"Wenn der liebe Gott umzieht...."

Am 1. Oktober hat die Gemeinde St. Hermann-Josef in Essen-Dellwig Abschied genommen von ihrer Kirche. Gemeinsam mit Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck feierten sie die letzte Messe. Im "Geistlichen Wort" (WDR, 26.9.) ging Herbert Fendrich auf dieses - für viele Gläubigen schmerzliche - Ereignis ein.


Gemeinde St. Hermann Josef nahm Abschied von ihrer Kirche


Am 1. Oktober hat die Gemeinde St. Hermann-Josef in Essen-Dellwig Abschied genommen von ihrer Kirche. Gemeinsam mit Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck feierten sie die letzte Messe, bevor der Bischof die Weihe, die "auf diesem heiligen Ort" liegt, aufgehoben hat.

Das Geistliche Wort im Westdeutschen Rundfunk am Sonntag zuvor, 26. September, hat Herbert Fendrich, Kunsthistoriker und Theologe im Dienst des Bistums Essen, diesem - für viele Gläubigen schmerzlichen - Ereignis gewidmet:


Herr, unser Gott, Hirt deines Volkes,
 wir nehmen Abschied von diesem Kirchenraum,
der uns und vielen vor uns religiöse Heimat war.
Er war die Mitte des Gemeindelebens,
das Gotteshaus, in dem wir in Liturgie und Gebet
deine Nähe gesucht und gefunden haben.
Dieses Bauwerk war für uns ein steinernes Zeugnis unseres Glaubens
Und eine fortwährende Erinnerung an deine Nähe.
Der Verlust erscheint uns groß,
wenn wir auf all das Gute schauen,
das wir hier erfahren haben.

So - oder ähnlich - wird am nächsten Freitag in der Kirche St. Hermann-Josef in Essen-Dellwig gebetet werden. Dann nimmt eine Gemeinde Abschied von ihrer Kirche. Sie feiert mit dem Bischof von Essen die letzte Messe und Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck wird die Weihe, die auf diesem ’heili-gen Ort’ liegt, aufheben.

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen: Das wird kein Freudenfest! Die Stimmung wird eher gedrückt sein. Manche sind vielleicht gefasst und eher nüch-tern, ganz viele aber sicher auch traurig und wehmütig. Es wäre schlimm, wenn das nicht so wäre. Und ich verstehe auch, dass sich bei vielen betroffenen Menschen, die hier ’ihre’ Kirche verlieren, in den Schmerz auch Ärger und Wut mischen: Warum ausgerechnet ’unsere’ Kirche!

Abschied nehmen von einer Kirche: Muss das sein? Und darf das sein? Und was wird aus diesen Kirchen? So fragen ja nicht nur die Menschen, die unmittelbar von einer Kirchenschließung betroffen sind. Ich möchte heute morgen ein wenig auf diese Fragen eingehen. Und will dabei vorweg meine Karten aufdecken. In meinem Bistum Essen hat mich der Bischof eigens beauftragt, die Sorge um die zu schließenden Kirchen für ihn wahrzunehmen, mit zu beraten und alle Überlegungen zur Zukunft eines geschlossenen Kirchengebäudes bis zu einer Entscheidungsfindung zu begleiten. Ich könnte eine solche Aufgabe nicht übernehmen, wenn ich nicht überzeugt wäre: Der Weg ist im ganzen richtig, Kirchenschließungen - und leider nicht wenige - sind in unserer Situation unvermeidlich.

Was ist das für eine Situation? Soviel müsste ja klar sein: Ohne Not würde kein Bischof der Welt auch nur eine Kirche schließen. Und jetzt - in meinem Bistum Essen - sind es fast 100! Unsere ’Not’ ist leicht zu beschreiben. Das Bistum Essen - im wesentlichen die Ruhrgebietsstädte von Duisburg bis Bochum und kleine Teile von Sauerland und Bergischem Land - besteht erst seit 1958. Damals gab es rund anderthalb Millionen Katholiken, von denen gut ein Drittel regelmäßig die Sonntagsgottesdienste besuchten. Heute - nur 50 Jahre später - sind es 870.000 Katholiken, von denen weniger als zehn Prozent regelmäßig zur Kirche gehen. Kurz und gut - bzw. schlecht: Aus 500.000 Kirchenbesuchern sind 85.000 geworden.

