von Thomas Rünker

„Christsein ist keine einfache Angelegenheit“ – Generalvikar Pfeffer über die bleibende Bedeutung Dietrich Bonhoeffers

Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer beschäftigt sich seit Langem mit dem evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der am 9. April vor 80 Jahren von den Nationalsozialisten hingerichtet worden ist. Im Interview spricht Pfeffer darüber, was Bonhoeffer den Menschen auch heute noch zu sagen hat – unter anderem durch sein Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“.

Generalvikar Pfeffer betont Bonhoeffers aktuelle theologische Impulse

Gedicht „Von guten Mächten“ als Ausdruck tiefen Glaubens in schwerer Zeit

Bonhoeffer als Pazifist: Widerstand aus christlicher Verantwortung

Vor 80 Jahren wurde der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer als einer der letzten Widerständler von den Nationalsozialisten hingerichtet. Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer hat sich intensiv mit dem Leben und Wirken Bonhoeffers auseinandergesetzt. Insbesondere seine Briefe aus dem Gefängnis „enthalten für so viele Lebensfragen ganz wichtige Impulse – und Ansätze einer Theologie, die heute brandaktuell ist“, sagt Pfeffer im Interview. Und er stellt klar, dass sich weder religiöse Fanatiker, noch ideologische Fundamentalisten oder populistische Extremisten auf den Pazifisten Bonhoeffer berufen können.

Frage: Generalvikar Pfeffer, warum ist Dietrich Bonhoeffer 80 Jahre nach seiner Hinrichtung auch außerhalb von Kirchenkreisen einer der bekanntesten Vertreter des NS-Widerstands?

Generalvikar Klaus Pfeffer: Viele Menschen werden Dietrich Bonhoeffer vor allem mit seinem Gedicht „Von guten Mächten“ verbinden – ohne sein Leben auch nur annähernd zu kennen. Ich finde es auch zu kurz gegriffen, Bonhoeffer einfach nur als „Widerstandskämpfer“ zu beschreiben. Auf Filmplakaten wurde er in den USA im letzten Jahr als Attentäter mit einer Pistole in der Hand dargestellt – eine absurde Fehlinterpretation. Evangelikale und rechtspopulistische Kreise missbrauchen Bonhoeffer inzwischen sogar für ihre Hetze gegen den freiheitlich-demokratischen Staat. Bonhoeffer war Christ und Theologe, überzeugter Pazifist. Er fragte stets danach, was sein Glaube für das konkrete Leben bedeutet.

Frage: Und dieser Glaube führte Bonhoeffer in den Widerstand?

Pfeffer: Er nahm sehr früh wahr, welche Gefahren vom Nationalsozialismus ausgingen und kam schnell zu der Überzeugung, dass die braune Ideologie mit dem Christentum nicht vereinbar war. Deshalb kämpfte er in seiner eigenen Kirche für eine klare Haltung. Die offizielle evangelische Kirche erlag allerdings der nationalsozialistischen Verführung. Bonhoeffer brachte mit vielen anderen die Bekennende Kirche auf den Weg – und bildete deren Pfarrer-Nachwuchs aus. Die intensive Auseinandersetzung mit dem, was Jesus gelebt und gelehrt hat, war ihm dabei besonders wichtig – auch über den Weg der Meditation. Die Texte der Bibel sollten das Herz erreichen, um in der Stille verstanden zu werden. Durch seinen Schwager Hans von Dohnany kam er in Kontakt mit der Widerstandsbewegung, die das Hitler-Regime beseitigen wollte. Bonhoeffer nutzte seine internationalen Kontakte, um die Alliierten davon zu überzeugen, dass es auch noch ein anderes Deutschland gibt, das nach einem Umsturz Unterstützung brauchte.

Frage: Wie hat er sich neben der Diplomatie im Widerstand engagiert?

