskircheausgesuchte Pfarrer, Laien, Bischöfe und Ordensleute mit Hengsbach die Messe feierten, harrten draußen auf dem Burgplatz tausende Gläubige im strömenden Regen aus. Sie waren sich der historischen Dimension dieser Feier wohl bewusst, setzte der Tag doch den Schlusspunkt hinter jahrelange Verhandlungen zur Gründung des neuen Bistums Essen, das nun von vielen Katholiken im Ruhrgebiet mit großen Hoffnungen und Enthusiasmus begrüßt wurde.

Langer Weg zur Gründung

Wie langwierig der Weg zur Gründung des Ruhrbistums aus Teilen der (Erz-)Bistümer Münster, Köln und Paderborn war, beschreibt der Kirchenhistoriker Franziskus Siepmann in seinem gerade erschienenen Buch „Mythos Ruhrbistum“. Gab es bereits Ende der 1920er Jahre die Idee, den durch die Industrialisierung und massenhaften Zuzug von Arbeitskräften entstandenen Ballungsraum auch kirchlich neu zu strukturieren, so wurde dieser Plan Siepmann zufolge erst Anfang der 1950er Jahre vom damaligen Bischof von Münster, Michael Keller, wieder intensiv vorangetrieben. Keller hätte sich demnach liebend gern von den Ruhrgebiets-Städten seiner vom Niederrhein bis zur Nordsee reichenden Diözese getrennt und sah zudem Vorteile in einer Seelsorge, die sich auf industriell geprägte Stadt-Regionen konzentrieren könne. Doch „so stark auf der einen Seite der Einsatz von Keller für das neue Bistum Ruhrgebiet auch war, so reserviert verhielten sich die beiden anderen mitwirkenden Bischöfe“, schreibt Siepmann. Die Erzbischöfe Joseph Frings (Köln) und Lorenz Jaeger (Paderborn) standen dem Plan zunächst abwartend bis ablehnend gegenüber.

Eine Uneinigkeit, die sich auch dann fortsetzte, als nach der Grundsatzentscheidung pro Ruhrbistum über die konkrete Gestalt der neuen Diözese verhandelt wurde. Ein Prozess, der laut Siepmann „anmute wie ein Feilschen um Städte und Landkreise, die von den Mutterdiözesen an das spätere Ruhrbistum abzugeben waren“. Dass sich das Erzbistum Paderborn nicht von seiner größten Stadt Dortmund trennen würde, war den Beteiligten wohl schon früh klar. Dass aber zumindest das Kern-Ruhrgebiet von Duisburg bis Bochum auch Kern des neuen Ruhrbistums würde, sei vor allem einer Intervention des damaligen NRW-Ministerpräsidenten Karl Arnold (CDU) zu verdanken, so Siepmann. Auf dessen Druck habe der Paderborner Erzbischof Jaeger zwar schließlich Bochum ins Ruhrbistum eingebracht, dafür blieben jedoch Witten und die nördlichen Ruhrgebietsstädte Recklinghausen, Wanne-Eickel, Herne und Castrop-Rauxel Teil in ihrenursprünglichen Diözesen.

Hengsbach wurde zur Integrationsfigur

Mit dieser merkwürdigen geografischen Situation – inklusive den ländlichen Regionen im märkischen Sauerland und im Bergischen – hat man sich im Ruhrbistum indes schnell abgefunden. Vor allem der aus dem sauerländischen Velmede stammende Hengsbach wurde schnell zu einer Integrationsfigur, die nicht nur der Kirche im Ruhrgebiet, sondern auch der Region ein bis dahin nicht gekanntes „Wir“-Gefühl brachte. Nach der Neujahrsmesse trat Hengsbach vor die im Regen wartenden Gläubigen und sprach die Worte, die zum Programm seiner 33-jährigen Amtszeit wurden: „So lasst uns denn in Gottes Namen die erste Schicht verfahren. Glück Auf!“. Der Ruhrbischof, der im Ring ein Stück Kohle trug, wo sonst Edelsteine glänzten, war „vor Ort“ gegangen in einer Diözese, die mit ihrer ungewöhnlichen Struktur und Geschichte weltweit ihresgleichen sucht.

Zugleich begann parallel zum Start des Bistums im Ruhrgebiet eine Entwicklung, die ganz anders verlief als von den Gründervätern erwartet: Statt einer Kirchenregion im wirtschaftlichen Herz der jungen Bundesrepublik, mit prosperierenden Zechen, Stahlwerken und Verwaltungen musste sich Bischof Hengsbach schon bald mit der Kohle- und wenig später der ersten Stahlkrise befassen. Was als Bistum mit einer besonderen Seelsorge für Arbeiter begonnen hatte wurde schnell um den Aspekt der Solidarität ergänzt – Solidarität mit allen, deren Arbeitsplatz bedroht oder schon verloren war. Ein Gedanke, der im Bistum bis heute hochaktuell ist, wenn es etwa um drohenden Stellenabbau bei Siemens oder ThyssenKrupp geht.

Auch in Zukunft lebendig Kirche

Die Region hat sich in den vergangenen 60 Jahren stark verändert – und mit ihr hat sich das Ruhrbistum gewandelt. In den 1970er Jahren verlegte es seinen inhaltlichen Schwerpunkt von der Arbeiter- auf die Familienseelsorge, nach der Jahrtausendwende schloss es Kirchen, die unter Hengsbach erst gebaut worden waren – und aktuell sucht es nach Wegen, wie die Katholiken an Rhein, Ruhr und Lenne in den Gemeinden vor Ort auch in Zukunft lebendig Kirche sein können. Damals wie heute gab und gibt es dafür keinen Masterplan, sondern ein gemeinsames Suchen von Gläubigen, Priestern und Bischöfen nach den besten Lösungen für die Kirche.

So wie in Niederwenigern, das mittlerweile zu Hattingen gehört. Die Apfelbäume dort sind längst Geschichte. 2007 wurde die dortige Pfarrei St. Mauritius als Gemeinde Teil der Hattinger Pfarrei Peter und Paul – und wo früher der Pfarrgarten war, steht heute ein modernes, katholisches Seniorenzentrum. Auch eine Frucht der Bistumsgeschichte.

Pressestelle Bistum Essen

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45127 Essen