von Thomas Rünker

Overbeck: „Das Bewusstsein der Soldatinnen und Soldaten verändert sich“

Um Russland abzuschrecken und die USA als Nato-Partner zu behalten, muss Deutschland mehr in Sicherheit investieren und stärker mit den europäischen Partnern zusammenarbeiten. Das war ein Fazit der Podiumsdiskussion „Führungsanspruch um jeden Preis?“, bei der Bischof Franz-Josef Overbeck am Dienstag mit dem ZDF-Journalisten Elmar Theveßen, der Politikwissenschaftlerin Aylin Matlé und dem früheren Wehrbeauftragten des Bundestags, Hans-Peter Bartels, über Deutschlands Außen- und Verteidigungspolitik diskutiert hat.

Overbeck: Militärseelsorge passt sich an veränderte Herausforderungen an

Matlé: „Grauzone“ zwischen Krieg und Frieden wird zur neuen Normalität.

Bartels: „Europa der Willigen“ soll Verteidigungsfähigkeit stärken

Ein Gutes habe die Wahl von Donald Trump für Deutschland, sagte Elmar Theveßen, Leiter des ZDF-Studios Washington, am Dienstagabend in Mülheim: „Er setzt uns unter Druck.“ Doch die sicherheits- und verteidigungspolitischen Aufgaben, vor denen Deutschland und seine künftige Bundesregierung jetzt stehen, gebe weniger der künftige US-Präsident vor als der Regierungschef in Moskau – da war sich das Podium in der Bistums-Akademie „Die Wolfsburg“ einig. Neben Theveßen diskutierten der frühere Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags und heutige Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, Hans-Peter Bartels (SPD), und Aylin Matlé, Expertin für Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, mit dem Ruhr- und Militärbischof Franz-Josef Overbeck unter der Überschrift „Führungsanspruch um jeden Preis?“ über Deutschlands Außen- und Verteidigungspolitik.

Ob Deutschland kriegstüchtiger werden müsse, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius fordert, müsse die Politik entscheiden, antwortete Overbeck auf die Frage von „Wolfsburg“-Dozent Mark Radtke, der die Runde im ausverkauften Auditorium der Akademie moderierte. „Die Deutschen könnten auch friedensfähiger werden“, schlug der Bischof vor und betonte zugleich: „Das heißt nicht, abzurüsten!“ „Frieden ist keine Frage von Naivität“, betonte Overbeck. Vielmehr gehöre zu einer Friedensperspektive auch, „sich notfalls mit militärischen Mitteln für einen gerechten Frieden einzusetzen und sich gegen Unrecht zur Wehr setzen zu können.“

Bartels: „Solidaritätsverpflichtungen mit den Ländern in Osteuropa“

„Wenn wir es nur mit Trump und einer zweiten Amtszeit zu tun hätten, wären wir gut dran. Aber wir haben es mit Putin und einem Krieg in Europa zu tun“, unterstrich der frühere Wehrbeauftragte Bartels Theveßens Einschätzung, dass Trump allenfalls aufzeige, was Deutschland an zusätzlichem Engagement für seine eigene Sicherheit im europäischen Kontext ohnehin tun müsste. Bartels erinnerte an die Zeiten des Kalten Kriegs als Deutschland 3,5 bis 4 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftskraft für die Verteidigung ausgegeben habe und zugleich von der Solidarität innerhalb der Nato und vor allem der Amerikaner profitiert habe. „Heute geht es um unsere Solidaritätsverpflichtungen mit den Ländern in Osteuropa“, warb er.

