von Thomas Rünker

Bischof Overbeck sieht Kirche an historischem Wendepunkt

Weltweiter Missbrauchsskandal sei „Point of no Return“, sagte Bischof Franz-Josef Overbeck am Dienstagabend in der Mülheimer Akademie „Die Wolfsburg“. Podiumsdiskussion zur katholischen Missbrauchsstudie mit den Wissenschaftlern Andreas Kruse und Eric Schmitt sowie der Präventionsbeauftragten des Bistums, Andrea Redeker.

Im weltweiten Missbrauchsskandal der katholischen Kirche sieht Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck einen historischen Wendepunkt, von dem er deutliche Veränderungen und Kurskorrekturen erwartet. „Es gibt Ereignisse, hinter die gibt es kein Zurück mehr“, sagte der Bischof am Dienstagabend in Mülheim und zog mit Blick auf die historische Dimension Vergleiche mit dem Fall der Mauer. „Der Missbrauchsskandal in seiner ganzen Weite ist so ein ,Point of no Return‘“. Die Kirche erlebe „eine Vertrauenskrise extremsten Ausmaßes“. Nun müssten alle Fragen, die es auch vorher schon gab, neu beantwortet werden, so Overbeck. Dazu gehörten die Sicht der Kirche auf Homosexualität, eine generelle „Neudimensionierung der Geschlechterbeziehungen“ sowie Fragen des Zölibats, des Machtmissbrauchs und der Rolle von Frauen in der Kirche.

Zusammen mit zwei Autoren der von der Deutschen Bischofskonferenz beauftragten Missbrauchsstudie und der Präventionsbeauftragten des Bistums Essen, Andrea Redeker, diskutierte Overbeck in der Akademie „Die Wolfsburg“ über die vor gut einem Monat veröffentlichte „MHG-Studie“ und mögliche Konsequenzen für die Kirche. Insbesondere die besonderen Machtstrukturen in der Kirche sowie Fragen der Sexualmoral stellten die beiden Heidelberger Psychologie-ProfessorenAndreas Kruse und Eric Schmitt dabei als die zentralen Themen dar, die sexuellen Missbrauch von Kindern durch Priester oder Diakone begünstigt hätten. Kruse empfahl der Kirche „ausführliche Auseinandersetzungen“ über den Pflicht-Zölibat für Priester und „die Vielfalt sexueller Lebens- und Ausdruckformen“. Das „Abdrängen“ bestimmter Lebensformen wie der Homosexualität begünstige deren missbräuchliche Ausprägung.

Debatte über Macht, Hierarchie und Sexualmoral in der Kirche

Overbeck will diese Diskussionen in der Kirche forcieren. Er hatte bereits kurz nach Veröffentlichung der Studie gefordert, die Kirche müsse sich nun gerade in Fragen von Macht, Hierarchie und Sexualmoral bewegen. „Wir müssen daran arbeiten, was neuere Erkenntnisse zum Beispiel der Biologie, der Psychologie oder der Medizin ganz real für unsere Kirche bedeuten“, sagte der Bischof in der „Wolfsburg“. „Da stehen wir erst am Anfang.“

Die Gefahr des Machtmissbrauchs sei für Kleriker „sehr groß“, bekannte Overbeck. Hier, wie auch beim Thema Sexualität, riet Kruse den Priestern und den Verantwortlichen für die Priesterausbildung zu mehr Reflexion. „Fragen der eigenen Sexualität und Erotik müssen zu einem intensiven Thema werden“, forderte der Psychologe. Mit Blick auf Machtfragen ergänzte er: „Die nicht reflektierte Macht birgt die Gefahr der Destruktivität“.

Die Heidelberger Forscher haben im Rahmen der MHG-Studie mit insgesamt 214 Missbrauchs-Betroffenen jeweils mehrstündige Interviews geführt. Die überwiegende Zahl der Fälle liege teils Jahrzehnte zurück – auch, weil ein Missbrauch in Kindestagen viele Menschen gerade in fortgeschrittenem Alter verstöre und belaste, so Kruse. Er zitierte Sigmund Freud und sagte: „Die Psyche kennt keine Zeit.“ Nach anfänglichem Zögern hätte es nach einiger Zeit eine große Bereitschaft Betroffener gegeben, mit den Forschern zu sprechen, sagte Schmitt. Ein wichtiges Motiv für viele Betroffene sei die Hoffnung, mit ihren Erzählungen dazu beizutragen, dass heutigen und künftigen Generationen so etwas wie ihnen nicht geschieht. Neben der Aufklärung „hilft die Studie den Betroffenen zu sehen, dass sie kein Einzelfall sind“, sagte Kruse.

„Die Kirche ist schuldig geworden“

Dass sich in den vergangenen Jahren im Bistum Essen sowohl in der Bearbeitung dieser Fälle als auch in der strukturierten Prävention gegen sexualisierte Gewalt Grundlegendes verändert hat, beschrieb die Präventionsbeauftragte Andrea Redeker. Die Verfahrensordnung für den Umgang mit Missbrauchsfällen sei im Ruhrbistum mittlerweile rechtsverbindlich in Kraft gesetzt, mit entsprechend klaren Regeln und Konsequenzen. „Ich glaube nicht, dass dies schon bundesweit der Fall ist“, so Redeker. In der Vergangenheit sei „die Kirche schuldig geworden, weil sie mehr auf die Priester als auf die Opfer geachtet hat“, betonte der Bischof. Heute stehe der Blick auf die Betroffenen im Mittelpunkt sowie die gemeinsame Abstimmung des Vorgehens mit ihnen, erläuterte Redeker. Der Grundsatz, jeden Fall beim Staatsanwalt anzuzeigen, werde nur dann durchbrochen, wenn die Betroffenen dies ausdrücklich nicht wünschten. Overbeck plädierte für „Änderungen im kirchlichen Straf- und Prozessrecht“, um die Verfahren transparenter zu gestalten – auch als Reaktion auf den Druck der Öffentlichkeit.

Von Missbrauch Betroffene wünschte sich ein ehrliches und interessiertes Zuhören, sagte Eric Schmitt auf die Frage, wie ehren- und hauptamtliche Mitarbeiter der Kirche heute mit Missbrauchsopfern umgehen sollten. Außerdem wollten viele Betroffene an der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals mitwirken. „Eine Aufarbeitung ohne die Betroffen kann es nicht geben“, so Schmitt. Vielen gehe es dabei auch um die Fragen, was aus dem Täter geworden ist. „Eine Art Täter-Opfer-Ausgleich wäre in vielen Fällen ein guter Weg, ist aber oft schwierig, weil viele Täter schon tot sind“, sagte der Wissenschaftler.

Präventionsbeauftragte

Dorothé Möllenberg

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Pressestelle Bistum Essen

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