Damit die Kirche im Dorf bleibt: Förderverein übernimmt Herz-Jesu in Duisburg-Serm

"Herzlich willkommen!" Heide Apel und Michael Germ vom Förderverein der Kirche Herz-Jesu in Duisburg-Serm stehen im Eingang des Gotteshauses, das jetzt vom Förderverein betrieben wird. Foto: Oliver Müller | Bistum Essen
Öffentliche Kirche in privater Hand: Förderverein betreibt Herz-Jesu in Duisburg-Serm
Gemeindemitglieder gestalten Wortgottesfeiern und halten die Kirche als Treffpunkt lebendig
Rücklagen und Mitgliedsbeiträge sichern den Erhalt voN Kirche und Gemeindegebäuden
Duisburg-Serm ist ein malerisches Fleckchen Ruhrgebiet: Rund 2200 Menschen leben hier an der Stadtgrenze zu Düsseldorf in einer Siedlung zwischen Wiesen und Feldern. Im Norden schirmt die Bundesstraße ein Stahlwerk ab, im Süden ist es nicht weit bis zum Rhein – und mitten in „Kappesserm“, wie die Menschen hier ihr Dorf nennen, steht die Herz-Jesu-Kirche, mit deren Bau vor 100 Jahren begonnen wurde. 2018 entschied die Pfarrei St. Judas Thaddäus, das backsteinroten Gotteshaus wegen zu hoher Kosten und zu wenig Personal zu schließen. Doch nun haben die Leute in Serm mit ihrem Förderverein die Kirche übernommen, um sie – das ist das Besondere – als Gotteshaus zu erhalten. „Wir haben hier Deutschlands erste öffentliche Kirche in privater Hand“, sagt der Vereinsvorsitzende Michael Germ.
Dass sich katholische Pfarreien von ihren Kirchen trennen, ist seit den Nuller-Jahren keine Seltenheit, gerade im Bistum Essen: Heute zählt die Kirchenregion zwischen dem Rhein und dem Märkischen Sauerland nicht mal mehr halb so viele Gläubige wie zur Bistumsgründung 1958. Deshalb wurden in den vergangenen Jahren viele Kirchen, Gemeindeheime und Pfarrhäuser verkauft oder verpachtet. Einige wurden abgerissen, viele ehemalige Gemeindegebäude werden heute neu genutzt, zum Beispiel für Wohnungen, KiTas oder für kulturelle Zwecke. Werden in Kirchengebäuden nach einer solchen Umwandlung keine Gottesdienste mehr gefeiert, werden sie profaniert, also entwidmet. In der Duisburger Kirche Herz-Jesu ist das anders: Sie wechselt zwar den Eigentümer, wird aber weiter als Gotteshaus genutzt.
Ehrenamtliche Gemeindemitglieder gestalten regelmäßige Gottesdienste
Dafür sorgen unter anderem Marlies Schmitz und Monika Simon. Die beiden ehrenamtlichen Gemeindemitglieder laden mehrmals in der Woche zu Wortgottesfeiern ein, in denen Texte aus der Bibel, Gebete und Gesang im Vordergrund stehen. „Die ganze pastorale Arbeit liegt in den Händen von Marlies Schmitz und Monika Simon, unterstützt von Helferinnen und Helfern“, hebt Heide Apel, Vorstandsmitglied im Förderverein, dieses tatkräftige und zentrale Engagement für die Arbeit in Herz Jesu hervor.
Diese Gottesdienste sind keine Messfeiern – und doch können die Gläubigen zu bestimmten Gelegenheiten auch die Kommunion empfangen. Alle zwei Wochen feiert die Gemeinde samstags um 18 Uhr ihren zentralen Gottesdienst. Hinzu kommen zum Beispiel Schulgottesdienste oder vor zwei Tagen die Andacht zu Aschermittwoch. Manchmal kommt auch Pfarrer Andreas Brocke oder ein anderer Priester der Pfarrei und feiert mit den Gläubigen am Samstagabend eine Messe. „Aber egal, ob Messe oder Wortgottesfeier, die Leute kommen so oder so“, sagt Fördervereinschef Germ – auch unter der Woche. „Die offene, immer passend zum Kirchenjahr geschmückte Kirche zieht auch tagsüber Besucherinnen und Besucher an“, berichtet Apel. Zudem kämen viele KiTa-Kinder auf dem Nachhauseweg in die Kirche, um in der Spielecke vorbeizuschauen „und dem lieben Gott ,Guten Tag‘ zu sagen“. Und zugleich ist Herz-Jesu eben nicht nur ein Ort für Besinnung und Gebet, sondern auch ein Treffpunkt in Serm: Nach den Samstagabend-Gottesdiensten gibt’s hinten in der Kinderecke Getränke, Knabbereien und den neuesten Dorf-Tratsch.