Es sind also einerseits die finanziellen Zwänge, die zur Aufgabe von Kirchen führen. Weniger Mitglieder, weniger Einnahmen. Das junge Bistum Essen hat im Gegensatz zu anderen Diözesen nur wenige Kirchengüter und Stiftungen, es muss den Erhalt seiner Gebäude und die vielen seelsorglichen Aufgaben nahezu ausschließlich aus Kirchensteuereinnahmen finanzieren.

Wenn die Zahl der Gläubigen abnimmt, ist es aber auch pastoral und seelsorglich vernünftig, zusammenzurücken und zusammenzufassen, damit lebensfähige Gemeinden und Gemeinschaften erhalten bleiben oder neu entstehen. Das ist insgesamt kein leichter Weg, wenn Menschen mit ihrem Glauben ein neues Zuhause suchen und finden müssen. In den großen Städten unseres Bistums ist der Weg zur nächsten Kirche meistens nicht weit, aber wenn menschliche Nähe und tragfähige Glaubensgemeinschaft neu entstehen soll, dann geht es häufig nicht so schnell. So ein ’Umzug’ ist mit vielen Ängsten und Unsicherheiten verbunden. Gelingen kann er nur, wenn der Glaube mitzieht. Und da bin ich mir sicher: Wenn eine Kirche ge-schlossen wird und eine Gemeinde umziehen muss: Gott zieht mit.

Also: Wir müssen Kirchen aufgeben. Aber: Dürfen wir das auch? Sind das nicht Gottes Häuser, ’heilige Orte’? Darf man die ’einfach’ anders nutzen? Oder gar abreißen? Die katholische Kirche betrachtet in der Tat ihre Kirchengebäude als ’heilige Orte’. Aber sie sind es nicht einfach, sondern sie werden es. Nämlich durch Weihung oder Segnung. Dann werden die Kirchen zu ’heiligen Orten’, die ausschließlich dem Gottesdienst und dem Gebet vorbehalten sind. Aber diese Weihung - so sieht es das Kirchenrecht ausdrücklich vor - kann auch wieder, in der Regel durch den Bischof, zurückgenommen werden. Dann gebührt diesen Orten immer noch Respekt und Ehrfurcht. Aber theologisch gibt es dann keine Vorbehalte mehr gegen eine andere, auch eine nichtkirchliche Nutzung. Der sakrale Raum wird wieder ’profan’, deswegen spricht man auch, wenn der Bischof ein entsprechendes Dekret erlässt, von der ’Profanierung’ einer Kirche.

Dieser nüchterne - für viele gläubige Menschen vielleicht ernüchternde - Umgang mit unseren ’Gotteshäusern’ ist nicht eine moderne Erfindung, sondern darf sich auf ein breites, biblisch begründetes Fundament berufen. Die Heilige Schrift im Alten und Neuen Testament bezeugt immer wieder eine große Skepsis, wenn es um ’Gottes Häuser’ geht. Es ist eben gemeinsamer jüdischer und christlicher Glaube, dass Gott ’viel zu groß’ ist und sich jeder Festlegung und Eingrenzung entzieht. Bei der Weihe des Tempels in Jerusalem betet der König Salomo: ’Wohnt Gott denn wirklich auf der Erde? Siehe, selbst der Himmel und die Himmel der Himmel fassen dich nicht, wie viel weniger dieses Haus, das ich gebaut habe’ (1 Kön 8,27). Das letzte Kapitel des Propheten Jesaja beginnt mit dem Satz: ’So spricht der Herr: Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel für meine Füße. Was wäre das für ein Haus, das ihr mir bauen könntet? Was wäre das für ein Ort, an dem ich ausruhen könnte?’(Jes 66,1). Diesen Satz zitiert dann im Neuen Testament, in der Apostelge-schichte, der Diakon Stephanus in der langen Rede, bevor er gesteinigt wird. Und vor dem Zitat steht der entschiedene Satz: ’Salomo baute Gott ein Haus. Doch der Höchste wohnt nicht in dem, was von Menschenhand gemacht ist’ ( Apg 7,47).

