von Sandra Gerke und Thomas Rünker

Erinnerung an Nikolaus Groß: „Damit sich Geschichte nicht wiederholt“

„Tod durch Erhängen“, lautete das Urteil des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs gegen den 46-jährigen Nikolaus Groß aus Hattingen. Vor 80 Jahren - am 23. Januar 1945 - wurde es in Berlin-Plötzensee vollstreckt. Groß hatte sich unter anderem als führende Kraft der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB) deutschlandweit einen Namen gemacht. Sein Enkel Thomas Groß beschreibt heute, was der Selige Nikolaus Groß den Menschen auch 80 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod noch zu sagen hat.

Nikolaus Groß‘ Widerstand gegen das NS-Regime mahnt zu Wachsamkeit gegenüber Entrechtung und Fremdenfeindlichkeit.

Gedenkmesse für Nikolaus Groß am 23. Januar im Essener Dom und am 25. Januar in St. Mauritius, Hattingen-Niederwenigern

Nikolaus-Groß-Museum, Gedenkstätten und ein Podcast bewahren das Vermächtnis des NS-Widerstandskämpfers

Thomas Groß (65) hält den Docht eines kleinen Opferlichts an die Flamme einer auffälligen Kerze im Essener Dom: Sie trägt das Bild seines Großvaters und brennt in der „Nikolaus-Groß-Kapelle“ in einem Seitenschiff des Gotteshauses. Das Feuer springt sofort über. Thomas Groß stellt die kleine Kerze vorsichtig neben die große. „Der Glaube hat meinen Großvater maßgeblich getragen. Auch in den Wirren des Krieges“, weiß er. „Er hat damals große Charakterstärke gezeigt, indem er gegenüber dem Nationalsozialismus nicht nachgelassen hat. Das zeigt sich zum Beispiel in seinen vielen Schriften, die millionenfach verbreitet wurden. Darin hat er seinem Glauben entsprechend politische Zeichen gesetzt.“

Nikolaus Groß kam 1898 in Hattingen-Niederwenigern zur Welt. Später arbeitete er als Bergmann – und wurde dann Journalist. Bei der „Westdeutschen Arbeiterzeitung“, dem Verbandsorgan der KAB, war er schließlich sogar als Chefredakteur im Einsatz. Das Blatt fuhr einen kritischen Kurs gegenüber dem Nationalsozialismus, nannte dessen Anhänger unter anderem „Größenwahnsinnige“, „Volksbetrüger“, „Hohlköpfe“ und „Gewalttäter.“ 1938 verboten die Nazis die Zeitung.

Verhaftet nach dem Attentat vom 20. Juli 1944

Angenommen, Hitler kann beseitigt werden: Wie kann es dann weitergehen? Mit solchen Überlegungen befasste sich Nikolaus Groß weiterhin. 1944, am 20. Juli, wagte eine Gruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg einen Umsturzversuch. Das Attentat auf Hitler schlug fehl. Noch am Tag davor hatte Nikolaus Groß gegenüber einem KAB-Vorsitzenden geäußert: „Wenn wir heute nicht unser Leben einsetzen, wie sollen wir dann vor Gott und unserem Volk einmal bestehen?“ Gut drei Wochen später wurde Groß im Zusammenhang mit dem Attentat verhaftet, obwohl er nicht daran beteiligt war. „Er schwamm mit im Verrat, muss folglich auch darin ertrinken“, hieß es später in der Urteilsbegründung.