Die Landwirtin Marlies Schmitz ist eine der Mütter der Fördervereins-Lösung. Kurz nach der Schließungs-Entscheidung habe man seinerzeit bei Schmitz am Küchentisch gesessen und überlegt, wie es nun weitergehen soll, erinnert sich Apel, die damals mit dabei war. Man wollte die Kirche erhalten – aber von Protestideen habe man sich schnell verabschiedet. „Ziel war eine konstruktive Lösung, ein Konsens-Modell“, sagt Germ, der mittlerweile Ruheständler ist und sein Berufsleben im Umfeld von Rechtsanwaltskanzleien und Notariaten verbracht hat.
Jahrelange Planungen, Überlegungen, Entwicklungen und viele Gespräche
Dieses Verständnis für Verträge und Verhandlungen war nun Gold wert. Denn auf die erste „wir übernehmen unsere Kirche“-Idee folgten jahrelange Planungen, Überlegungen, Entwicklungen – und vor allem viele, viele Gespräche. Zunächst mit der Pfarrei, die die Kirche ja eigentlich schließen will – und in deren Kirchenvorstand Germ damals saß. Vielleicht ist dies eines der Erfolgsgeheimnisse in Serm: Es geht dort selten „wir gegen die“, stattdessen ist die gemeinsame Lösung – der Konsens – für die Menschen im Förderverein oft das wichtigste Ziel.
Nun steht eine Lösung, die wohl mindestens eine Win-win-win-Situation ist: Der Förderverein betreibt eigenständig die Kirche – zusammen mit dem Gemeindeheim und dem ehemaligen Pfarrhaus nebenan –, die Pfarrei ist die finanzielle Last der Immobilien los und hat dennoch einen funktionierenden Gottesdienststandort in ihrem Sprengel. Die Aufsichtsgremien im Bistum Essen sind ebenfalls zufrieden mit dieser innovativen Lösung, wohl auch, weil Pfarrer Brocke weiter der Rektor von Herz-Jesu bleibt und notfalls eine missliebige Nutzung der Kirche untersagen könnte, wenn womöglich einmal ein neuer Fördervereins-Vorstand andere Pläne hat. Zugleich betonen Pfarrei und Bistum: Die in Serm gefundene Lösung ist ein maßgeschneiderter Einzelfall, der sich nicht ohne weiteres auf andere Kirchen übertragen lässt.
Doch in Serm, da scheint er zu funktionieren. Und das liegt vor allem an den Menschen dort „Hier wird die Pastoral vollständig von Ehrenamtlichen gemacht“, sagt Pfarrer Brocke. „Als Mitglieder des Pastoralteams kommen wir ab und an hier her und feiern Taufen oder Trauungen, die Erstkommunion oder andere Messen zu besonderen Anlässen – aber wir machen hier in der Regel nur noch die Dinge, die von einem Priester oder Diakon übernommen werden müssen.“ Trotzdem ist Brocke in Serm präsent, kommt zum Gemeindefest, zum Karneval und zum Totengedenken an Allerheiligen. Diese Verbindung zur Pfarrei, die ist allen hier wichtig.
