von Jürgen Flatken

Alles bleibt anders: Krankenhaus-Seelsorge in Corona-Zeiten

Corona stellt alles auf den Kopf. Auch in Krankenhäusern gilt ein Besuchsstopp. Dieses Kontaktverbot bedeutet einen großen Einschnitt: für die, die im Krankenhaus liegen, für die, die sie nicht besuchen dürfen und für die, die sich um sie sorgen. Das betrifft auch die Seelsorgerinnen und Seelsorger.

„Ich bin samstags auf die Palliativstation gerufen worden und traf dort auf eine Enkelin mit ihrer Oma. Es war offensichtlich, dass die ältere Dame im Sterben lag“, erzählt Dirk Rupprecht, Krankenhaus-Seelsorger am Essener Uniklinikum. „Die Enkelin telefonierte über WhatsApp mit ihrer Mutter und dem Opa, die nicht dabei sein konnten, nicht durften. Der Großvater bat mich um Gebet und Segen für seine Frau“, fährt der 50-Jährige eindrücklich fort. „Ich habe ihm gesagt, dass auch er einen Segen sprechen könne: Wir sind ja übers Telefon miteinander verbunden. Der alte Mann hat bitterlich geweint.“

Corona stellt alles auf den Kopf. Auch in Krankenhäusern gilt ein Besuchsstopp. So auch auf den Palliativstationen, den Bereichen mit schwerstkranken Menschen. Diese Kontaktverbote bedeuten einen großen Einschnitt: für die, die im Krankenhaus liegen, für die, die sie nicht besuchen dürfen und für die, die sich um sie sorgen. Das betrifft auch die Seelsorgerinnen und Seelsorger, die nicht mehr wie gewohnt arbeiten können. „Es ist eine Situation eingetreten, die vor zwei Wochen noch nicht denkbar war. Die Verabschiedung via Handy war auch für mich kaum auszuhalten.“ Rupprecht ist seit acht Jahren Krankenhaus-Seelsorger am Uniklinikum. Die Oma ist dienstags drauf verstorben.

„Unsere Krankenhaus-Seelsorge funktioniert grundsätzlich wie bekannt – mit den speziellen Einschränkungen. Wir sind nach wie vor telefonisch erreichbar“, erklärt Gerhard Dittscheidt, Diözesanbeauftragter für Krankenhaus- und Hospizseelsorge im Bistum Essen. „Im Moment sind Rundgänge von Zimmer zu Zimmer natürlich so nicht mehr möglich – und wären auch nicht vermittelbar.“

Krisenkommunikation auf hohem Niveau

Und auch die Expertise der Seelsorgerinnen und Seelsorger sei gefragt. „Teilweise sind Seelsorgende direkt mit in die Arbeit der Krisenstäbe einbezogen, beziehen Stellung zu bestimmten ethischen Fragen. Es gibt eine Kommunikation auf hohem Niveau“, berichtet der 57-jährige Pastoralreferent. Hilfreich sei da zum Beispiel auch eine bundesweit gestreute ökumenische Empfehlung zur Seelsorgepraxis, an die man sich anlehnen kann. „Ich stehe darüber hinaus in regelmäßigem Kontakt mit Pfarrer Uwe Matysik, dem evangelischen Krankenhaus-Seelsorge-Koordinator für die Stadt Essen. Wir arbeiten intensiv und gut zusammen. Ebenso die Kolleginnen und Kollegen vor Ort, etwa bei der Abstimmung zu unterschiedlichen Rufmöglichkeiten.“

„Unsere Meinung ist gefragt“ bestätigt auch Rupprecht. „Im Moment herrscht das Gefühl der Ruhe vor dem Sturm vor.“ Diese Zeit werde genutzt, um sich auf alle möglichen Szenarien vorzubereiten. Was geschieht, wenn es zu einem Massenanfall Verstorbener kommt? „Es gibt Überlegungen, Zelte an der Pathologie aufzubauen, damit die Bestatter die Verstorbenen in einem würdevollen Rahmen umbetten können“, betont der Vater von drei erwachsenen Kindern. Sein ältester Sohn arbeitet als Pfleger auf der Intensivstation des Uniklinikums.

