Wenn der Wind des Wandels weht ...

Wohin geht die Kirche? Diese Frage stellen sich zur Zeit nicht wenige, egal ob sie sich in der Kirche beheimatet fühlen oder ihr eher kritisch distanziert gegenüberstehen. Genau dieser Frage geht zur Zeit auch das dreiteilige Theologische Seminar des Katholischen Bildungswerkes Duisburg nach.

Theologisches Seminar in Duisburg fragt nach der Zukunft der Kirche

Wohin geht die Kirche? Diese Frage stellen sich zur Zeit nicht wenige, egal ob sie sich in der Kirche beheimatet fühlen oder ihr eher kritisch distanziert gegenüberstehen. Genau dieser Frage geht auch das dreiteilige Theologische Seminar des Katholischen Bildungswerkes Duisburg nach. Und das Interesse ist groß. Über 100 Besucher wollten sich am vergangenen Montag den Auftakt nicht entgehen lassen, was einen Umzug von der Karmel-Begegnungsstätte in die benachbarte Kirche zur Folge hatte.

„Wenn der Wind des Wandels weht ..., bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen“. Dieses chinesische Sprichwort hatte Professor em. Dr. Franz-Josef Nocke, Duisburg, über seinen Vortrag gestellt. Dass der Wind nie nur aus einer Richtung weht, sondern seine Richtung wechselt, ist eine Binsenweisheit. Das war bislang in der rund 2000-jährigen Geschichte der Kirche nicht anders. Nocke beschrieb in seinem Vortrag die unterschiedlichen „Winde“ in der Kirche, die er als Theologiestudent, Priester und Professor in den letzten sechs Jahrzehnten erlebt hat. „Wir lernten, dass selbstkritischen Fragen zur Theologie gehört. In der Dogmatik lernte man, selbstständig nachzudenken“, schilderte Nocke Eindrücke aus seiner Studentenzeit in den 50-er Jahren.


Viele waren stolz auf die Kirche

Ein einschneidendes Ereignis sei das 2. Vatikanische Konzil gewesen. „Es hat nichts Neues gebracht, aber dem Neuen in der Theologie Heimatrecht verschafft“, so Nocke. Vom „wandernden Volk Gottes“ sei jetzt die Rede gewesen und nicht von einer „geleiteten Herde“, von „Gemeinschaft“ statt Pyramide, von innerkirchlichem Dialog statt „einbahniger Belehrung“. Der Katholikentag in Stuttgart 1964 habe diese Aufbruchstimmung widergespiegelt. „Viele waren stolz auf ihre Kirche“, so der Professor. Aber es habe auch Enttäuschungen gegeben. Die Folge sei die Gründung kirchlicher Reformgruppen gewesen, die  zu „neuen Orten der Orientierung“ wurden. Auch die „Würzburger Synode“ (1972-1975) zählt für Nocke zur „Phase des Rückenwindes“ und kennzeichnet die „Übergangssituation von einer protektionistisch anmutenden Kirche für das Volks zu einer lebendigen Kirche des Volkes“, betonte Nocke. Auch gesellschaftlich sei seit 1968 viel in Bewegung geraten. Für Nocke war es „eine Zeit der weltverändernden Kraft der Hoffnung“.

Mit dem Zusammenbruch des Fortschrittglaubens und zunehmenden „Enttäuschungen mit der Kirche“ habe der Wind gedreht, sei zum Gegenwind geworden. „Der Fortschrittsglaube löste sich in Skepsis auf“, so Nocke. Er sprach von „Lagerdenken statt Dialog“, von „Lähmung statt Lust zum Aufbruch“. Es habe eine Abgrenzung gegeben zwischen Klerikern und Laien, aber auch Abgrenzungstendenzen in der Ökumene und im christlich-jüdischen Verhältnis. Aber auch in der kirchlichen Kommunikation hätten sich „Barrieren“ aufgetan. Der Missbrauch in der Kirche und der Umgang damit habe den Gegenwind noch verstärkt. Nocke sprach auch von „Fluchtbewegungen“. Die Zahl der Katholiken sinke, Menschen träten aus der Kirche aus, kehrten ihr den Rücken zu, „aus psychologischen Gründen und aus Überzeugungsgründen“, betonte der Professor.  Manche würden an andere Orte „flüchten“. Kirchentage und Klöster hätten Hochkonjunktur. „Die Menschen suchen Sinn und Begegnung“, so Nocke.

Was das „Bauen von Mauern“ in der Kirche betreffe, dürfe dies nicht zu einer „fruchtlosen Polarisierung“ führen. „Mauern als institutionelle Widerstände können politisch wichtig sein“, räumte Nocke ein, der auch vom Deich und dem dahinter liegenden Land sprach. Der Deich solle das Land schützen. „Aber im Zweifel ist das Land wichtiger als der Deich“, davon ist Nocke überzeugt.


