von Cordula Spangenberg

„Achtsamer Umgang miteinander tut allen gut“

Nach Veröffentlichung der Missbrauchsstudie im Jahr 2018 setzt das Bistum Essen mit hoher Entschiedenheit Konsequenzen gegen sexualisierte Gewalt, Vertuschung und Machtmissbrauch um. 

Eine Mammutaufgabe hat sich das Bistum Essen nach der im September 2018 veröffentlichen Missbrauchsstudie der katholischen Kirche gestellt. Macht, Geschlechtergerechtigkeit, Personalarbeit, Priesteramt: In neun Arbeitsfeldern wurden Konsequenzen und konkrete Handlungsempfehlungen entwickelt, die jetzt Schritt für Schritt umgesetzt werden. Hohe Priorität haben dabei vorbeugende Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt auf allen Ebenen des Ruhrbistums sowie der Umgang mit Betroffenen und Beschuldigten sexuellen Missbrauchs. Hier soll es künftig noch präzisere Regelungen zum Vorgehen bei Verdachtsfällen geben, Hinweise zum Verfahren bei Beschwerden, überarbeitete Vorgaben zu Präventionsschulungen und -fortbildungen sowie eine Qualitätskontrolle.

Umgesetzt werden diese Handlungsempfehlungen von der Sozialarbeiterin Dorothé Möllenberg, die im Juli 2020 als Präventionsbeauftragte des Bistums Essen auf die in den Ruhestand verabschiedete Andrea Redecker folgte. Das Fallmanagement bei bereits geschehenen Übergriffen übernimmt für das Bistum Essen seit Februar 2020 der Sozialpädagoge Simon Friede. Beide arbeiten im erweiterten Stabsbereich Prävention und Intervention und haben ihr gut gefülltes Pflichtenheft bereits in großen Teilen in Angriff genommen.

Intervention: Gesprächsräume auf neutralem Terrain, Vertrauens-Begleitung, Betroffenen-Beirat

Auf Seiten der Intervention geht es derzeit darum, den Betroffenen den Kontakt zum Bistum und die Einforderung ihres Rechts zu erleichtern. Dafür organisiert Simon Friede derzeit ein Netz neutraler Orte für die Erstgespräche in unabhängigen Beratungsstellen und das Angebot, sich von einer fachkundigen, unabhängigen Vertrauensperson begleiten zu lassen. Damit diejenigen Betroffenen, die das wünschen, auf einfache Weise Kontakt zueinander aufnehmen und sich als Selbsthilfegruppe organisieren können, bietet das Bistum Hilfen bei der Vernetzung an – ohne allerdings die Gruppe organisatorisch an die Kirche zu binden. Zusätzlich ist die Gründung eines „Betroffenen-Beirats“ als Feedback- und Ratgeber-Gremium für November 2021 geplant.

Die Aufgabe, Vorwürfe sexualisierter Gewalt im kirchlichen Dienst zu überprüfen, liegt bei den beiden neuen, unabhängigen Ansprechpartnerinnen Mechtild Hohage und Anke Kipker, die diese Aufgabe von Angelika Schenk-Willms und Karl Sarholz übernommen haben. Seit Jahresanfang bearbeiten sie auch die in der Deutschen Bischofskonferenz beschlossenen neuen Anträge Betroffener auf Zahlungen in Anerkennung des Leids und leiten sie an die Bischofskonferenz in Bonn weiter. „Das Bistum Essen hat hier bereits seine Hausaufgaben gemacht; so gut wie alle Anträge sind bearbeitet“, sagt Dorothé Möllenberg, „aber wir suchen noch zwei weitere Ansprechpersonen – auch Männer sind gefragt.“ 

Neue Website wird leichtere Information mit anonymer Kontaktmöglichkeit bieten

Um den öffentlichen Informationsfluss zu verbessern, ist für beide Arbeitsfelder Prävention und Intervention je eine neue Website geplant. Betroffene und Hilfesuchende sollen nach maximal zwei Klicks Antwort bekommen auf Fragen wie: „Ich habe etwas Schlimmes erlebt; an wen kann ich mich wenden?“ Dazu gehört auch ein anonymes Kontaktformular, nicht nur Kontakt per E-Mail und Telefon. „Menschen, denen es schwer fällt, ihre Gewalterfahrung anzusprechen, brauchen Anonymität“, sagt Simon Friede. Und der gute alte Papier-Flyer in knapper, einfacher Sprache als Alternative zur digitalen Welt ist auch in der Produktion.