Bilder wie aus New York, auf denen die Toten mit Gabelstaplern in Kühlcontainer gebracht werden, solle es nicht geben. „Die Würde muss über den Tod hinaus bewahrt bleiben. Und deswegen ist es gut und wichtig, dass wir in den Krisenstab miteingebunden sind.“

Und auch wenn die „Seelsorge am Bett“ weniger werde, eine „Glaubens- und Gebetsgemeinschaft bleibt weiter bestehen“, betont Dittscheidt. „Und diese Gemeinschaft wollen wir stärken.“ Deswegen werde zum Beispiel mancherorts mittags ein geistlicher Impuls über das krankenhausinterne Fernsehen ausgestrahlt. Der Seelsorger ist in der Kapelle genauso allein, wie der Patient in seinem Zimmer. Fühlt sich aber verbunden durch die Gebets- und Hoffnungsgemeinschaft.“   

Station und Seelsorge sind eine Einheit

„Und es kann auch in einem Telefongespräch Nähe entstehen“, ergänzt Petra Kerperin, Krankenhaus-Seelsorgerin im Essener Elisabeth-Krankenhaus, deren momentane Arbeit in Struktur und Organisation völlig anders gestaltet ist, als zur Vor-Corona-Zeit. „Innerhalb des Teams muss viel mehr abgesprochen werden, mit den Mitarbeitenden, mit den evangelischen Kolleginnen und Kollegen, innerhalb des Krankenhauses.“ Aber es kämen auch tolle Aktionen dabei heraus, wie die ihrer evangelischen Kollegin: „Die Kinder der Kinderklinik und die der Mitarbeitenden malen gerade wie wild Bilder, die Ostersonntag auf den Stationen verteilt werden.“ Kerperin überarbeitet gerade noch den Ostergruß, den alle Patienten erhalten. „Die Corona-Situation war in der Erstfassung noch kein Thema.“ 

Als die Beschränkungen durch Corona beschlossen wurden, „bin ich auf Station gegangen und habe gefragt, wie wir das denn jetzt hier machen“. „Wir machen das wie immer. Jetzt halt zusätzlich mit Mundschutz und Schutzkleidung“, habe man ihr gesagt. Ein starkes Zeichen, dass Station und Seelsorge zusammengehören, eine Einheit sind. „Wir sind kein Besuch. Wir arbeiten zusammen“, freut sich die 54-jährige Pastoralreferentin über den selbstverständlichen Umgang miteinander.

Dirk Rupprecht bringt es auf den Punkt: „Ich bin Krankenhaus-Seelsorger, nicht Krankenseelsorger.“ Zwischen 10 und 15 Uhr sitzt er Corona-bedingt in der Klinik an einer zusätzlichen Hotline, ist aber auch darüber hinaus telefonisch erreichbar. „Ich habe seit drei Wochen meine Mutter selbst nicht gesehen und kann die Sorgen nachvollziehen, wenn mir einer erzählt, dass er die Eltern nicht besuchen darf.“ Der Aspekt, ansprechbar zu sein und zu bleiben sei mehr geworden.

Grundsätzlich seien die Mitarbeitenden mehr in den Fokus gerückt. „Wir ermutigen die Pflegenden beim Verlassen des Zimmers – wenn sie können und den Eindruck haben, dass es passt – auch einfach `Sei gut behütet´ zu sagen. Jeder kann zu jeder Zeit einen Segensspruch äußern“, ist sich Dittscheidt sicher. Bei manchen Menschen gäbe es immer noch das Bild im Kopf, des „da muss jetzt aber ein Seelsorger kommen. Und doch zeigt sich jetzt, was jeder aus seiner Spiritualität und für sein oder ihr Gegenüber tun kann.“ Darin gelte es die Pfleger zu bestärken. „Seelsorge beginnt nicht erst, wenn der Krankenhaus-Seelsorger da ist, sondern schon früher“, betont der Diözesanbeauftragte. „Wenn ich Menschen, als Pfleger, als Angehöriger durchs Telefon segne, ihnen Mut zuspreche, für sie da bin, was ist das dann anderes als Seelsorge?“

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