von Lisa Mathofer

Erster Abiturjahrgang mit Jungen und Mädchen verlässt das Werdener Mariengymnasium

2010 nahm das Essener Mariengymnasium zum ersten Mal Jungen auf. Seitdem werden Jungen und Mädchen zuerst getrennt unterrichtet, erst in der Oberstufe zusammen. Der erste Jahrgang des neuen Konzepts hat jetzt das Abitur bestanden. Vier Schüler erzählen aus ihrer Schulzeit.

Die schwarzen Zeiger der Wanduhr stehen auf halb zehn. An der grünen Tafel links daneben liegen ein paar Kreidestücke und ein Schwamm. Ein kleines Kreuz hängt an der Wand. Max Reimer, Jessica Ritzka, Justine Birker und Noah Leu sitzen auf den schwarzen Holzstühlen – zum letzten Mal in diesem Klassenraum im ersten Stock des Werdener Mariengymnasiums.

Hier haben die 18-Jährigen in den vergangenen Wochen oft lange gesessen, den fürs Abitur gelernten Stoff aufs Papier gebracht. Wie viele Jahrgänge zuvor halten die Schüler eine Stunde später ihr Abiturzeugnis in der Hand. In Erinnerung bleiben wird die gesamte Stufe der Schule vermutlich mehr: In diesem Jahrgang wurden erstmals Jungen aufgenommen, in der Oberstufe dann zusammen mit Mädchen unterrichtet. Durch dieses Konzept sollen die Schüler entsprechend ihrer Entwicklung und Interessen von der fünften bis zur neunten Klasse und ab der Oberstufe lernen.

Mehr Zeit für Kreatives, mehr Raum zum Wildsein

Dass sie etwas Besonderes waren, haben die vier Schüler schon früh gemerkt. „Wir waren ja quasi der Testjahrgang, heute noch gibt es da viele Lehrersitzungen“, sagt Max. Vor allem die Referendare hätten gern in ihren Klassen gearbeitet, fanden das Unterrichtskonzept der „Vorzeigestufe“ spannend. Viele Lehrer des Gymnasiums mussten sich trotzdem erst an die Jungenklassen gewöhnen, wissen die vier Schüler. Sie selbst haben den besonderen Unterricht positiv erlebt. „Das hat gut funktioniert, ich fand es schön und hatte das Gefühl, dass ich in unserer Mädchenklasse mehr Zeit hatte, kreativ zu sein“, erinnert sich Jessica. In den Jungenklassen sei es lauter und wilder gewesen. „Wir haben aber schon eine andere Mentalität als Jungs von anderen Schulen, das merke ich im Vergleich auf jeden Fall“, ist Noah überzeugt. Justine kann das bestätigen, sie selbst hätte aber einen gemischten Unterricht schon vor der Oberstufe gut gefunden: „Man muss sich erstmal zusammenfinden und dann geht’s auch schon sehr fokussiert ums Abitur.“

Heimliche Blicke und Umwege auf dem Schulflur

Die vier Schüler haben sich schon früh gut verstanden, viele Schüler brauchten länger, um sich aufeinander einzulassen. „Wir wurden schon angeguckt, wenn wir mit den Jungs was unternommen haben. Manchmal haben einige Mädchen extra Umwege genommen, um auf dem Flur nicht an den Jungs vorbeizulaufen“, erzählt Justine. Max erinnert sich: „Im Klassenraum haben sich gerade am Anfang oft alle Mädchen in einen Block gesetzt und die Jungs in einen anderen, auch bei Gruppenarbeiten. Das haben die Lehrer dann aber schnell geändert.“ Zusammengewachsen sind die Schüler vor allem durch die zahlreichen AGs und bei Stufenfahrten, da sind sich die Abiturienten einig: „Das hat uns gut zusammengeschweißt.“ Auch im Orchester und den Chören habe sich durch die gemischten Schüler Einiges getan. „Ich war am Anfang einer der wenigen Männerstimmen im Oberstufenchor“, sagt Noah. „Dann hast du aber nach und nach mehr Jungs mit da reingezogen“, sagt Justine und lacht.

Ohne Klischees auf das Leben vorbereitet

Das Unterrichtskonzept des Mariengymnasiums soll vor allem ermöglichen, dass die Schüler ihre Interessen ohne geschlechterspezifische Vorurteile umsetzen können: Mädchen werden auch in Naturwissenschaften gefördert, Jungen etwa im Deutschunterricht. Schaut man auf die Fächerwahl der vier Abiturienten, hat sich das Konzept bewahrheitet. Max hatte neben Mathe und Reli auch Deutsch und Französisch, Noah interessierte sich für Pädagogik und Englisch genauso wie für Mathe und Informatik. Justine belegte Bio und Erdkunde, bei Jessica standen Mathe und Physik auf dem Stundenplan. Auch nach dem Abitur brechen vor allem die Schülerinnen die stereotypischen Klischees auf: Jessica studiert Wirtschaftsmathematik, Justine geht als Waffensystemoffizierin zur Bundeswehr.

Die Abiturienten blicken ein letztes Mal in den leeren Klassenraum, bevor sie die große Treppe zum Foyer im Erdgeschoss runtergehen. Der rote Teppich zur Bühne ist schon gelegt, lange Stuhlreihen warten auf stolze Lehrer und Eltern bei der Zeugnisvergabe. Max, Jessica, Justine und Noah gehen in die große Basilika neben dem Gymnasium, um in einem Gottesdienst mit ihren Mitschülern zu feiern - dass sie das Abitur geschafft haben, aber auch ein bisschen ihre Zeit als „besonderer Jahrgang.“

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