Prävention: Schulung besuchen und wissen, worauf zu achten ist

Die zweite neue Homepage richtet sich an Menschen, die in der Prävention tätig sind und Informationen darüber benötigen, wie man zum Beispiel ein institutionelles Schutzkonzept für eine katholische Einrichtung erstellt. Fortbildungstermine für Schulungsreferenten, Präventionsfachkräfte und Leitungskräfte werden hier bekannt gegeben sowie Möglichkeiten, sich zu vernetzen, um Ideen auszutauschen und mit gemeinsam genutzten Schulungen Kosten zu sparen. Im Mai, wenn die Präventionsstelle im Bistum Essen ihren zehnten Gründungstag erlebt, sollen die neuen Informations-Websites veröffentlicht sein. Eine Sisyphusarbeit ist für Dorothé Möllenberg allerdings die Adresspflege der rund 600 katholischen Dienste und Einrichtungen im Bistum Essen, um alle miteinander in Kontakt bringen zu können: „Meine Datenbank ist nur so aktuell wie die Infos, die ich von außen bekomme“, sagt sie.

Ob man in Zeiten der Kontaktbeschränkung Schulungen zur Prävention sexualisierter Gewalt auch digital anbieten kann, darüber gehen die Meinungen auseinander. „Lieber digital als gar nicht“, meint Möllenberg, bestätigt aber auch das Problem, dass man als Kursleitung am Bildschirm nicht so leicht erkennen kann, wie es den Teilnehmern bei belastenden Themen persönlich geht. Ihre Interims-Lösung: „Nur so viele Teilnehmer, dass ich sie am Monitor im Blick behalten kann.“ 

Konsequenzen aus der Missbrauchsstudie

Einen Überblick über alle Projekte, die das Bistum Essen als Konsequenz der sogenannten "MHG-Studie" zu sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche aufgelegt hat, liefert die Internetseite mhg.bistum-essen.de.

Schulungen und Erstberatung: „Rufen Sie mich an!“

Besser aber seien analoge Kurse. Für acht geplante Workshops im Jahr 2021 – vier für Schulungsreferentinnen und -referenten sowie vier für Präventionsfachkräfte – gibt es hohen Bedarf nach der Corona-Pause und schon viele Anmeldungen. Das Ziel ist, dass alle Präventionsfachkräfte und alle Schulungsreferenten, die das wünschen, einmal jährlich an einem Workshop-Termin teilnehmen können. Vier weitere Fortbildungen sowie Vertiefungsveranstaltungen werden in diesem Jahr speziell für leitende Mitarbeitende angeboten. Geplant ist darüber hinaus, einzelnen bei starker Belastung auch Supervision anbieten zu können. Für eine Erstberatung hat Möllenberg immer ein offenes Ohr: „Rufen Sie mich an!“

Ein Schutzkonzept der Pfarreien sorgt für mehr Glaubwürdigkeit der Kirche

Das gilt auch für die Pfarreien, von denen erwartet wird, dass sie ein institutionelles Schutzkonzept erstellen. 38 der 42 Pfarreien im Bistum Essen sind dem inzwischen nachgekommen. „Wie wir die Missbrauchskrise bearbeiten, entscheidet über die Glaubwürdigkeit der Kirche“, sagt Möllenberg eindringlich, „wenn wir das nicht gut machen, will auch niemand mehr unsere Frohe Botschaft hören.“ Keiner dürfe diese Aufgabe halbherzig angehen: „Achtsamer Umgang miteinander tut allen gut.“

„Irritierte Systeme“ in Aufruhr: Das Kind und seine Familie, aber auch die Pfarrei

Während Dorothé Möllenberg daran arbeitet, das Risiko für Übergriffe grundsätzlich zu verringern, ist Simon Friede gefragt, wenn bereits „etwas passiert ist“. Er geht vor Ort in die „irritierten Systeme“, wenn zum Beispiel in einer Pfarrgemeinde ein Übergriff gegen einen Minderjährigen geschehen ist, und organisiert dort als Erstes Hilfe für Kind, Eltern, Familie und Umfeld. Aber auch in der Pfarrei wird es Irritation, Wut und Unsicherheit geben. Die Aufgabe des Interventionsbeauftragten ist es hier, die Sachlage zu klären, gegebenenfalls Beratung in Rechts- und Öffentlichkeitsfragen zu vermitteln und die Arbeits- und Kommunikationsfähigkeit zwischen Hauptamtlichen und Gemeinde wiederherzustellen. Für die Nachsorge in den „irritierten Systemen“ stehen sechs speziell in Fragen klerikalen Machtmissbrauchs geschulte Supervisions-Kräfte bereit.

Und die Täter?

Und die Täter? Die Priester, die übergriffig geworden sind, sollen möglichst zur finanziellen Wiedergutmachung herangezogen werden. Das Bistum Essen stellt sie unter regelmäßige Führungsaufsicht, ermöglicht ihnen aber auch Bewährungshilfe und ein delikt-orientiertes Coaching, um Verantwortung für die Tat zu übernehmen. Gut sei es, sinnvolle Aufgaben für die Täter zu finden. Denn – so Friede: „Eine sinnvolle Tätigkeit schützt die Täter davor, wieder übergriffig zu werden.“

Präventionsbeauftragte

Dorothé Möllenberg

Zwölfling 16
45127 Essen

Interventionsbeauftragter

Simon Friede

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Pressestelle Bistum Essen

Zwölfling 16
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