40 Jahre bei der Werkkiste: Norbert Geiers Einsatz für Duisburger Jugendliche
Jugendliche erhalten durch die Werkkiste gezielte Unterstützung für den Einstieg in die Arbeitswelt.
Kulturelle Vielfalt und Sprachförderung sind zentrale Herausforderungen für die Zukunft der Werkkiste.
Werkkiste wünscht sich verlässliche Grundfinanzierung für nachhaltige Jugendhilfeprojekte.
„Dass die Jugend nicht ausbildungsfähig ist, höre ich seit 40 Jahren“, sagt Norbert Geier – und gestimmt habe das schon damals nicht. Um klare Worte war der gelernte Schreiner noch nie verlegen. Schon gar nicht, wenn es um „seine“ Jugendlichen geht. Am gestrigen Donnerstag, 14. November 2024, wurde Geier für 40 Jahre Mitarbeit in der Duisburger Werkkiste geehrt, die er seit 1992 leitet. Ende des Jahres geht der Geschäftsführer der katholischen Jugendberufshilfeeinrichtung in den Ruhestand – dann endet in und um die Werkkiste-Standorte im Duisburger Norden eine Ära.
Es war vielleicht kein Zufall – und wenn, dann ein sehr passender – dass die Feierstunde für Geier nach dem Gottesdienst in der Hamborner Abteikirche ausgerechnet im „Abtei-Center“ stattfand. „Dort haben wir 1982 die Werkkiste gegründet.“ Geier war damals Bezirksvorsitzender der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) und unterstützte die Initiative des katholischen Jugend-Dachverbands BDKJ und der Duisburger Stadtkirche, etwas sehr Konkretes im Kampf gegen die dramatisch hohe Jugendarbeitslosigkeit zu tun. Vier Jahre später kam er wieder mit der Werkkiste in Kontakt: „Ich hatte damals meine Ausbildung als Schreiner abgeschlossen und wurde gefragt, ob ich nicht als Anleiter in der Holz-Werkstatt einsteigen wollte.“ Geier griff zu: Handwerklich tätig sein und gleichzeitig mit jungen Menschen arbeiten, das passte. Jedenfalls deutlich besser als seine erste Berufsidee nach der Schule: Das Lehramtsstudium brach Geier nach einigen Semestern ab; Schülerinnen und Schüler immer nur auf den Ausschnitt eines Fachs zu reduzieren und dessen festes Curriculum durchpeitschen zu müssen, das war nicht seins.
Vom ganzheitlichen Ansatz der Pfadfinder geprägt
„Von den Pfadfindern war ich durch einen ganzheitlichen Ansatz geprägt, der fragt, wie sich der ganze Mensch entwickelt“, erklärt der Werkkiste-Chef. Diesen Blick hat er sich bis heute bewahrt, trotz Studium und – buchstäblichem – Aufstieg in die Chefetage des Unternehmens, zu dem heute 100 Angestellte, 20 Honorarkräfte, mehr als 100 Auszubildende, rund 300 junge Leute in der Berufsvorbereitung und etliche Beratungsangebote gehören. Sein Büro ist im Dachgeschoss des ehemaligen Marienheims in Duisburg-Marxloh. Von dort hat er in den vergangenen Jahrzehnten auch den Strukturwandel im Duisburger Norden beobachtet: „In den 1970er Jahren sind die Ausbilder der großen Stahlwerke noch in die Abschlussklassen gegangen und haben jedem, der keinen anderen Plan hatte, eine Ausbildung angeboten.“ In den verschiedenen Krisen sei die „Werkkiste“ dann eher als Bittsteller wahrgenommen worden, von der man mal „gnädig“ einen Auszubildenden nimmt, erinnert sich Geier. Und heute, in Zeiten des Fachkräftemangels, „bekommen wir Jugendliche in den Unternehmen unter, die wir vor zehn Jahren nicht unterbekommen hätten“.
