Ergebnisse und Empfehlungen für die Zukunft im Bistum Essen
Zum Start ins neue Jahr treffen sich die Mitarbeitenden der Seelsorge im Bistum Essen eigentlich traditionell im Hotel Franz, um sich dort einerseits thematisch auf das Jahr einzustellen und Informationen rund um laufende und geplante Projekte zu erfahren, andererseits aber auch um alte Bekannte wieder zu sehen. In diesem Jahr wurde dieser Tag der pastoralen Dienste – coronabedingt – ins Internet in eine Videokonferenz verlegt. Mehr als 250 pastorale Mitarbeitende, also Priester, Diakone sowie Gemeinde- und Pastoralreferent(inn)en, waren den ganzen Tag digital zugeschaltet und folgten dem abwechslungsreichen Programm. Außerdem gab es auch Zeit für die persönliche Besinnung und das Gebet; für intensiven Kleingruppenaustausch und natürlich auch für Pausen. Eine Teilnehmerin schrieb: "Trotz Distanz waren wir einander nahe!". Das zeigte sich auch beim Abendlob, als daheim an den Laptops laut mitgesungen und mitgebetet wurde - und beim freien Fürbittgebet, bei dem eine große Zahl von sehr berührenden Bitten im Chat niedergeschrieben wurden. „Dass so viele Mitarbeitende digital dabei waren, ist ein starkes Zeichen“, fasst Generalvikar Klaus Pfeffer den Tag zusammen. „Der Tag war ein wichtiges Signal, sich nicht von der Pandemie völlig bestimmen zu lassen, sondern die vielen laufenden Prozesse in unserem Bistum weiterzuführen.“
Pastorale Dienste im Gespräch
Vormittags ging es um die Fortführung der verschiedenen Themen aus dem Prozess "Pastorale Dienste im Gespräch", mit dem das Ruhrbistum seit drei Jahren Priester, Diakone, Gemeinde- und Pastoralreferentinnen sowie alle anderen pastoralen Mitarbeitenden stärker zusammenführt, um angesichts der großen Herausforderungen im Bistum die gemeinsame Verantwortung aller zu betonen.
Leitung von Pfarreien
Vorgestellt wurden verschiedene "Zwischenstände" einzelner Projekte - herausragend darunter sicherlich der Start von Pilotmodellen für neue Formen der Leitung von Pfarreien durch die Beteiligung von nichtgeweihten Frauen und Männern. „Wir dürfen uns nicht die Frage stellen, wie es früher einmal war“, erklärt Bischof Franz-Josef Overbeck. „Die Berufsbilder der Priester ändern sich, genau wie die der Diakone und Pastoral- und Gemeindereferenten. Wir müssen uns fragen, wie wir die Verantwortung in den Pfarreien gemeinsam wahrnehmen können – unter den sich verändernden Bedingungen in unserer Kirche.“
Ebenfalls neu im Bistum Essen ist die Überlegung, die Spendung des Taufsakramentes und die Assistenz bei Eheschließungen unter bestimmten Bedingungen im Einzelfall auch an nichtgeweihte Frauen und Männer zu übertragen. „Wir müssen dabei aber Schritt für Schritt vorgehen, denn das ist nicht nur eine praktische Frage, sondern eine tiefgeistliche und theologische Frage, die das sakramentale Verständnis der Kirche berühre“, so der Bischof. Man wolle sich dabei an den Diözesen Basel und Linz orientieren, die schon erste Erfahrungen gesammelt haben, und natürlich das Gespräch in der Bischofskonferenz suchen, wie es das Kirchenrecht vorsieht.
Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs
Der Nachmittag stellte dann einen besonderen Meilenstein auf dem Weg der Aufarbeitung der leidvollen Geschichte des sexuellen Missbrauchs im Bistum Essen dar. Im vergangenen Jahr haben über 90 ehrenamtliche und hauptberufliche Frauen und Männer, darunter auch zahlreiche externe Beraterinnen und Berater in Projektgruppen gearbeitet, um die Empfehlungen der MHG-Studie aufzugreifen und nach Konsequenzen für das Bistum Essen zu fragen. Der digitale Tag der pastoralen Dienste war der Ort, an dem die Empfehlungen der Projektgruppen dem Bischof übergeben und damit der Öffentlichkeit erstmals vorgestellt wurden.
Die teilweise sehr umfassenden Ergebnisse der Arbeitsgruppen sind ab sofort im Internet zugänglich. „Viele Empfehlungen können sehr zeitnah aufgegriffen werden, eine ganze Reihe davon aber müssen noch näher ausgewertet, sortiert und dann auf ihre Umsetzung hin geprüft werden“, sagt Generalvikar Klaus Pfeffer. Auch der Bischof machte keinen Hehl daraus, dass er die Empfehlungen sehr ernst nehmen wird. Das zeigt er vor allem bei einem besonderen Thema: Die Personalarbeit für Priester, Diakone und weitere pastorale Mitarbeitende ist von externen Experten der Organisationsberatung KPMG untersucht worden. Der Untersuchungsbericht zeigt, dass es in vielen Bereichen einen großen Entwicklungsbedarf gibt. Bischof Overbeck hat deshalb bereits eine Arbeitsgruppe beauftragt, die den Bericht auswertet und eine Neuaufstellung der Personalarbeit vorantreiben soll.
Kirche prüfen und verändern
Konsequenzen aus der Missbrauchsstudie: Die MHG-Studie verweist auf Ursachen und Hintergründe im System der katholischen Kirche, die sexualisierte Gewalt und ihre Vertuschung begünstigen. Für das Bistum Essen wurden Empfehlungen erarbeitet. Mer dazu finden Sie unter: mhg.bistum-essen.de
Spannend war der Einblick, den Helga Dill vom Münchener Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) in die laufende große Aufarbeitungsstudie gewährte. Seit März des letzten Jahres führt das Institut im Auftrag des Bistums diese Studie durch, bei der es sich um das wohl wichtigste und größte Projekt handelt, mit dem die Geschichte der sexualisierten Gewalt in Ruhrbistum in den letzten Jahrzehnten aus einer wissenschaftlichen Perspektive untersucht wird. Die Studie erstreckt sich über zwei Jahre und wird nach einer intensiven Aktenuntersuchung jetzt damit beginnen, ausgewählte Fälle einer Tiefenanalyse zu unterziehen. Dazu gehören dann Interviews mit Betroffenen und Tätern, aber auch mit vielen anderen Menschen aus betroffenen Gemeinden. Befragt werden darüber hinaus Verantwortliche und Zeitzeugen aus den letzten Jahrzehnten.
Ermutigende Art der Aufarbeitung
Gerade der zweite Teil des Tages habe viele Teilnehmende beeindruckt. Generalvikar Pfeffer: „Die Art und Weise, wie sich das Bistum Essen der Auseinandersetzung mit dem Missbrauchs-Skandal stellt, ist sehr umfassend und wird von vielen als ermutigend erlebt - wenngleich deutlich wird, wie herausfordernd die anstehenden Diskussionen und Veränderungsschritte noch sein werden.“ Bischof und Generalvikar erinnerten daran, dass es auch im Bistum Essen sehr schwere Missbrauchsfälle gegeben habe, die noch längst nicht hinreichend aufgearbeitet seien.
Zum Abschluss des Tages ermutigten Bischof und Generalvikar dazu, die Empfehlungen aus allen Projektgruppen nun zu studieren und darüber ins Gespräch zu kommen. "Wir brauchen auch innerhalb unseres Bistums eine offene Diskussion - gerade über die kontroversen Fragen, bei denen wir nicht alle der gleichen Meinung sind", so Generalvikar Pfeffer.