von Thomas Rünker

Christian Wulff ruft zu mehr Einsatz für die Demokratie auf

Beim Sozialpolitischen Aschermittwoch der Kirchen plädierte der frühere Bundespräsident für mehr Engagement gegen ein Klima der Angst und des Misstrauens in der Gesellschaft.

„Das Einzige, wovor wir wirklich Angst haben müssen, das ist die Angst"

Der früherer Bundespräsident Christian Wulff hat zu mehr Einsatz für Freiheit und Demokratie aufgerufen. „Die Freiheit ist vielerorts in echter Gefahr“, sagte Wulff beim Sozialpolitischen Aschermittwoch der Kirchen im Essener Dom. Er sei „besorgt, wenn ich den Zustand unserer Demokratie sehe“. Der CDU-Politiker war von 2010 bis 2012 deutscher Bundespräsident. Angesichts zahlreicher Herausforderungen für die liberalen westlichen Staatssysteme warb er für mehr Engagement jedes Einzelnen: In einer Demokratie „muss man nicht nur eine Meinung haben, sondern auch für seine Meinung kämpfen“.

Wulff warnte vor einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber der Gesellschaft, für dass er auch „die Schattenseiten der Digitalisierung“ verantwortlich machte. „Die Machtlogik des Netzes führt zu Radikalisierung“, so Wulff. Die Komplexität der modernen Gesellschaft ließe sich jedoch nur mit Vertrauen reduzieren. Christen seien heute in besonderer Weise gefordert, einem Klima der Angst entgegenzutreten, betonte Wulff und erinnerte an besondere Verdienste von Christen für Freiheit und Demokratie – etwa an den Brief der deutschen an die polnischen Bischöfe zur Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg oder die Montagsgebete in Leipzig auf dem Weg zur deutschen Einheit. „Da haben Christen mutig gewirkt“, sagte Wulff. Das seien Bekenntnisse gewesen, „unabhängig davon, ob sie gerade mehrheitsfähig sind“.

Auch Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck sieht die Christen angesichts der politischen Lage herausgefordert, Verantwortung wahrzunehmen. „Mir scheint angesichts der verschiedenen Vereinfacher und Populisten dieser Tage, die teilweise die Grundkoordinaten unserer Gesellschaftsordnung verschieben wollen, nötig, dass wir uns neu bekennen und für die Freiheit Haltung zeigen“, sagte der Ruhrbischof in seinem Grußwort. Manfred Rekowski, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, lenkte den Blick auf ein Engagement für den Frieden. „Spätestens seit dem letzten Jahrhundert wissen wir: Wenn mehr als ein Volk sagt 'Wir zuerst', wird man sich über kurz oder lang auf Soldatenfriedhöfen treffen“, sagte er.

Wulff sieht neben den ungelösten Problemen der Digitalisierung im Terrorismus und in den negativen Folgen der Globalisierung weitere Ursachen für eine wachsende Skepsis gegenüber der Demokratie und um sich greifenden Egoismus. „Die Globalisierung hat weltweit zu mehr Wohlstand geführt“, so der frühere Bundespräsident. Aber Globalisierung brauche auch Gerechtigkeit. Hier seien die Katholische Soziallehre und die Protestantische Ethik „supermodern“.

Auch angesichts von Globalisierung und Zuwanderung brauche Deutschland „nichts von dem aufgeben, was uns stark gemacht hat“, sagte Wulff und nannte beispielhaft den Rechtsstaat, die mittelständisch geprägte Wirtschaft und den Föderalismus. Deutschland müsse auch seine Vielfalt nicht aufgeben, sagte er mit Blick auf die Einwanderungsgeschichte des Ruhrgebiets. Hinsichtlich der religiösen Vielfalt in Deutschland forderte Wulff die katholische und evangelische Kirche auf, sich noch stärker öffentlich dafür einzusetzen, dass auch Muslime in Deutschland selbstverständlich dazu gehören. „Multi-Kulti im Sinne von Beliebigkeit ist sicher gescheitert“, betonte Wulff. Aber ein „Multi-Kulturalismus“ auf Basis klarer Bekenntnisse sei das Gebot der Stunde. Der Alt-Bundespräsident warb für klare Haltungen auf der Grundlage der deutschen Verfassung. „Wer die Verfassung nicht achtet, muss mit entschiedener Gegenwehr rechnen – egal ob es sich um Fundamentalisten, Rechts- oder Linksextremisten handelt.“ Und er schloss mit einem deutlichen Plädoyer zur Zuversicht: „Das Einzige, wovor wir wirklich Angst haben müssen, das ist die Angst. Sie darf nicht die Leitschnur unseres Redens und Handelns sein.“

Stichwort: Sozialpolitischer Aschermittwoch der Kirchen

Seit 1998 laden das Ruhrbistum und die rheinische Kirche jährlich zum Sozialpolitischen Aschermittwoch der Kirchen nach Essen. In Anlehnung an die traditionellen Partei-Veranstaltungen an diesem Tag möchten die Kirchen hier einen politischen Akzent aus christlicher Perspektive setzen. So wollen sie zum Ausdruck bringen, dass christlicher Glaube auch zugleich Einsatz für eine gerechte Gesellschaft bedeutet. Die Veranstaltung findet jährlich wechselnd in einer katholischen und einer evangelischen Kirche statt.

Die Ansprache von Bischof Overbeck

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