Heute unterstützt die Werkkiste Jugendliche neben der Berufsvorbereitung vor allem durch einen begleiteten Ausbildungsstart: Die Jugendlichen schließen einen Vertrag mit der Werkkiste, erhalten die berufspraktische Ausbildung aber in einem Unternehmen. Vom Team der Werkkiste gibt’s dann unter anderem „Stütz- und Förderunterricht“ als Unterstützung des Berufsschul-Programms. „Idealerweise erfolgt dann nach einem Jahr die Übernahme in das Unternehmen“, erläutert Geier. Viele der Jugendlichen würden ihnen über das Job-Center vermittelt, andere kämen nach gesundheitlichen Schwierigkeiten als „Reha-Kunden“. Trotz intensiver Bemühungen gelängen längst nicht alle Ausbildungsbegleitungen, sagt Geier. Gleichzeitig würden ehemalige Werkkiste-Azubis von Handwerkskammer oder IHK immer mal wieder als Beste ihres Jahrgangs geehrt. „Der beste Erfolg für uns ist aber eine erfolgreiche Ausbildung und dann ein Job“, formuliert Geier die Perspektive, die auch schon zu Beginn seiner Werkkiste-Zeit galt. „Wenn mich zum Beispiel ein junger Mann anruft, der bei uns eine Einzelhandels-Ausbildung gemacht hat und jetzt die Filiale eines Discounters leitet.“
Auch nach Scheitern den Kopf nicht in den Sand stecken
Infos über die Werkkiste-Angebote und Spendenkonto
Alle Infos zu den vielfältigen Unterstützungs- und Beratungsangeboten der Werkkiste gibt es online auf www.werkkiste.de. Neben öffentlichen Geldern und Kirchensteuermitteln finanziert die Jugendberufshilfe ihre Arbeit über Spenden. Wer die Werkkiste unterstützen möchte, kann diese Bankverbindung nutzen: DE 41 3606 0295 0000 111333 bei der Bank im Bistum Essen, Stichwort: Chancen schaffen.
Geier ist geprägt von der Katholischen Soziallehre, die Menschen dazu aufruft, subsidiär, also so selbstbestimmt wie möglich, und solidarisch zu handeln – musste aber anfangs auch erst lernen, was dies tatsächlich bedeutet. „Ich hätte in den ersten drei Jahren hier keinen Jugendlichen zu Mc Donalds vermittelt“, räumt er heute ein. Doch dann habe er erkannt: „Die Menschen müssen selbst entscheiden, ob ein Job für sie sinnstiftend ist.“ Also keine paternalistischen Vorgaben, sondern „den Jugendlichen die Augen öffnen, dass sie erkennen können: Was ist gut für mich – und was nicht?“ Für manchen bedeute diese Erkenntnis dann eben auch, „dass ein Weg hier für mich nicht weiterführt“. Dann sei nur wichtig, den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Vielleicht war Norbert Geier da manchem Jugendlichen auch mit seiner eigenen Vita ein passendes Beispiel. Schließlich hat der heutige Geschäftsführer als junger Lehramtsstudent auch irgendwann erkannt, dass dieser Weg nicht weiterführt – um sich wenig später an der Schreiner-Werkbank wiederzufinden.
So wie sich die Unternehmen und die Wirtschaftsstrukturen in Duisburg in den vergangenen 40 Jahren verändert haben, so sieht auch die dortige Gesellschaft heute anders aus. „Die Verbindungen der Menschen untereinander haben sich verändert“, sagt Geier und betont: „Sie sind heute anders, nicht besser oder schlechter.“ Zu Beginn der Werkkiste „hatten wir vor allem deutsche Jugendliche und einige Türken“. Heute seien rund 20 Prozent der Teilnehmenden deutsch „und die anderen 80 Prozent kommen aus 17 verschiedenen Herkunftskulturen“. Früher hätten Jugendliche oft in der Familie Vorbilder und Mentoren gefunden, „das können viele Familien heute nicht mehr leisten“. Damals wie heute gelte: „Die Jugendlichen, die zu uns kommen, sind meistens schwer beladen.“ Nur das Gepäck habe sich geändert: Neben schweren individuellen Schicksalsschlägen seien heute kulturelle Hürden ein großes Thema. „Hier würde ich mir noch viel, viel mehr im Bereich Sprachförderung wünschen“, sagt Norbert Geier.
Heute wichtiger denn je: „Jugendliche so früh wie möglich in Arbeit bekommen.“
Nicht nur wegen der größer gewordenen kulturellen Vielfalt in Duisburg wird die Werkkiste auch nach seinem Abschied genug zu tun haben, ist sich der Noch-Geschäftsführer sicher. Aus seiner Sicht müsste es noch viel stärker darum gehen, „Jugendliche so früh wie möglich in Arbeit zu bekommen“. Für manchen sei eine gut vorbereitete oder unterstützte Ausbildung bei der Werkkiste, in der man sich später immer noch weiterbilden könne, besser als perspektivlose Jahre in Berufskollegs.
Für diese Arbeit bräuchte die Werkkiste jedoch endlich eine verlässliche Grundfinanzierung, um sich nicht immer wieder neu um neue Projektmittel der Öffentlichen Hand kümmern zu müssen. Doch darum wird sich im neuen Jahr eine neue Geschäftsführung kümmern müssen – in Norbert Geiers Dachgeschoss-Büro steht in den nächsten Tagen nur noch Aussortieren, Archivieren und Abschiednehmen an.