Gottesdienste, Ausstellungen und weitere Informationen

  • Zum Todestag von Nikolaus Groß feiert Weihbischof Ludger Schepers am Donnerstag, 23. Januar, um 17.30 Uhr, eine Gedenkmesse im Essener Dom. Dort gibt es im rechten Seitenschiff eine eigene Gedenk-Kapelle für den Seligen, in der unter anderem eine Kopie des letzten Briefs hängt, den Groß aus der Haft an seine Familie geschrieben hat.
  • In Nikolaus Groß‘ Taufkirche St. Mauritius in Hattingen-Niederwenigern feiert Weihbischof Stefan Zekorn aus Münster am Samstag, 25. Januar, eine Messe im Gedenken an den Seligen. In dieser Messe werden Mitgliedern des Vereins Nikolaus-Groß-Niederwenigern der Rosenkranz und das Sterbekreuz von Nikolaus Groß übergeben – beides wird Teil der Ausstellung im Nikolaus-Groß-Museum. Auch in der Mauritius-Kirche gibt es eine Gedenkstätte für Nikolaus Groß.
  • Das Nikolaus-Groß-Museum am Domplatz 2a in Hattingen-Niederwenigern erzählt in Hunderten Bildern, Texten und Gegenständen das Leben des Journalisten, Bergmanns, christlichen Arbeiterführers, Familienvaters und NS-Widerstandskämpfers. Das ist an jedem dritten Sonntag im Monat von 10.30 bis 12 Uhr für spontane Besuche geöffnet. Individuelle Termine können per Telefon (0177/65466547) oder E-Mail abgestimmt werden.
  • Der Podcast: „Nikolaus Groß – Unerschütterlich“ ist der Titel eines 17-teiligen Doku-Hörspiels, das auf allen gängigen Musik-Streaming-Plattformen zu finden ist. Und im Internet unter unerschuetterlich.bistum-essen.de
  • Der Kurzfilm: „Der Abschiedsbrief von Nikolaus Groß“ heißt ein bewegendes zwölfminütiges Werk des Kölner Medienmachers Robert Groß, des Sohns von Nikolaus Groß’ fünftem Kind Alexander. Online zu sehen unter bene.mg/abschiedsbrief

Groß‘ Frau Elisabeth wurde Witwe mit sieben Kindern

Elisabeth Groß blieb als Witwe mit sieben Kindern zurück. „Den Abschiedsbrief, den mein Großvater seiner Familie geschrieben hat, müssen Sie lesen“, empfiehlt Thomas Groß. In der Kapelle im Essener Dom ist eine Kopie ausgestellt. Thomas Groß hat seinen Opa nicht persönlich kennenlernen können. Er ist der Sohn des 2019 verstorbenen Bernhard Groß, des sechsten Kindes von Nikolaus und Elisabeth. Bernhard verlor seinen Vater durch die Vernichtungswut der Nazis, als er zehn Jahre alt war. Das Andenken an ihren Vater hielten Bernhard und seine sechs Geschwister wach, auch später bei ihren eigenen Kindern. Inzwischen ist die Groß-Familie riesig. Sie halten miteinander guten Kontakt, zum Beispiel über eine WhatsApp-Gruppe. Viele Mitglieder werden am Todestag von Nikolaus Groß nach Berlin zu einer Gedenk-veranstaltung reisen.

Die Erinnerung an Elisabeth Groß ist anders möglich. Sie starb 1972 mit 70 Jahren. „Wir Enkel waren gerne bei ihr. Das war eine tolle Frau. Sie hat viel mitgemacht. Während Witwen der Nazi-Verbrecher stattliche Pensionen bekommen haben, sind die meisten Witwen von Widerstandskämpfern leer ausgegangen, wie unsere Großmutter. Sie musste alleine sieben Kinder durchbringen. Das hat sie mit Bravour geschafft“, erzählt der Enkel.

Dass Nikolaus Groß nicht in Vergessenheit gerät, dafür setzen sich seine Nachfahren weiter ein – zum Beispiel gemeinsam mit dem Verein Nikolaus-Groß-Niederwenigern (siehe Info-Kasten). „Wenn sein Lebenswerk Sinn und Zweck in der heutigen Zeit haben soll, dann müssen wir wachsam sein im Hinblick auf aktuelle politische Tendenzen. Wo es in Richtung Entrechtung geht, wenn man Fremdenfeindlichkeit oder Ausgrenzung von Schwachen und Minderheiten spürt, dann sind alle Generationen gefragt, dagegen einzutreten“, mahnt Thomas Groß. „Wir wissen, was die Zeit zwischen 1933 und 1945 gebracht hat: Not und Tod. Ich hoffe, dass es in Deutschland genügend standhafte Menschen gibt. Damit sich Geschichte nicht wiederholt.“

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