Die Kraft des Gegenwindes nutzen

Das Gegenteil der Mauern seien in dem chinesischen Sprichwort die Windmühlen. „Sie nehmen die Kraft aus dem Gegenwind, nutzen die Kraft dieses Windes aus“, betonte der Professor. Das bedeute keinesfalls, die Fahne nach dem Wind zu richten. „Wir sollten die Kraft des Gegenwindes, die Kraft der Enttäuschungen und Frustrationen zu Alternativen nutzen“, so Nocke. Es gebe „Fluchtorte“. Hier nannte Nocke als Beispiele Kirchentage, Jugendkirchen, Klöster, den Jakobsweg, die Treffen relativ freier kirchlicher Verbände oder Hauskreise. Solche Orte würden immer wichtiger und seien "kein Luxus, sondern für das Überleben von Glaube und Kirche unverzichtbar“.

In seiner theologischen Bewertung zitierte Nocke den Erfurter Bischof Joachim Wanke, der von der Errichtung von „Leuchttürmen“ spricht , die Orientierung geben. Anzusetzen wäre dort, wo Menschen etwas als für sich wichtig erfahren: Wallfahrten, Initiativen, herausragende kirchliche „Orte“ mit Ausstrahlung und nicht zuletzt „durch eine Präsenz von Menschen, die Türen offen halten“. Der Bischof spricht von einer „Vernetzung von Christen zu Weggemeinschaften, die ein Lernfeld der Nachfolge Christi sein können“.

Nocke warf in seinem Vortrag auch einen Blick in die Kirchengeschichte, die im 1. Jahrhundert nach Christus von Ortsgemeinden und Wanderpredigern berichtet. Auch die Iroschottischen Wandermönche des 7. und 8. Jahrhunderts sowie die Bettelorden (seit dem 13. Jahrhundert) seien „Alternativen zur pfarrlichen Seelsorge“ gewesen. „Die Geschichte der Seelsorge zeigt, dass die Pfarrseelsorge nie die beherrschende war“, betonte Nocke.


Unterschiedliche Gemeinden und Weggemeinschaften

Auch das Neue Testament zeige, dass „Jesu Bewegung eine Wanderbewegung gewesen“ sei. Nocke verwies auf die Missionsreisen des Paulus. Hier sei es nicht um eine flächendeckende Mission gegangen, sondern die Aufmerksamkeit galt größeren Städten und einzelnen Orten an den Hauptverkehrswegen, wo sich kleine Gruppen bildeten. „Überall zündete Paulus kleine ‚Feuer‘ an, dann zog er weiter“, so Nocke. Die Strukturen der Gemeinden seien damals „ganz pragmatisch an Situation und Begabungen angepasst“ worden.
„Das Bild der Kirche im 1. Jahrhundert ist ein Netz von unterschiedlichen Gemeinden und Weggemeinschaften“, so der Professor. Dabei hätte es auch Konflikte und Unterschiede gegeben, aber auch eine „tragende Verbundenheit über große Distanzen“. Das sei die Kirche, wie sie die Bibel darstelle. „Was zählt ist, wie sie einander begegnet sind, und nicht die Hierarchie“, betonte Nocke. Die damalige Kirche sei eine Minderheit in der Gesellschaft gewesen, die aber gewusst habe: „wir gehören zusammen“.

Nocke warb dafür, für „solche Treffpunkte und Beziehungen“ einzutreten. Dabei gehe es „nicht um die Zerstörung der Institution“. Und er unterstrich dabei noch einmal: „Der Sinn der Kirche besteht nicht darin, dass die Leute die Kirche schön finden. Wir haben den Weg Jesu oder das Reich Gottes zu verkünden, und nicht die Kirche.“ (do) 


Information:

Das dreiteilige Theologische Seminar des Katholischen Bildungswerkes Duisburg zum Thema "Wohin geht die Kirche?" umfasst zwei Vortragsabende und ein Textseminar.

Das Seminar will Fragen aufgreifen und Vorschläge diskutieren, die vielleicht Wege weisen können. Weil den hierzulande geläufigen Problemanzeigen gelegentlich entgegengehalten wird, es handle sich dabei nur um typisch mitteleuropäische und deshalb in ihrer Reichweite begrenzte Sichtweisen, soll am zweiten Vortragsabend auch eine Stimme aus Zentralafrika gehört werden: 

Montag, 28. März 2011, 19.30 Uhr:
"Eine afrikanische Perspektive zur Zukunft der Kirche". Referent: Professor Dr. Nazaire Bitoto Abeng, Yaounde/Kamerun. Er hat in Deutschland studiert und ist Präsident der zentralafrikanischen katholischen Universität in Yaoundé.

Montag, 4. April 2011, 19.30 Uhr:
Textseminar - Neuere Stimmen zur Zukunft der Kirche (u.a. Papst Benedikt XVI., Hans Küng, Erzbischof Robert Zollitsch). Referent: Professor Dr. Franz-Josef Nocke (Die Texte können beim Katholischen Bildungswerk Duisburg erworben werden.)

Weitere Auskünfte unter Tel.: 0203 / 2 81 04-74.

Pressestelle Bistum Essen

Zwölfling 16
45127 Essen