von Thomas Rünker

Das Dialogkreuz des Bistums Essen am Berg der Kreuze in Litauen

Ein Kölner Theologe hat das Kreuz aus dem Ruhrbistum zur weltbekannten Wallfahrtsstätte im Norden Litauens gebracht, wo mittlerweile unzählige Kruzifixe für Lebens- und Glaubensgeschichten stehen. Ein Glaubensort zwischen Mystik und Kitsch – und zugleich ein Symbol für den politischen Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit.

Kitschig oder schlicht, aus Holz, Metall oder Plastik, mit Korpus oder ohne – seit Jahrzehnten stellen Menschen in Litauen Kruzifixe auf den Berg der Kreuze (Kryži? kalna). Zehntausende sind so mittlerweile zusammengekommen. Seit Donnerstag steht auch ein Dialogkreuz des Bistums Essen an dem Wallfahrtsort im Norden der baltischen Republik. Mitgebracht und dort aufgestellt hat es der Kölner Theologe und Journalist Klaus Nelißen, der in diesem Sommer in Litauen unterwegs ist.

Ein Kreuz, dessen Verlust „ein bisschen ,weh‘ tut“

„Ich wollte ein Kreuz mitnehmen, das mir auch ein bisschen ,weh‘ tut, wenn ich es da lasse“, schreibt Nelißen über das Dialogkreuz am Berg der Kreuze. Er habe das Dialogkreuz einst von einem Mitarbeiter des Ruhrbistums geschenkt bekommen. „So eine Geste habe ich noch von keinem anderen Bistum erfahren“, so Nelißen, der stellvertretender Rundfunkbeauftragter der NRW-Bistümer beim WDR ist sowie Pastoralreferent des Bistums Münster. Das Kreuz sei „ebenso stabil wie leicht“. Es erinnere ihn „an ,Hüpfkästchen‘ - und das mag ich, denn Glaube soll auch Spaß machen.“ Gerade osteuropäische Katholikinnen und Katholiken würden der Kirche in Deutschland ja manchmal vorwerfen, „wir würden ,nicht richtig‘ glauben. Da fand ich es charmant, in diese Polyphonie von Kreuzesdarstellungen – bei einem hat Jesus Schmetterlingsflügel – ein strenges, leichtes, verspieltes Kreuz eines Bistums hinzuzufügen, das sich aus meiner Sicht redlich auf den Weg eines Katholischseins im Heute macht.“

„Hinter jedem Kreuz stehen Lebensgeschichten“

Nelißen hat der Besuch am Berg der Kreuze beeindruckt: „Ich sah Frauen, die in sengender Hitze an einem bestimmten Kreuz beteten, oder ein altes Ehepaar, das gemeinsam ein ebenso reich verziertes wie – für mich – kitschiges Kreuz den Hügel hinauftrug. Das hat mich berührt.“ Sicher habe der Berg mittlerweile „eine gewisse ,Instagram-Attraktivität‘“, verweist Nelißen auf die unzähligen oft mystisch bis skurril wirkenden Fotos von der Wallfahrtsstätte, die in Sozialen Netzwerken kursieren. „Aber hinter jedem Kreuz stehen Lebensgeschichten. Diese Geschichten, geronnen in diese Volksfrömmigkeit, das macht etwas demütig – und zugleich fühle ich mich damit in meinem Katholischsein verbunden.” Mindestens 50.000 Kreuze sollen dort stehen – so viele Kruzifixe haben die Studierenden der Uni Vilnius gezählt, als sie Anfang der 1990er Jahre dem Geheimnis des Hügels mit wissenschaftlichen Methoden auf den Grund gehen wollten. Dann haben sie kapituliert vor der schieren Masse der aufgestellten Freiluft-Devotionalien.

Die kleinen Kruzifixe, die an vielen der großen Kreuze angehängt sind, hatten die jungen Leute damals gar nicht mitgezählt. Auch ein solches hat Nelißen mit zum Berg gebracht: „Ich habe den Rosenkranz meiner Nenntante Leni dort gelassen.“ Auf dem Sterbebett habe er der Frau versprechen müssen, Priester zu werden. „Das bin ich nicht geworden. Und heute denke ich, dass Tante Lenis Frömmigkeitszeugnis – ihr Rosenkranz – hier besser aufgehoben ist als bei mir.“

Das Dialogkreuz des Bistums Essen

Das Dialogkreuz ist ein Metallgerüst, zusammengesetzt aus einem langen und einem kurzen Element, stabil und transparent zugleich. Erdacht und konstruiert von Pater Abraham Fischer in seiner Schmiede in der sauerländischen Benediktinerabtei Königsmünster, steht dieses Kreuz seit 2011, dem Beginn des Dialogprozesses im Bistum Essen, symbolisch für eine neue Kultur des Dialogs und des Miteinanders in der Kirche zwischen Rhein, Ruhr und Lenne. Eine Kultur, die von Offenheit geprägt sein soll. Hinter diesem Kreuz kann man sich nicht verstecken - aber es steht für Halt und Stabilität. Seit dem vergangenen April ist das Dialogkreuz zudem das zentrale grafische Logo des Bistums Essen.

Ein politischer Ort

Neben unendlich vielen persönlichen Geschichten war der Berg der Kreuze auch immer ein politischer Ort. Viele Kreuze stehen für Opfer der sowjetischen Besatzung zwischen 1940 und dem Anfang der 1990er Jahre. Und als die sowjetischen Machthaber den – damals noch deutlich übersichtlicheren – Kreuz-Hügel angesichts seiner Symbolkraft als Ort des Widerstands Anfang der 1960er Jahre niederwalzten, standen am nächsten Tag mehr Kreuze dort als zuvor. Über Nacht eilig aufgestellt und eingegraben von mutigen und gläubigen Menschen in Litauen. Ein Prozedere, das sich in den folgenden Jahren wiederholte und stets nur für mehr Widerstand sorgte – während die Popularität des Berges mit der Zahl der Kreuze wuchs. Nelißen: „Der Berg der Kreuze zeigt, wie viel Substanz an Glauben geblieben ist – trotz kommunistischer Besatzung und KGB-Bespitzelung.“ Wohl auch deshalb ist Papst Johannes Paul II. 1993 zum Berg der Kreuze gekommen, um dort zu beten.

Bald 30 Jahre später könnte die politisch-religiöse Bedeutung des Berges der Kreuze für die Menschen in Litauen wieder wichtiger werden: Zwischen der russischen Enklave Kaliningrad und Weißrussland wächst die Angst vor Spannungen mit den Nachbarstaaten. Als Teil der Nato soll die deutsche Bundeswehr in Litauen helfen, für Sicherheit sorgen. Gut 120 Kilometer südöstlich vom Berg der Kreuze in Rukla stationiert, laden die Militärseelsorgerinnen und –seelsorger immer wieder zu Pilgerfahrten zum Berg der Kreuze ein.

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