von Thomas Rünker

Ein hölzerner Schatz in neuem Glanz

Die Sanierung der rund 630 Jahre alten gotischen Christus-Figur im Atrium des Essener Doms ist abgeschlossen. Einem der ältesten großen Holzkruzifixe im deutsch-sprachigen Raum hat selbst der jahrhundertlange Außeneinsatz im Herzen der Industrialisierung kaum etwas ausgemacht.

Eichenholz, gut 630 Jahre alt – und doch geradezu jugendlich frisch. So präsentiert sich jetzt wieder die überlebensgroße Christus-Figur im Atrium des Essener Doms. Mehrere Wochen lang hat sich ein Team um die Restauratorin Carmen Seuffert der Gruppe Köln des Kruzifixus in rund sechs Metern Höhe angenommen und das Holz gereinigt und ausgebessert. Eine dringend notwendige Sanierung mit Pinseln und Wattestäbchen, die der Essener Münsterbauverein und die „Dr. Josef und Brigitte Pauli“-Stiftung finanziert haben. Zugleich hatten dank des Gerüsts die Leiterin der Domschatzkammer, Andrea Wegener, und Dombaumeister Ralf Meyers Gelegenheit, aus nächster Nähe die Holzfigur und seine Geschichte zu untersuchen. Für Wegener steht nun mehr denn je fest: Die Figur „gehört sicherlich zu den ältesten erhaltenen Kruzifixen im Außenbereich in dieser Region. Ein kunsthistorisch äußerst bedeutender Schatz mitten in der Essener Innenstadt“.

Altersbestimmung durch Vergleich der Dicke und Abstände der Jahresringe

Die Entstehungszeit des aus einem einzigen Eichenstamm geschnitzten Corpus‘ konnte nun deutlich enger eingegrenzt werden als zuvor: Durch einen heute möglichen optischen Vergleich der Dicke und Abstände der Jahresringe, die sich aufgrund der Witterung beim Wachstum unterschiedlich entwickeln, mit den Jahresringen anderer historischer Hölzer ist nun klar, dass die Eiche „um 1375 im Rheinland geschlagen wurde“, so Wegener. „Dann wurde das Holz sicher zunächst einmal gelagert, bevor es für das Kruzifix bearbeitet wurde“, erläutert Meyers. So dass nun „um 1385“ als Entstehungszeit gilt.

Dann folgt eine einigermaßen wechselvolle Geschichte des Kruzifixes – die in vielen Facetten trotz aller Forschung bis heute unklar bleibt. Sicher sind sich Wegener und Meyers, dass die Christus-Statue nicht von Beginn an für den Freiluft-Einsatz gedacht war. „Ich vermute, dass es ein Triumph-Kreuz war, das zunächst über dem Altar hing“, sagt Wegener. Im Sommer 1316 war nach einem Brand und rund 40 Jahren Bauzeit der gotische – mittlere – Teil des heutigen Dom geweiht worden. 1370 wurde Elisabeth von Nassau-Hadamar zur Äbtissin des Essener Frauenstifts gewählt, von der man weiß, „dass sie Um- und Ausbauarbeiten an der gotischen Kirche fortgeführt hat“, so Wegener. Womöglich hat sie in diesem Zuge auch das große gotische Kruzifix in Auftrag gegeben.

Vermutlich rund 350 Jahre später wurden Kreuz und Corpus dann jedoch aus der Kirche an die – damals zumindest noch recht saubere – Luft gesetzt. „1731 hat Äbtissin Franziska Christine die Stiftskirche komplett im Stil des Barock umgebaut“, erklärt die Schatzkammer-Chefin. Viele gotische Ausstattungselemente wichen verschnörkeltem Barock.

Fast drei Jahrhunderte im Freien - in der Hochphase und im Herzen der Industrialisierung

Gut 280 Jahre im Außeneinsatz, in der Hochphase und im Herzen der Industrialisierung – und dennoch präsentiert sich das Kruzifix heute „in einem sehr, sehr guten Zustand“, urteilt Wegener. Baufachmann Meyers überrascht das nicht: „Eichenholz kann unglaublich haltbar sein“. Zumal die Figur im Krieg während der Bombenangriffe im stabilen Westwerk des Doms gelagert war. Zudem wurde das Kruzifix früher nicht so freizügig gezeigt wie heute. „Der Corpus war die meiste Zeit mit einer Leinwand umhüllt“, weiß Wegener aus historischen Aufzeichnungen und aus Materialproben. Diese Leinwand war weniger Hülle als Gestaltungselement: „Auf ihr wurden zum Beispiel mit roter Farbe an den Händen und an der Seite des Gekreuzigten die Wundmale samt Blutstropfen dargestellt.“ Warum man sich irgendwann gegen die Leinwand entschied bleibt jedoch unklar.

Blattgold für den Lendenschurz

Ähnliche Rätsel gibt der goldene Lendenschurz auf, den die Restauratorin jetzt in feinster Pinzettenarbeit mit hauchdünnem Blattgold ausgebessert hat. „Ob der Schurz immer schon vergoldet war oder erst, seit das Kruzifix ohne Leinwand gezeigt wird – wir wissen es nicht“, sagt Wegener. Doch diese und viele offene Fragen ändern nichts an dem für die Schatzkammer-Chefin persönlich wichtigsten Faktum rund um die Figur: „Sie ist einfach wunder-, wunderschön!“

Und das soll sie nun auch erst einmal ein paar Jahre bleiben: Das Holz leuchtet sauber und natürlich und hat so dicht verschlossene Poren, dass die Fachleute sich wegen der Luftfeuchtigkeit keine Sorgen machen. Zumal ein verlängertes Dach nun auch die meisten Regentropfen abhalten dürfte. Klar ist dennoch: Auch Meyers und Wegeners Nachfolger werden sich immer mal wieder um das Kruzifix kümmern müssen – auch das beste Eichenholz kommt nicht ohne Pflege aus.

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