Ehrenamtliche haben viel Entscheidungs-Freiheit
Aber die inhaltliche und organisatorische Arbeit, die erledigt der Förderverein. 15 Menschen gehören dort zum harten Kern, so wie Germ als Vorsitzender, Marlies Schmitz und Monika Simon im Bereich Gottesdienste und Heide Apel, die die Öffentlichkeitsarbeit koordiniert. Weitere Menschen kümmern sich zum Beispiel um die Vermietung im Gemeindeheim, die Gestaltung des Programms für Familien oder die Finanzen des Vereins. Germ nennt diese verschiedenen Bereiche die „Säulen“ des Fördervereins und betont: „Wer bei uns eine der Säulen leitet, entscheidet dort frei. Die Leute können sich in ihren Säulen also selbst verwirklichen.“ Der Vorsitzende weiß, dass dieses große Vertrauen in die eigenen Leute den Sermer Verein von vielen anderen ehrenamtlich getragenen Gruppen, Clubs und Verbänden und manchen Unternehmen unterscheidet. Er vermutet, dass sie in Serm auch deshalb keine Nachwuchssorgen haben. Ihr 15-köpfiges Kernteam umfasst Menschen ab 40, rund die Hälfte sind Ruheständler, die anderen engagieren sich neben ihrem Hauptberuf für Herz Jesu, das Herz ihres Dorfs.
Und sie sind längst nicht allein. Als kürzlich etwas an der Kirche kaputt war, kamen nicht nur Handwerker mit einem Kran, sondern auch viele fleißige – und fachkundige – Hände, um mit anzupacken, erzählt Apel. Wenn der Förderverein ruft, ist „Kappesserm“ auf den Beinen, und das nicht nur zum Arbeiten: In der Kirche gibt’s neben den Gottesdiensten immer mal ein Konzert, im benachbarten Gemeindeheim lädt der Verein zum Quizabend oder zur Kinderdisco … -es läuft in Serm. „Dieser Ort hat eine starke Identität“, sagt Pfarrer Brocke, „die Leute hier erleben, dass sich der Förderverein um sie kümmert“. Und Germ ergänzt: „Die Menschen haben verstanden, dass es nicht nur der Förderverein ist, der etwas tut, sondern auch die Kirche“.
Rücklagen, um Gebäude instand halten zu können
Zudem läuft dieses innovative Konstrukt auch finanziell: Eine Rücklage von 200.000 Euro will der Verein bis Ende des Jahres angespart haben, um auch künftige Reparaturen an der Kirche finanzieren zu können, die sich nicht über das spontane Engagement der Dorf-Bewohner regeln lassen. „Das schaffen wir“, sagt Germ. Und anschließend werde eine ähnliche Rücklage für das Gemeindeheim angespart. Mieten – zum Beispiel der Stadt, die das Gemeindeheim werktags für den Offenen Ganztag der Grundschule nutzt – und die Beiträge der rund 420 Vereinsmitglieder sorgen nicht nur für ein entsprechendes Polster, sondern auch für weitere Finanzierungsmöglichkeiten. „Wir unterstützen alle Gruppen, die hier im Dorf aktiv sind“, so Germ. So gab’s zuletzt 150 Euro für Weihnachtsplätzchen für Senioren sowie einen Zuschuss für die örtliche Pfadfindergruppe.
Und wenn es demnächst finanziell doch mal eng werden sollte, geht Germ mit seinem Vereinsvorstand wieder auf Werbetour. „Wir haben da noch eine stille Reserve“, sagt er schmunzelnd. Als sie zuletzt „Klinken putzen“ waren, um ihre Nachbarinnen und Nachbarn von einer Mitgliedschaft im Förderverein zu überzeugen, „haben wir nur die Einfamilienhäuser besucht“. Bei der nächsten Offensive stehen auch die Mehrfamilienhäuser auf ihrem Plan. Dabei geht’s dann nicht nur um Geld für die Vereinskasse, sondern auch um die Statistik: „Wir wollen natürlich der größte Verein in Serm werden.“ Noch zähle die Karnevalsgesellschaft wohl ein paar Mitglieder mehr. Aber das sei in Serm vor allem Dorf-Jux, sagt Germ. Viele seien sowohl im Förderverein als auch beim Karneval und bei den Schützen. Auf ihrer Internetseite www.kirche-serm.de haben sie sowieso alle Vereine aufgeführt, schließlich dreht sich das Engagement aller um ihr gemeinsames Dorf.