Pfeffer: Ein besonders wichtiger Dienst Bonhoeffers war es, den Widerständlern dabei zu helfen, ihre Gewissenskonflikte zu bewältigen. Was sie taten, galt letztlich als Hochverrat – und sie waren bereit zum Tyrannenmord. Sie wussten, welche unfassbaren Verbrechen das Hitler-Regime beging. Bonhoeffer war deshalb davon überzeugt, dass jetzt eine Situation gegeben war, in der ein Christ Verantwortung übernehmen und etwas tun muss, was ihn in schwere Konflikte bringt, was ihn schuldig werden lässt und sogar das Leben kosten kann. In solch einer Situation kann ein Christ nur auf Gottes Gnade vertrauen, meinte Bonhoeffer – und das gab ihm enorme Kraft.

Frage: Als historische Figur ist Bonhoeffer so spannend, dass sein Leben gerade schon zum zweiten Mal verfilmt wurde. Was fasziniert Sie an Bonhoeffers Lebensgeschichte?

Pfeffer: Dietrich Bonhoeffer hat mich gepackt, weil er authentisch darum gerungen hat, seinen Glauben an Gott mit dem Leben zu verbinden: Was will Gott von mir? Was sagt mir Jesus Christus mit seinem Leben und seinen Worten? Wie deute ich das Evangelium für mich und die jeweilige Situation, in der ich handeln muss? Das waren Fragen, die er sich immer wieder stellte. Bonhoeffer war ein Suchender, der begriffen hatte, dass es keine allgemeinen, stets gleichen Wahrheiten gibt, sondern dass der Wille Gottes jeden Tag neu gesucht werden muss.

Frage: Wie und wo fand Bonhoeffer diesen Willen Gottes?

Pfeffer: Er wusste, dass das Leben viel zu komplex ist, um es mit einfachen Wahrheiten verstehen und leben zu wollen. Er misstraute den vorgegebenen Antworten aus der Tradition der vergangenen Kirche, aber auch den Mehrheitsmeinungen der Kirche seiner Gegenwart. Stattdessen suchte er den inneren Kontakt zu Gott – in der intellektuellen Auseinandersetzung, in der Meditation und im Gespräch mit anderen Christen. So fand Bonhoeffer seinen eigenen Weg – hielt Widerstände und Konflikte aus, fand aber auch viele Weggefährtinnen und -gefährten. In allem blieb er ein Mensch, der gerne lebte, der Beziehungen pflegte und intensiv liebte, der Kunst und Kultur genießen konnte, der sich in seinem Leben ständig entwickelte und veränderte. Bonhoeffer war ein Mensch, der ganz tief seinem Gott vertraute – und daraus eine große Freiheit schöpfte.

Frage: Bonhoeffers bekanntester Text ist wohl das als Lied vertonte Gebet „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Warum ist dieser Text so beliebt?

Pfeffer: Der Text ist berührend. Bonhoeffer schrieb ihn zur Jahreswende 1944, als er unter sehr verschärften Haftbedingungen im Gefängnis saß. Die Hoffnung war gering, noch einmal frei zu kommen; vielleicht rechnete er mit seiner Hinrichtung. Er vermisste seine junge Braut, seine Familie, seine Freunde. Er sah, wie die Nazis ihren Terror unbeirrt fortsetzten und nicht zu stoppen waren. Deutschland und die christliche Kirche lag am Boden. In dieser furchtbaren Lage schreibt er dieses Gedicht, mit dem er einen tiefen Glauben zum Ausdruck bringt. Bonhoeffer redet hier nicht „platt“ und floskelhaft von einem „lieben“ Gott, der alles gut macht.

INFO: Dietrich Bonhoeffer

Dietrich Bonhoeffer (geb. am 4. Februar 1906 in Breslau; gest. am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg) war ein deutscher lutherischer Theologe und führendes Mitglied der Bekennenden Kirche. Nach seiner Promotion und Habilitation lehrte er in Berlin und engagierte sich früh gegen die nationalsozialistische Ideologie. Ab 1935 leitete er das Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Finkenwalde. Wegen seiner Beteiligung am Widerstand gegen Hitler wurde er 1943 verhaftet und 1945 hingerichtet.

