von Maria Kindler

Ablösung der Staatsleistungen stellt Verhältnis von Staat und Kirche auf die Probe

Thomas de Maizière, früherer Bundesinnenminister und Präsident des evangelischen Kirchentages 2023, hat die Kirchen aufgefordert, sich auf eine Diskussion über die Ablösung der Staatsleistungen vorzubereiten. „Jede Veränderung im Verhältnis von Staat und Kirche birgt die Gefahr, dass es für die Kirche schlechter wird“, sagte de Maizière bei den Essener Gesprächen zum Thema Staat und Kirche in der Bistumsakademie „Die Wolfsburg“.

Die Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche sind eine renommierte juristische Fachtagung in der Bistumsakademie "Die Wolfsburg"

In diesem Jahr stand die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen auf der Agenda, die sich die Bundesregierung vorgenommen hat

Der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maiziére hielt den Abschlussvortrag der Tagung

Der Vorstoß der Ampel-Koalition zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen wirft nach Ansicht des früheren Bundesinnenministers Thomas de Maizière (CDU) grundsätzliche Fragen zum Verhältnis von Staat und Kirche auf. „Jede Veränderung im Verhältnis von Staat und Kirche birgt die Gefahr, dass es für die Kirche schlechter wird“, sagte der CDU-Politiker am Dienstag, 15. März, in der katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim bei den 57. Essener Gesprächen zum Thema Staat und Kirche. Aus dem „Miteinander“ von Staat und Kirche dürfe kein „Nebeneinander“ werden, betonte der Jurist.

De Maizière hielt den Abschlussvortrag bei der renommierten Fachtagung, bei der rund 120 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik, Kirche und Verwaltung zwei Tage lang unter dem Titel „Ablösung der Staatsleistungen – Gefahr oder Chance für das Verhältnis von Staat und Kirche?“ diskutiert hatten. Geleitet wird die von der „Wolfsburg“ veranstaltete Tagung seit 2018 vom Leipziger Staats- und Verfassungsrechts-Professor Arnd Uhle.

Staatsleistungen sind Thema im Koalitionsvertrag

Die Ablösung der Staatsleistungen ist ein hochaktuelles und hochpoliti-sches Thema. Als erste Bundesregierung überhaupt hat die Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen die Ablösung der Staatsleistungen in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen. In der vergangenen Legislaturperiode hatten die damaligen Oppositionsfraktionen FDP, Linke und Grüne einen gemeinsamen Gesetzesentwurf zur Ablösung der Staatsleistungen in den Bundestag eingebracht. Darin wurden die Zahlungen der Bundesländer an die Kirchen, die auf Vereinbarungen zwischen den damaligen Landesherren und den Kirchen aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts basieren, mit jährlich etwa 548 Millionen Euro beziffert. Der Entwurf fand im Parlament keine Mehrheit.

Die Staatsleistungen

Staatsleistungen sind finanzielle Zuwendungen des Staates an die Kirchen in Deutschland. Sie dienen der Erfüllung kirchlicher Aufgaben und der Deckung des kirchlichen Bedarfs und müssen von der Kirchensteuer getrennt betrachtet werden. Rechtlich gesehen stehen den Kirchen diese Staatsleistungen zu, als Entschädigung für die Enteignung kirchlicher Besitztümer im 19. Jahrhundert im Zuge der Säkularisation. Bereits in der Weimarer Reichsverfassung wurde aber festgelegt, eine Ablösung herbeizuführen. Diese Verpflichtung wurde später in das Grundgesetz übernommen. Bislang ist dieser aber nicht nachgekommen worden. Voraussetzung für die Ablösung der Staatsleistungen ist ein Gesetz des Bundes, das die Grundsätze der Ablösung durch die Länder regelt.

Das Ziel der Bundesregierung laut Koalitionsvertrag, „in einem Grundsätzegesetz im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen“ zu schaffen, nannte de Maizière „ein schwaches Ziel“, das nur zustande komme, wenn die Länder auch mitmachten. Zudem sehe er in der Bundesregierung „keinen Treiber für das Projekt“, sagte der Politiker. „Mal sehen, was daraus wird.“

De Maiziére nennt vier mögliche politische Szenarien

De Maizière skizzierte vier Szenarien für das Vorhaben zur Ablösung der Staatsleistungen. Erstens: Das „Status Quo-Szenario“, bei dem alles so bleibe, wie es ist. Zweitens: Das „Szenario Hängepartie“, bei dem die Angelegenheit begonnen, aber nicht zu Ende gebracht wird. Drittens: Das Szenario „Ablösung pur“ mit begrenztem Betrag und vor allem als „minimalinvasiver Eingriff“ ausgestaltet, damit andere Bereiche des Staatskirchenrechts nicht berührt werden. Und viertens: Das Szenario „Rutschbahn“, bei dem sich alle Themen vermengten und das gesamte Verhältnis von Staat und Kirche zur Disposition gestellt werde.

Der CDU-Politiker riet den Kirchen, sich auf alle Szenarien vorzubereiten. „Erarbeiten Sie sich eine gemeinsame Position!“, betonte der engagierte Christ, der auch Präsident des evangelischen Kirchentages 2023 in Nürnberg ist. Nur wenn die Kirchen sich zusammentäten, gebe es eine feste Grundlage für Aushandlungen. „Und suchen Sie den engen Schulterschluss mit den Ländern!“

Die Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche

Die Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche haben sich seit ihren Anfängen 1966 zu einem europaweit anerkannten überkonfessionell und interdisziplinär ausgerichteten wissenschaftlichen Fachkongress entwickelt, bei dem aktuelle Fragen zum Verhältnis von Staat und Kirche erörtert werden. Die Dokumentationsbände finden seit Jahren in Rechtsprechung und Fachliteratur Beachtung und werden in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zitiert. Immer im Frühjahr lädt der Bischof von Essen zu den Essener Gesprächen in die Wolfsburg ein. Die nächste Fachtagung findet am 13. und 14. März 2023 zum Thema „Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Religionspolitik“ statt.

Overbeck unterstreicht Gesprächsbereitschaft der Kirche

Bischof Franz-Josef Overbeck hatte zu Beginn der Tagung die Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft der Kirche in der Debatte um eine Ablösung der Staatsleistungen unterstrichen. „Die Kirche wird sich einer weitergehenden Lösung nicht verschließen, wenn und soweit diese ausgewogen ist“, sagte Overbeck am Montag.

Die Verfassung gehe von einer Ablösung der Staatsleistungen aus. Für eine rechtssichere Ablösung der staatlichen Leistungen sei aber ein Gesetz des Bundes erforderlich, das die Grundsätze der Ablösung durch die Länder regelt, führte der Bischof von Essen aus. Er freue sich sehr, dass die Essener Gespräche einen Rahmen schafften, möglichst viele Facetten des Themas anzusprechen und zu diskutieren. Zum Abschluss der Tagung machte der Ruhrbischof eines deutlich: „Die Kirche wird proaktiv tätig werden.“

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