„Wir brauchen heute ein Feuer, das brennt“

Den Dialog für eine Kirche unter völlig neuen Bedingungen zu beginnen, dazu rief Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck die rund 300 Teilnehmer des ersten Bistumsforums zum Dialogprozess auf, der unter dem Motto "Zukunft auf katholisch" steht. Für die Jugendlichen, Frauen und Männer wurde der Auftakt zu einem beeindruckenden und berührenden Erlebnis.



Rund 300 Teilnehmer beim 1. Bistumsforum zum Dialogprozess

Samstagmorgen, 9.30 Uhr. Allmählich füllt sich das Foyer vor dem Saal „Europa“ in der Messe Essen. Auch Bischof Dr. Franz-Josef  Overbeck mischt sich an den Stehtischen unter die Leute. Man kennt sich, oder auch nicht. Smalltalk, aber auch hier und da ganz persönliche Gespräche bei einer Tasse Kaffee. So manches Gesicht verrät gespannte Erwartung. Der eine oder andere wirft eine Blick in den noch leeren Saal:  Was wird da heute passieren? „1. Bistumsforum – Zukunft auf katholisch“ – diese Info wirft der Beamer auf die große Leinwand. Das Ruhrbistum eröffnet den Dialogprozess. Die 35 Stuhlkreise machen es für jedermann sichtbar: hier geht es um das Gespräch. Keine Einbahnstraßenkommunikation. Es ist das Arrangement der Kreise, das dem Saal seinen Stempel aufdrückt. Rede und Antwort. Dialog eben.

Der Gong fordert auf, die Plätze einzunehmen. Die letzten Gespräche werden beendet. Die Stuhlkreise füllen sich. Am Ende sind es rund 300 Frauen, Männer und Jugendliche. Die Stimme von Bischof Overbeck ist zu hören. Suchend drehen sich die Köpfe. Der Bischof steht nicht auf einer Bühne. Nein, die Teilnehmer brauchen nicht zu ihrem Bischof aufschauen. Und da gibt es auch keine räumliche Distanz. Er steht ganz dicht bei den Frauen und Männern, auf gleicher Ebene: Dialog auf Augenhöhe. Ein aufmerksames Zeichen, das wahrgenommen wird.


Eine ganz neue Kirche sein

In seiner Begrüßung spricht der Bischof von Erwartungen und Skepsis, von verschiedenen Einschätzungen und Erfahrungen. „Wir beginnen etwas Neues“, sagt er und stellt Fragen, Fragen die Menschen haben mögen: Was soll das eigentlich bringen? Haben wir nicht schon genug diskutiert? Was soll eigentlich noch geschehen in der Kirche, wo sich doch sowieso kaum etwas bewegt? Der Bischof spricht von Feuer und Flamme, vom „Feuer Jesu und des Evangeliums“, vom Feuer, das von einer tiefen Überzeugung und Begeisterung lebt. Ein solches Feuer brenne in ganz vielen Menschen. „Wir brauchen heute ein Feuer, das brennt“, sagt Overbeck und bleibt bei diesem Bild: „Neues Brennmaterial und frische Luft sind nötig.“ Nur dadurch könne man „eine ganz neue Kirche sein“. Sonst bleibe am Ende nur noch Asche übrig. Ein Feuer könne reinigen, aber auch verbrennen, es mache hell und gebe Orientierung und könne wärmen. Der Bischof spricht von einem „lebendigen Feuer“ und von „leuchtenden Menschen“. Er spricht vom Ruhrgebiet: „Wenn dies das Land der 1000 Feuer ist, dann erst Recht unsere Kirche“. Die Aussage ist kurz, aber von großer Bedeutung: „Ohne dieses Feuer des Glaubens keine Kirche.“ Genau dieses Feuer wünscht der Bischof allen, und dass es weitergegeben werde, dass Menschen mit leuchtenden Gesichtern nach dem Gottesdienst die Kirche verlassen. Es ist ein Wunsch, der nicht als Forderung daherkommt, der nicht sagt: „Nun macht mal!“ Die Stimme des Bischofs ist alles andere als „geschäftsmäßig“, wenn er von Wünschen spricht, von Visionen, von einem lebendigen und feurigen Dialogprozess, von der Zukunft der Kirche im Bistum Essen. Beifall. Es wird gebetet und gesungen. Bischof Overbeck erteilt den Segen. Das Forum hat begonnen, und das Ziel des Tages ist klar: Den Dialog für eine lebendige Kirche unter völlig neuen Bedingungen beginnen.

Die beiden Moderatorinnen Jutta Herzog und Myriam Mathys geben einen Überblick über den Tag, mit ruhiger Stimme, unaufgeregt, professionell. Der schweizerische Akzent von Mathys, der für deutsche Ohren etwas Liebliches an sich hat, tut sein Übriges. Beide geben Tipps für einen möglichst optimalen Verlauf: etwa, dass alle geistig und körperlich anwesend sind, alle Sichtweisen respektiert werden. Wie der Dialogprozess geplant ist, welche Foren es gibt und welche Themen bearbeitet werden, darüber informiert Domkapitular Dr. Michael Dörnemann. Der Diözesanrat stellt seine Dialoginitiative „Auf RuhrBistum. Kirche gestalten jetzt!“ vor. Schon seit Monaten hat sich das Gremium auf den Dialogprozess vorbereitet: in zehn Veranstaltungen mit rund 2.000 Teilnehmern. „Die Stimme der Laien wird häufig nicht hinreichend genug gehört“ – so das Fazit dieser Treffen. Das Publikum hört aufmerksam zu, ist geduldig. Dann ist die Zeit der Monologe vorbei.


