Emotionale Abende zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals
Wut, Trauer und Unverständnis, aber auch großes Interesse – seit die Aufarbeitungsstudie des Münchener Instituts für Praxisforschung und Projektentwicklung (IPP) zur sexualisierten Gewalt im Bistum Essen vor drei Monaten veröffentlicht wurde, sind die Vorstellungen der zentralen Ergebnisse und Diskussionen darüber oft von vielen Emotionen geprägt gewesen. Das haben unter anderem Generalvikar Klaus Pfeffer und die Ressortleiterin Personal und Interne Dienste, Christiane Gerard, in den vergangenen Wochen erfahren. Zusammen mit Judith Wolf (Ressortleiterin Kulturentwicklung) und Markus Potthoff (Ressortleiter Kirchenentwicklung) haben sie die Studie in allen zehn Städten und Kreisen des Ruhrbistums vorgestellt. Mit einer Veranstaltung in Bochum-Wattenscheid ist diese Reihe am gestrigen Dienstag, 9. Mai, zu Ende gegangen. Im Interview blicken Gerard und Pfeffer auf die vielfach bewegenden Abende zurück und geben einen Ausblick auf die weitere Arbeit rund um die Konsequenzen, die das Bistum aus der Studie zieht.
Frage: Herr Pfeffer, Frau Gerard, welche Themen haben die Rückmeldungen und Fragen zur Aufarbeitungsstudie dominiert?
Klaus Pfeffer: Das war sehr unterschiedlich. Mal stand das persönliche Leid von Betroffenen im Fokus, mal die Erschütterung von Kirchenmitgliedern, die zum ersten Mal einen tieferen Einblick in die ganze Dramatik von Missbrauchsfällen bekommen haben und teilweise erstmals erfahren haben, was vor vielen Jahren in ihrer eigenen Gemeinde geschehen ist. Beeindruckt hat mich, dass viele Menschen sehr nachdenklich und selbstkritisch reagiert haben, weil die IPP-Studie aufzeigt, dass in den meisten Missbrauchsfällen viele Menschen nicht wachsam genug waren oder einfach nicht wahrhaben wollten, dass sich hinter der Fassade des charismatischen Pastors ein schrecklicher Missbrauchstäter verbarg. Besonders bewegt hat mich das große Engagement von Menschen, die unermessliches Leid durch Mitarbeitende unserer Kirche erlitten haben, die nun aber dennoch an der Aufarbeitung dieses Leids mitarbeiten. Bei einigen der zehn Veranstaltungen waren Betroffene anwesend und haben sich mit ihren persönlichen Erfahrungen in die Diskussion eingebracht. Das war für diese Abende ausgesprochen wertvoll. Ich hoffe auch sehr darauf, dass uns Betroffene auf unserem weiteren Weg der Aufarbeitung mit ihren wichtigen Impulsen begleiten werden.
Christiane Gerard: Gerade haupt- und ehrenamtliche Kirchenmitarbeitende haben vielfach auch die Präventionsbemühungen angesprochen. Seit vielen Jahren wird in unseren Pfarreien, Schulen und anderen Einrichtungen intensiv um Schutzkonzepte gerungen, damit sexualisierte Gewalt und Grenzverletzungen möglichst gut verhindert werden. In der Studie bescheinigt das IPP uns hier ein großes Engagement, zeigt aber auch auf, dass es hier noch Verbesserungsbedarf gibt, damit Prävention auch tatsächlich Wirkung erzielt. Dass darauf manche Mitarbeitende erst einmal mit Frust und Enttäuschung reagieren, ist für mich sehr nachvollziehbar. Aber wir werden natürlich sehr genau den Empfehlungen der Studie nachgehen, um besser zu werden.
Frage: Im Schnitt haben etwa 50 bis 100 Menschen die zehn lokalen Veranstaltungen besucht. Sind Sie mit der Resonanz zufrieden?
Gerard: Auf jeden Fall. So haben sich mehrere hundert Menschen in unserem Bistum intensiv mit diesem schwierigen Thema beschäftigt – und viele von ihnen werden anderen von diesen Abenden berichtet haben. Aber natürlich ist die Arbeit mit der Studie und die Diskussion über ihre Inhalte damit nicht zu Ende.
Pfeffer: Ich bin sehr zufrieden mit der Resonanz. In allen Städten und Kreisen hatten wir Menschen bei unseren Veranstaltungen, die sehr aufmerksam waren und sich intensiv mit der ganzen Problematik der sexualisierten Gewalt beschäftigten. Es war stets eine offene und intensive Atmosphäre zu spüren. Ich habe an diesen Abenden Menschen erlebt, die ihre persönliche Betroffenheit zum Ausdruck bringen konnten, die weinen konnten, die ihre ganze Wut ausdrücken konnten, ihre Trauer und ihren Zorn über eine völlige Desillusionierung eigener Kirchenbilder - und alles durfte ausgesprochen werden, wurde miteinander ausgehalten, ohne dass gleich jemand irgendetwas wegerklärt, kleinredet oder gar gerechtfertigt hat. Diese Atmosphäre des sich einander Zuwendens, Zuhörens und Verstehenwollens macht überhaupt erst möglich, dass der Skandal des sexuellen Missbrauchs besprechbar wird. Und es wächst auf diese Weise auch eine Haltung, dass die Aufarbeitung des ganzen Missbrauchs-Skandals und die Arbeit an den notwendigen Konsequenzen und Veränderungen unsere gemeinsame Aufgabe ist. Auf dieser Basis können wir nun weiterarbeiten.
Frage: Wie geht das Bistum nach diesen ersten Informationsveranstaltungen nun weiter mit der Aufarbeitungsstudie um?
Gerard: Das Gespräch und der Austausch über die Themen der Studie sind jetzt nicht beendet, ganz im Gegenteil: Wir bereiten gerade ein kleines Team von Moderatorinnen und Moderatoren vor, die auf Wunsch Treffen von Gruppen, Gremien oder Gemeinden besuchen und dort die Studien-Ergebnisse vorstellen. So tragen wir die Erkenntnisse der Studie in das ganze Bistum hinein und können viele weitere Menschen dafür gewinnen, unsere Präventionsanstrengungen zu unterstützen und alle weiteren Arbeiten zur Prävention, Intervention und Aufarbeitung mitzutragen. Auch wenn der Missbrauchsskandal viele von uns schon Jahre begleitet: Wir stehen immer noch am Anfang – und mit der Studie können wir nun große weitere Schritte einleiten.
Pfeffer: Natürlich nehmen wir die rund 90 Empfehlungen der Studie sehr ernst und haben eine Arbeitsgruppe damit beauftragt, die Empfehlungen zu sichten und zu thematischen Paketen zusammen zu fassen. Verschiedene Expertinnen und Experten sollen daraus konkrete Vorschläge erarbeiten, damit wir einen besseren Überblick bekommen, was genau alles getan werden sollte. Im Herbst können wir diese Vorschläge dann bewerten und klären, was möglichst schnell umgesetzt werden sollte. Natürlich hängt das dann auch von unseren finanziellen und personellen Möglichkeiten ab. Aber klar ist: Wir müssen eine ganze Menge tun, damit sich nicht wiederholt, was in der Geschichte unseres Bistums an Schrecklichem geschehen ist.