von Cordula Spangenberg

„Dramatische Chancen“ durch Digitalisierung

Zum Amtsantritt der Diözesan-Caritasdirektorin Sabine Depew diskutierten Entscheider aus Kirche, Politik und Kommunen über soziale Arbeit unter radikal veränderten Bedingungen

Nur wenn die Wohlfahrtsverbände sich zügig und engagiert auf die radikalen Folgen einlassen, die die Digitalisierung der gesamten Gesellschaft mit sich bringt, werden sie ihre gemeinnützigen Aufgaben weiter wahrnehmen und sozialpolitisch in Zukunft eine relevante Rolle einnehmen können. Auf diese Position haben sich Vertreter von Kommunen, Politik und Caritas am Freitag, 8. September, bei einem Polit-Talk des Diözesan-Caritasverbandes für das Bistum Essen verständigt. Die Amtseinführung der neuen Diözesan-Caritasdirektorin Sabine Depew hatte der Verband zum Anlass genommen, rund 200 Gästen und Entscheidern aus Kirche, Sozialverbänden, Politik und Kommunen die neuen Voraussetzungen der Arbeit eines modernen Sozialverbandes vorzustellen.

„Dramatische Chancen“ eröffne die Digitalisierung für die Arbeit mit alten oder behinderten Menschen, aber auch für die Online-Beratungsarbeit, sagte Eva-Maria Welskop-Deffaa, sozialpolitischer Vorstand des Deutschen Caritasverbandes: „Wir sind es unseren Klienten schuldig, dass wir da nichts verpassen.“ Die gemeinnützig arbeitenden Sozialverbände müssten die digital aufgestellten Geschäftsmodelle ihrer kommerziellen Mitbewerber verstehen und selbst anwenden, um entscheiden zu können, mit wem man künftig zusammenarbeiten wolle: „Und da müssen wir uns sputen.“

Junge Menschen sind besser übers Netz erreichbar

Gastgeberin Sabine Depew erklärte, vor allem junge Menschen mit Hilfebedarf erreiche man nicht mehr mit Streetwork als klassischer Methode sozialer Arbeit, sondern vor allem über das Internet. „Die ersten Kontakte junger Menschen zur Beratungsstelle im Netz sind oft anonym. Langsam wird Vertrauen aufgebaut, und vielleicht gibt es dann später auch einen direkten persönlichen Kontakt.“ Wenn die Caritas diesen Anschluss verpasse, werde sie einen Teil der Ratsuchenden nicht mehr erreichen.

Die Digitalisierung könne zum Segen, aber auch zum Fluch werden, urteilte der Wattenscheider Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel (SPD). Ein Segen sei es sicher, wenn die alleinstehende Witwe über Skype Kontakt zu ihrem Enkel halten könne. Zum Fluch werde die digitale Kommunikation hingegen, wenn sozial abgehängte Menschen keinen Zugang zum Internet hätten und nicht lernen könnten, wie Online-Kommunikation funktioniert.

Diese Befürchtung teilte auch Peter Renzel, dem als Sozialdezernent der Stadt Essen zunehmend Fälle älterer Menschen zugetragen würden, die keinerlei sozialen Bezüge mehr hätten. „Neben der Entwicklung digitaler Kontaktmöglichkeiten müssen wir darauf achten, dass wir schlicht den Menschen in der Nachbarschaft nicht aus dem Auge verlieren.“ Das sei eine wichtige Aufgabe der Caritas, schrieb er den Gastgebern des Polit-Talks ins Stammbuch. Auch für junge Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren wollten, sei der Kontakt vor Ort wichtig, sagte Renzel, der im Beirat der „youngcaritas im Ruhrbistum“ sitzt. Jugendliche bewegten sich virtuos im Netz, bräuchten aber auch Beteiligungsmöglichkeiten an Ehrenämtern in ihren Stadtteilen.

Die Schwerpunkte: Digitale Agenda und Lobbyarbeit für das Ruhrgebiet

Der Polit-Talk mit Gottesdienst und Rahmenprogramm zur Amtseinführung Sabine Depews bot auch Gelegenheit, die neue Caritasdirektorin und ihre Pläne zur strategischen Neuausrichtung des Diözesan-Caritasverbandes kennenzulernen. Die Diplom-Pädagogin und Soziologin hatte zuvor seit 1993 beim Diözesan-Caritasverband Köln Leitungsverantwortung für die Fachthemen rund um Europa, Förderpolitik und Arbeitsmarktfragen, später im Geschäftsfeld der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Fort- und Weiterbildung. Der Caritas im Ruhrbistum schreibt die gebürtige Bonnerin nun zwei Schwerpunkte auf die Fahnen: die digitale Agenda und die soziale Lobbyarbeit auf Landesebene für die Metropolregion Ruhr – Themen, die sich derzeit rasant entwickeln, einen hohen Weiterbildungsstandard der Mitarbeitenden des Verbandes und eine „moderne und agile Arbeit“ – so Depew – erforderten.

Das dies in Zeiten knapper werdender Finanzen und eines gewaltigen gesellschaftlichen Wandels in einem vergleichsweise kleinen deutschen Bistum eine ambitionierte Aufgabe ist, bestätigte auch Generalvikar Klaus Pfeffer, der als Vorsitzender des Caritasrates den Gottesdienst zum Amtsantritt der Caritasdirektorin feierte. „Uns Christen wird derzeit äußere Macht genommen, an die wir uns durch volkskirchliche Selbstverständlichkeiten gewöhnt haben“, sagte Pfeffer in seiner Predigt. Die Welt scheine ihre Werte zu verlieren und von Angst und Panik geleitet zu sein. Den „rechtspopulistischen Parolenschreiern“ mit ihrer Haltung: „Ich zuerst! – Der Rest der Welt ist mir egal!“ hätten Christen jedoch etwas entgegenzusetzen: Jedem einzelnen Menschen Würde und Lebensrecht anzuerkennen im Wortsinn der „Caritas“ als Barmherzigkeit und Nächstenliebe.

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