Frage: Stattdessen spricht er von „guten Mächten“…

Pfeffer: Ja, aber die „guten Mächte“ sind erst einmal ganz irdische Mächte – nämlich die Menschen seines Lebens, an die er denkt und die er unsichtbar bei sich weiß. Er schöpft aus seiner Lebensgeschichte, die er als großen Schatz in sich trägt. Erst danach spricht er von Gott, der bei ihm ist - und der sich in den Menschen und Erfahrungen seines Lebens zeigt. Bonhoeffers Glaube ist sehr lebensnah. Gott ist kein magisches Wesen, das plötzlich daherkommt und alle Probleme löst. Gott bewahrt uns Menschen nicht vor dem Schweren im Leben, nicht vor Leid und nicht vor dem Tod. Aber dieser Gott geht mit, ist dabei, trägt und führt uns durch alles hindurch - und irgendwann einmal in sein unendliches Reich. Dieser Glaube ist Bonhoeffers Kraftquelle.

Frage: Als katholischer Theologe haben Sie sich intensiv mit dem evangelischen Theologen Bonhoeffer beschäftigt. Welche Rolle spielen da konfessionellen Unterschiede?

Pfeffer: Bonhoeffer erkannte im Kampf gegen den Nationalsozialismus, dass es angesichts einer verbrecherischen und mörderischen Ideologie nicht mehr auf konfessionellen Unterschiede im Christentum ankommt, sondern allein darauf, konsequent den zentralen Botschaften Jesu zu folgen. Es ist wirklich beeindruckend, wie es damals zwischen Katholiken und Protestanten im Widerstand zu einer tiefen Verbundenheit kam, die vielleicht auch nach dem Krieg die Ökumene deutlich vorangebracht hat.

Frage: Warum sollte man sich auch heute noch mit seinen 80 Jahre alten Texten beschäftigen?

Pfeffer: Das Besondere in Bonhoeffers Texten findet man nicht allein in theologischen Büchern, Aufsätzen und Predigten, sondern vor allem in seinen sehr persönlichen Briefen. Gerade da wird sichtbar, wie Bonhoeffer seinen Glauben verstand und wie er aus den alltäglichen Erfahrungen heraus nach Antworten und Wegen sucht. Seine Gefängnisbriefe, die unter dem Titel „Widerstand und Ergebung“ veröffentlicht sind, enthalten für so viele Lebensfragen ganz wichtige Impulse – und Ansätze einer Theologie, die heute brandaktuell ist. Wie gehe ich um mit Ängsten, Zweifeln und großem Leid? Wie gelingt christliches Glauben und Leben in einer Welt, in der die alten Antworten der Religionen nicht mehr tragen? Ich selbst lerne bei Bonhoeffer, dass Christsein keine einfache Angelegenheit ist, sondern ein intensives Suchen nach Gott verlangt, ein lebenslanges Ringen um den je eigenen Weg.

Frage: Und das ist dann keine Frage von evangelisch und katholisch?

Pfeffer: Die konfessionellen Streitereien müssen überwunden werden, damit wir gemeinsam darum ringen, was Gott, was Jesus Christus uns heute sagen will. Niemand kann für sich den Anspruch erheben, die letzte Wahrheit zu kennen. Es gibt in Fragen des Glaubens keine Sicherheiten, darum sind wir alle aufeinander angewiesen, miteinander zu suchen . Wir brauchen dabei die Freiheit, unterschiedliche Antworten auf manche Fragen zuzulassen. Dogmatische Enge, die Menschen in innere oder gar äußere Käfige sperrt, widerspricht dem Evangelium. Aber auch vor Mehrheitsmeinungen ist Vorsicht geboten, wie gerade die NS-Zeit lehrt. Eines aber scheint mir mit Bonhoeffer eindeutig: Gott ist die Liebe und er liebt wirklich jeden einzelnen Menschen – ohne Unterschied und ohne Grenzen. Deshalb will Gott, dass wir einander lieben und einander dienen – und die Verbundenheit unter den Menschen und Völkern in dieser Welt suchen. Damit ist auch klar: Religiöse Fanatiker, ideologische Fundamentalisten und populistische Extremisten können sich nicht auf Bonhoeffer berufen – und auf Jesus Christus schon gar nicht.

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