Beengte Bleibe ohne Perspektive

Beim Besuch von Bischof Overbeck im Flüchtlingsheim in Essen-Werden am Freitag stand die schwierige Situation der Balkan-Flüchtlinge im Fokus, aber auch die wertvolle Arbeit von Caritas, Stadt und Kirchengemeinde.

Bischof Overbeck besucht Flüchtlingsheim in Essen-Werden

Lachende Kinder, ein paar Plastikstühle im Garten – im Mittagssonnenschein breitet sich hinter dem S-Bahnhof in Essen-Werden fast ein wenig Ferienidylle aus. Doch die Menschen, die hier vor dem Haus mit der Holzfassade sitzen, sind keine Urlauber – sondern Flüchtlinge. 51 Menschen aus Mazedonien, Albanien und anderen Ländern der Balkanregion sind derzeit in dem Heim im Essener Süden untergebracht, dass Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck am Freitag im Rahmen seiner Visitation der Werdener St. Ludgerus-Pfarrei besucht. „Alle Menschen hier stammen aus dem Westbalkan und sind damit ständig von Abschiebung bedroht“, macht Caritas-Sozialarbeiterin Corinna Habermann gleich zu Beginn des Besuchs die besondere Situation des Werdener Heims deutlich.

Eine Wohnküche, ein Zimmer, ein Bad – Vagdet Demov aus Mazedonien bittet Overbeck und seine Begleiter herein. Anders als in den nun vielerorts entstehenden Behelfsunterkünften für Flüchtlinge hat in diesem schon seit Jahrzehnten bestehenden Heim jede Familie ihre beengte, aber zumindest eigene Wohneinheit. Hier lebt Demov mit seiner Frau und zwei Kindern, eines davon die 15 Monate alte Tochter Sirma. Sie hat eine Fehlbildung im Gesicht, eine Lippenspalte, die in den kommenden Wochen im Ruhrgebiet operiert wird. Demov würde mit seiner Familie gerne in eine Wohnung umziehen, damit Sirma nach den Operationen in einer hygienischeren Umgebung lebt als in der Sammelunterkunft. Ein solcher Umzug ist für Flüchtlinge aus der Balkan-Region nicht vorgesehen, weil ihre Asylanträge in Deutschland so gut wie nie anerkannt werden. In diesem speziellen Fall verspricht Essens Sozialdezernent Peter Renzel, mit Overbeck unterwegs, mit seinen Mitarbeitern zu überlegen, was möglich ist. Doch mittelfristig macht Renzel Demov und den anderen Bewohnern des Heims wenig Hoffnung. „Sie werden Deutschland wieder verlassen müssen“, sagt er klar und deutlich.

Overbeck schaut den jungen, kräftigen Mann an und sagt: „Sie werden doch in Mazedonien gebraucht, Sie müssen doch dort ihr Land aufbauen.“ Demov nickt. „Es stimmt, wir haben keinen Krieg, keine Verfolgung, aber das Leben dort ist für uns sehr schwer“, berichtet er. „Wir sind türkischer Abstammung, für Mazedonier sind wir nichts. Wenn Sie dort nicht Trejko, sondern Demov heißen, dann haben Sie gleich einen großen Nachteil.“ Da ist sie wieder, die „übelste Diskriminierung“, von der Habermann zuvor berichtet hat, die – neben Armut und schlechter Versorgung – viele der Flüchtlinge aus ihrer Heimat ins Ruhrgebiet getrieben hat. Egal ob Sinti, Roma oder eben türkischstämmige Menschen – Toleranz und Minderheitenschutz werden in den nach EU-Mitgliedschaft strebenden Republiken auf dem Balkan längst nicht so groß geschrieben wie anderenorts in Europa. Der Begriff „Wirtschaftsflüchtling“ sei daher mehr als unangemessen, betont Habermann. Das Diskriminierungsproblem indes könne nicht in Essen-Werden, sondern nur international, auf europäischer Ebene gelöst werden, sind sich Overbeck und Renzel einig. „Dennoch haben wir als Kirche die Aufgabe diesen Menschen unterstützend zur Seite zu stehen“, betont Overbeck mit Blick auf die mannigfaltigen ehrenamtlichen Hilfen, die nicht nur in Essen-Werden von verschiedenen kirchlichen Gruppen organisiert werden, – und das professionelle Engagement der Caritas.

Das „Essener Modell“ der Flüchtlingsbetreuung

Die Hilfsorganisation praktiziert in Werden und mehreren anderen Flüchtlingsheimen der Ruhrmetropole das besondere „Essener Modell“, das Stadt, Caritas und Diakonie Anfang des Jahres gemeinsam entwickelt haben: Tagsüber stehen von 7 bis 17 Uhr in dem Werdener Heim Habermann und drei Kollegen als Ansprechpartner für alle Fragen der Bewohner bereit, egal ob es um Probleme im Zusammenleben oder um soziale und rechtliche Fragen geht. Nachts ist ein Sicherheitsdienst vor Ort, der die Bewohner beschützt, aber bei Bedarf diese auch auf die Hausordnung hinweist. Für Sozialdezernent Renzel ist dieses Modell „der Schlüssel für den sozialen Frieden – und für die Betreuung der Menschen.“ Und bei dieser Betreuung mache die Caritas keinen Unterschied, ob ein Flüchtling eine langfristige Bleibe-Perspektive hat oder womöglich morgen ausreisen muss, betont Markus Siebert, Leiter des Caritas-Fachbereichs Integration und Migration. Die Angst vor Abschiebung sei „eine immense Belastung für die Flüchtlinge“, sagt Habermann – eine Angst, die ihr Team den Menschen nicht nehmen kann. Dennoch werde die enge Betreuung durch die Caritas von den Flüchtlingen ausgesprochen dankbar aufgenommen, erläutert sie, „die Menschen haben den Eindruck, dass sie endlich einmal gehört werden“. (tr)

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