Theveßen erläuterte, dass die künftige Trump-Administration in der Nato eine Veränderung der Beistands-Logik anstrebe: Nur die Staaten sollen sich künftig auf Beistand verlassen können, die zuvor genug in ihre Ausrüstung investiert haben. „Da geht es nicht mehr um die Frage, 2 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts bereitzustellen“, sagte Theveßen. Schätzungen zufolge müssten die Europäer ihre Ausgaben auf 3,5 Prozent erhöhen und zum Beispiel binnen drei Jahren 50 zusätzliche Brigaden mit insgesamt 250.000 Soldatinnen und Soldaten bereitstellen. Er teile derzeit „einen gewissen Optimismus“, dass die ersten Personalentscheidungen Trumps keinen sofortigen Nato-Ausstieg der USA erwarten lassen müssten. Doch zum einen setze Trump in allen Politikbereichen eher auf bilaterale Vereinbarungen als auf Bündnisse mit vielen Staaten. Zum anderen warnte der TV-Journalist „vor der Illusion, dass sich irgendjemand Trump in den Weg stellt“, sollte der doch einen Nato- Austritt anstreben. Theveßen riet „Die EU sollte zusammenstehen und sich nicht spalten lassen“ – dann wäre sie ein perfektes Gegenüber für die USA.

Aus Sicht der Politikwissenschaftlerin Matlé hat sich Europa nicht genug auf eine zweite Amtszeit Donald Trumps vorbereitet. Deutschland sollte sich stärker mit seinen Verbündeten abstimmen, doch gerade bei Sicherheitsthemen habe Deutschland in den vergangenen Jahren Vertrauen verspielt. Deshalb habe sie auch nicht den Eindruck, „dass es noch viele Länder in Europa gibt, die von Deutschland geführt werden möchten“. Bartels warb vor diesem Hintergrund für „ein Europa der Willigen“. Ähnlich wie beim Euro, sollten auch bei Verteidigungsfragen die europäischen Staaten zusammenarbeiten, die es wollen und können. Diese sollten „einen europäischen Pfeiler in der Nato begründen“, inklusive eines europäischen Nato-Hauptquartiers. Ähnlich wie die amerikanische Führungsstruktur in Europa sollte diese nicht zusätzlich aufgebaut werden, sondern in die Nato-Strukturen eingebettet und notfalls eigenständig handlungsfähig sein, wenn sich die Nato-Staaten nicht zu einem gemeinsamen Handeln entschließen. „Die Nato so unterstützen, dass die Europäer selber stärker werden, das ist die Aufgabe, die jetzt ansteht“, fasste es Bischof Overbeck zusammen.

Matlé: „Es geht um Abschreckung“

Letztlich gehe es um Abschreckung, betonte Matlé. „Die uralte Antwort lautet: Wenn du Frieden willst, dann rüste dich für den Krieg.“ Für Deutschland würde dies eine deutliche Erhöhung des Wehretats im Bundeshaushalt bedeuten. „Im Moment ist Deutschland stolz darauf, das 2-Prozent-Ziel erreicht zu haben, aber das gelingt nur auf Basis des Sondervermögens.“ Neben mehr Geld brauche es aber auch einen besseren Plan. In der im vergangenen Sommer vorgestellten Nationalen Sicherheitsstrategie seien keine klaren Prioritäten zu erkennen. „Man müsste erwarten, dass ein Ziel ausgegeben wird und entsprechende Mittel zugeordnet werden“, so Matlé. Dahinter stehe jedoch eine soziologische und kommunikative Frage: „Wie bereiten wir eine Gesellschaft darauf vor, dass das, was wir gerade erleben, also zahlreiche Krisen und Kriege parallel, vielleicht unsere dauerhafte Perspektive wird? Wir sind nicht im Krieg, aber auch nicht mehr richtig im Frieden, sondern in einer Art Grauzone – und die wird erst einmal nicht wieder weggehen.“

Bischof Overbeck berichtete, dass sich die Militärseelsorge – in Abstimmung mit der Bundeswehr – darauf vorbereite, diesen neuen Herausforderungen gerecht zu werden. Zudem stelle er fest, „dass sich das Bewusstsein der Soldatinnen und Soldaten verändert. Man nimmt jetzt noch stärker wahr, dass es auch darum geht, im Verteidigungsfall einen Krieg führen zu können.“

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