von Thomas Rünker

Das Ruhrgebiet braucht einen langen Atem

Vor dem Hintergrund der Ruhr-Konferenz diskutierten am Donnerstagabend Bischof Overbeck, Minister Holthoff-Pförtner und Evonik-Chef Kullmann in der Mülheimer „Wolfsburg“ über die Perspektiven der Region.

Den Begriff „Strukturwandel im Ruhrgebiet“ möchte Christian Kullmann am liebsten nicht mehr hören. „Dahinter steckt die Haltung: Der Wandel fängt an – und dann hört er auch wieder auf“, sagte der Chef des Essener Chemiekonzerns Evonik am Donnerstagabend in Mülheim. Das sei naiv. „Dass Veränderung so funktioniert, glaubt eigentlich keiner, denn Veränderung ist ein kontinuierlicher Prozess – und doch haben wir viele Jahrzehnte versucht, so zu tun, als ob der Wandel irgendwann beendet ist.“ Mit seinen Diskussionspartnern auf dem Podium der Akademie „Die Wolfsburg“, Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck und NRW Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner, war sich der Manager einig, dass der Wandel verstetigt werden muss – und dass die Notwendigkeit zur ständigen Veränderung längst kein Alleinstellungsmerkmal des Reviers ist.

Weil die frühere Region von Kohle und Stahl in vielen Bereichen Nachholbedarf hat, hat die NRW-Landesregierung die Ruhr-Konferenz ins Leben gerufen. An der sind alle Gäste des von „Wolfsburg“-Direktor Michael Schlagheck moderierten und von Bistum und Initiativkreis Ruhr organisierten Gesprächs beteiligt: Der Minister koordiniert, der Bischof begleitet im Beirat und der Konzernchef – aus Gelsenkirchen stammender BVB-Fan und -Aufsichtsrat mit einem Schalke-Gründungsmitglied als Urgroßvater – betreut das Themenforum Sport. Bei der Ruhr-Konferenz wolle man über fachliche und kommunale Grenzen hinweg Gutes für das Revier erarbeiten, sagte Holthoff-Pförtner: „Wir freuen uns, dass da ein gemeinsames Herangehen entsteht, das war früher nicht üblich im Ruhrgebiet.“ Und: Anders als früher „stehen bei der Ruhr-Konferenz nicht die Fördermittel am Anfang – sondern die gute Idee“, betonte der CDU-Politiker. In 20 Themenforen wird diskutiert – zum Beispiel über Innovation und Digitalisierung, Arbeit, Pflege, Tourismus, Bildung, Mobilität, Kultur oder Gesundheit. Dann werden Ideen geschmiedet und – mal öffentliche, mal private – Financiers gesucht.

„Wir brauchen eine Vielzahl von Prozessen – und sie müssen von Inhalten bestimmt sein, die sich einlösen lassen“, sagte Bischof Overbeck, der die Rolle des Ruhr-Konferenz-Beirats als „kritischer Betrachter“ beschreibt, der „den gesamten Prozess im Blick hat und auf die Nachhaltigkeit der Ergebnisse achtet“. Auch Overbeck warb für langen Atem anstelle von kurzfristigem Aktionismus – und dafür, Veränderung als Prozess zu verstehen. „Im Ruhrbistum haben wir in den vergangenen zehn Jahren gesehen, dass das geht.“

Kullmann: „Für mich ist und bleibt es das Ruhrgebiet“

Evonik-Chef Kullmann steht für einen handfesten, am wirtschaftlichen Erfolg orientierten Blick auf das Revier und hält wenig von „rein akademischen Diskussionen“ über die Region. „Für mich ist und bleibt es das Ruhrgebiet“, sagte er mit Verweis auf die seit Jahrzehnten laufenden Debatten über das Revier als polyzentrische Region oder Ruhrstadt. „Das bedeutet alles nichts“, so Kullmann. Bedeutsam für die Region seien aber zum Beispiel „tolle Theater, unsere gute Kulturlandschaft – doch das kostet viel Geld.“ Deshalb sei „der Schlüssel für all das, was wir hier diskutieren, wirtschaftlicher Erfolg, Wachstum“, hob Kullmann hervor. Für diesen Erfolg sei die Wirtschaft auf eine bessere Infrastruktur in der Region angewiesen. Doch am Standort Marl „holen wir den Großteil unserer Rohstoffe über Schleusen, die zu den ältesten in Deutschland gehören“, beklagte der Konzernchef. „Und in Wesseling bekommen wir unsere tollen Produkte kaum zum Kunden, weil eine Autobahnbrücke bei Köln nur Lkw bis 3,5 Tonnen Gewicht trägt.“ Er sei „dankbar für die Unterstützung der Landesregierung“, betonte Kullmann, „aber ich bin verärgert über das viele Hin und Her im Bund.“ Er verwies auf asiatische Länder, in denen Investitionsprojekte viel schneller umgesetzt werden müssten.

„Aber wir brauchen einen wirtschaftlichen Erfolg, den die Menschen mitgehen“, entgegnete Minister Holthoff-Pförtner. Er wolle „weder in China noch in Singapur leben – das sind unfreie Länder“. Auch Kullmann will Freiheit und Rechtsstaat in Deutschland nicht missen, betonte aber: „Wir stehen in einem Wettbewerb. Wer sich in moralischer Erhabenheit wähnt, wird diesen Wettbewerb nicht gewinnen.“ Würde deutschen Anbietern der chinesische Markt verschlossen, „hätte das auf jeden Fall deutliche Auswirkungen auf unseren Arbeitsmarkt – so groß ist die Abhängigkeit.“ Holthoff-Pförtner entgegnete: „Wir können die Herausforderungen nicht lösen, indem wir unsere Auftragslage retten.“ Und auch der Bischof betonte, dass „unsere freiheitlich-demokratische Ordnung so große Vorteile bietet, dass ich sie auf keinen Fall eintauschen möchte“, er jedoch „die globale Spannung“ nicht auflösen könne.

Einig waren sich Minister, Manager und Bischof indes in der Einschätzung, dass man China und anderen Wirtschaftsmächten nur als geeintes Europa begegnen könne.

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