Furcht und Hoffnung
 
In den 35 Gruppen wird jetzt geredet: die Mitglieder stellen sich einander vor, reden über Hoffnungen und Befürchtungen im Zusammenhang mit dem Dialogprozess. Nicht nur eine akustische Lebendigkeit ergreift den Saal. Da wird gestikuliert, wird Körpersprache sichtbar, und auch wohl die Erleichterung darüber, jetzt in den Dialog treten zu können. Im Plenum werden die Ergebnisse vorgestellt. Befürchtungen gibt es: da ist von „heißer Luft“ die Rede, man sorgt  sich über Resignation, Frustration und Skepsis, über Enttäuschungen, Ergebnislosigkeit oder ausbleibende „demokratische Folgen“. Aber die Teilnehmer, darunter auch zahlreiche Jugendliche, haben auch Hoffnungen: dass eine Strahlkraft neu entsteht, eine „lethargische Haltung“ aufgebrochen wird, Offenheit und Respekt praktiziert werden, dass es ein Dialog auf Augenhöhe ist, nicht einengend und auf breiter Basis, dass eine neue positive Stimmung in der Kirche im Bistum Essen entsteht. Viele Antworten sind deckungsgleich, zeugen von einer weitgehend übereinstimmenden Wahrnehmung der kirchlichen Wirklichkeit. An den Wänden des Saales werden diese Hoffnungen und Befürchtungen aufgehängt: Leinen der Furcht und Hoffnung. An den Bischof weitergegeben, einfach abgegeben mit dem Auftrag: jetzt macht mal? „Nein, alle sind letztlich gemeinsam für diese Situation und Befindlichkeit verantwortlich“, ist der Hinweis der Moderatorin.

Pause. Im Foyer bilden sich viele kleine Gruppen. Still ist es nicht. Es wird viel geredet bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Saft. Erste Eindrücke werden ausgetauscht. Sie reichen von „Das war bislang gut“ über „mal abwarten“ bis zu „Es geht noch nicht ans Eingemachte“.


Offene und bewegende Glaubenszeugnisse

Nächste Runde. Es geht darum, das Gemeinsame zu erkennen und um die Frage „Warum bin ich heute Christ/Christin?“. Es geht um Ereignisse im eigenen Leben, die einen äußerst gefordert, berührt, inspiriert oder geprägt haben. Es geht um Begebenheiten, aus denen man gestärkt hervorgegangen ist und den Grund für das Christsein ausmachen. Es wird ganz still im Saal. Zeit des Nachdenkens. So mancher Blick scheint  in die Ferne zu gehen, in die Vergangenheit des eigenen Lebens. Notizen werden in das Tagungsheft gemacht: Schlüsselerlebnisse des Lebens, die Frage nach dem Grund des Christseins. Jeder hat etwas zu erzählen, teilt es den anderen im Stuhlkreis mit, später auch dem ganzen Plenum. Eine beeindruckende Sammlung persönlicher Glaubenszeugnisse. Da ist der Priester, der vor Jahren alkoholkrank wurde und durch eine Therapie wieder den Weg zurück ins Leben fand. Da erzählen Jugendliche, die keine klassische katholische Sozialisation erfahren haben, von Erlebnissen in kirchlichen Gruppen und Verbänden, von der Erfahrung von Gemeinschaft und Vertrauen, von Vorbildern, die sie geprägt haben. „Kirche ist geil. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es keinen Gott gibt“, sagt ein Jugendlicher. Da ist von „harten Zeiten der inneren Kämpfe“ die Rede, von der Erfahrung, dass der Glaube trägt. „Diesen Glauben habe ich nicht durch ein Studium gelernt, sondern durch die Begegnung mit Menschen, die davon erfüllt waren“,  so ein Teilnehmer. Es sind bewegende und offene Glaubenszeugnisse. Und es sind nicht wenige. Es ist etwas von einer Dynamik zu spüren, die manchen wohl  überrascht, die mancher in dieser Dichte noch nicht erlebt hat. „Diese Strahlkraft darf nicht aufhören, wenn wir diesen Saal verlassen“, mahnt einer. Und eine Frau fragt selbstkritisch: „Warum erzählen wir draußen so wenig davon?“

Mittagspause. Kleine Häppchen werden gereicht. Doch auch dann noch gehen die Gespräche weiter, als ob ein Knoten geplatzt ist. Die anfänglich vorsichtige Zurückhaltung ist verschwunden. Jeder scheint etwas loswerden zu müssen. (do) (Fortsetzung: siehe unten)

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