Ja, die Bibel ist sehr zurückhaltend, wenn es um Tempel, Gotteshäuser und heilige Orte geht. Der Gott der Bibel bindet sich nicht an einen Ort, er ist beweglich, ist unterwegs mit seinem Volk und den Menschen. Ein Gott, der mitzieht, wenn Menschen umziehen.

Was wird nun aus den Kirchen, die wir aufgeben müssen und aufgeben dürfen? Ich hatte ja schon eingangs gesagt: Diese Frage bestimmte in den letzten Jahren mei-nen beruflichen Alltag. Und ich will da nichts schönreden. Fast hundert Kirchen sind ein großes Paket und nicht immer und überall kann man gute oder auch nur zufrie-denstellende Lösungen finden. Einige der betroffenen Kirchen sind von so herausragender Qualität und Bedeutung, dass sich einschneidende bauliche Veränderungen für eine neue Nutzung von selbst verbieten und einer Zerstörung gleich kämen. Auf der anderen Seite zeigt sich, dass auch der Abriss einer Kirche unvermeidlich sein kann, wenn aufwändige Ein- und Umbauten finanziell nicht zu verantworten sind.

Aber reden wir ruhig auch von dem Positiven. Sehr gut finde ich es, dass an 15 Kirchen unseres Bistums ein eingeschränktes gottesdienstliches Leben weiter geht. Da haben sich Fördervereine gegründet und Nutzungspartner sind gefunden worden, die die Finanzierung mit tragen. Niemand weiß, wie lange dieses Engagement ausreicht und eine sinnvolle liturgische Nutzung gewährleistet werden kann. Trotzdem sind das gute Übergänge.
Einige Kirchen sind auch nicht katholischen kirchlichen Gemeinschaften zur Nutzung übertragen worden. Serbisch-Orthodoxe, rumänisch-Orthodoxe, russisch-Orthodxe, evangelisch-freikirchliche Gemeinschaften. Auch hier ist nicht abzusehen, wie lange die Möglichkeiten dieser eher kleinen Gruppen hinreichen. Aber die Kirche bleibt so noch eine Zeit lang Kirche.

Besonders begrüßenswert sind auch die Lösungen, bei denen sich an der Kirche und in der Kirche das soziale Engagement fortsetzt, wo die Kirche weiter für die Menschen da ist. Drei Kirchen - in Mülheim und Duisburg - sind Caritaszentren geworden; in der Oberhausener Kirche ’Zur Heiligen Familie ist die ’Oberhausener Tafel’ eingezogen. Außer der Lebensmittelausgabe gibt es da noch ein Essensangebot und soziale Beratung. Diese Kirche trägt ihren Namen immer noch zu recht!

Ein wichtiger Partner für neue Lösungen ist für uns das Franz-Sales-Haus geworden, eine große Einrichtung der Behindertenhilfe in Essen. Die Dreifaltigkeitskirche in Essen-Steele wird zur Zeit umgebaut, da entstehen auf zwei Etagen Räumlichkeiten für Wohngruppen behinderter Menschen, im Erdgeschoss sollen Angebote möglich werden, die sich auch nach außen richten: ein Café, eine Verkaufsstelle, vielleicht auch ein Andachtsraum. An anderer Stelle wird das Franz-Sales-Haus - allerdings nach Abriss der Kirche - ein integratives Wohn-Konzept verwirklichen.

Soweit der kleine Einblick in die Veränderungen, die sich zur Zeit an unseren Kirchen - und an unserer Kirche - vollziehen. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen und ich weiß auch nicht, wohin der Weg noch führen wird. Aber ich sehe nicht nur schwarz. Ich sehe Zeichen. Zeichen, die mich weiter glauben lassen. An den Gott, der mitzieht.

Pressestelle Bistum Essen

Zwölfling 16
45127 Essen