Verlorenes Vertrauen - Katholisch sein in der Krise

Vor allem das Schweigen, Vertuschen und Wegschauen von Amtsträgern in der Kirche ist für den Jesuitenpater Klaus Mertes der eigentliche wunde Punkt des Missbrauchskandals. Gemeinsam diskutierte er in der "Wolfsburg" mit dem Generalvikar des Bistums Essen, Klaus Pfeffer, über das Thema "Katholisch sein in der Krise".



Pater Klaus Mertes und Generalvikar Klaus Pfeffer diskutierten in der "Wolfsburg"

Der „wunde Punkt“ des Missbrauchsskandals, der in der Katholischen Kirche eine schwere Vertrauenskrise ausgelöst hat, besteht für den Jesuitenpater Klaus Mertes, St. Blasien, nicht allein in der verwerflichen Tat Einzelner, sondern vor allem im Schweigen, Vertuschen und Wegschauen der Verantwortlichen in der kirchlichen Hierarchie. „Das ist der eigentliche Skandal“, sagte er auf einer Podiumsdiskussion mit dem Essener Generalvikar Klaus Pfeffer zum Thema „Katholisch sein in der Krise“ am Mittwochabend, 11. Juni, in der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim an der Ruhr.

Im Januar 2010 hatte Mertes, damals Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin, von Missbrauchsvorwürfen ehemaliger Jesuitenschüler durch zwei Patres erfahren. Er schrieb einen Brief an die rund 600 Angehörigen der betreffenden Jahrgänge, die in den 1970er und 1980er Jahren das Kolleg besucht hatten, schrieb von „tiefer Erschütterung und Scham“ und entschuldigte sich bei den Opfern. Der Brief wurde veröffentlicht und ermutigte so weitere Opfer in ganz Deutschland, sich zu melden.

Die Opfer brauchen ein Grundvertrauen

„Am meisten berührt hat mich, dass ich Selbstvertrauen und das Vertrauen in leitende Personen verloren habe“, beschrieb Mertes sein Erleben der Krise. Er sei „durch und durch“ und auch gerne katholisch. Gerade das mache für ihn den Schmerz der Krise aus. Ihm sei es von Anfang an wichtig gewesen, die Opfer zu ermutigen, überhaupt zu sprechen. „Die Opfer brauchen ein Grundvertrauen, mit dem wir ihnen entgegenkommen, nicht umgekehrt“, so der Jesuitenpater. Man könne nämlich nicht ohne weiteres voraussetzen, dass die Missbrauchsopfer einer Institution vertrauen, „von deren Repräsentanten sie ja gerade auf schlimmste Weise verletzt worden sind“. Sexueller Missbrauch sei immer auch Vertrauensmissbrauch.

Der Missbrauchsskandal habe für ihn zu einer großen Ernüchterung geführt, sagte Generalvikar Pfeffer vor den rund 200 Gästen. „Wir sind Illusionen nachgelaufen, die mit der Wirklichkeit der Kirche wenig zu tun haben“, betonte er. Das sei auf der einen Seite ernüchternd, auf der anderen Seite für ihn aber auch „entlastend“. Es sei längst nicht alles „nur großartig“ in der Kirche. Es gebe auch Schattenseiten. „Wir müssen uns ohne Wenn und Aber der Wirklichkeit stellen“, unterstrich Pfeffer, der auf die radikalen Veränderungen in der Kirche und in der Gesellschaft sowie auf die daraus resultierenden Herausforderungen hinwies. Dem wolle das Bistum Essen mit dem Dialogprozess und „Zukunftsbild“ Rechnung tragen.  

Verantwortung übernehmen

Auf die Frage, wie die Kirche Vertrauen wieder zurückgewinnen könne, nannte Mertes als ersten Schritt die vorbehaltlose Aufklärung. „Das Vertrauen gegenüber der Institution Kirche hängt von ihrem Verhältnis zur Wahrheit ab“, betonte der Pater. Nur auf Grundlage einer „gemeinsamen Anerkennung der Wahrheit“ sei Versöhnung möglich, sagte der Pater, der beklagte, dass sich mancher kirchliche Amtsträger nicht der Verantwortung gestellt hätte. „Die Institution braucht verantwortliche Hierarchien, die weder Täter noch Vertuscher sind“, so Mertes. Da müsse man bereit sein, den Preis der Stigmatisierung der Institution in Kauf zu nehmen und Solidarität zeigen. „Das ist Übernahme von Verantwortung“, so der Jesuit. Für ihn besteht die Vertrauenskrise in der Kirche auch darin, dass es immer mehr Verantwortliche in der kirchlichen Hierarchie gebe, die den Menschen nicht mehr vertrauten. „Wenn aber die Hirten der Herde nicht mehr vertrauen, dann wird es schwer“, sagte Mertes.

Seiner Meinung nach haben Machtstrukturen in der Kirche Missbrauch und Vertuschung überhaupt erst möglich gemacht. „Macht muss in der Kirche  die Funktion haben zu schützen“, so Mertes. Die Schlüsselfrage der Prävention sei das Nachdenken in der Kirche über ihre Machtstrukturen.  Papst Franziskus habe schon einige Zeichen gegen die Arroganz der Macht in der Kirche gesetzt, stelle die „Kirche der Armen“ in den Mittelpunkt. „Die Opfer von Machtmissbrauch in der Kirche gehören ja zu den Armen“, betonte der Jesuitenpater. Es seien Menschen, die weder Recht noch Gerechtigkeit erfahren hätten.

Um die Krise auszuhalten, sei eine „Unterscheidung der Geister“ notwendig. Es gelte, „mit Empathie hinzuhören, herauszuhören, was die Zeichen der Zeit sind, wo mir Christus begegnet, wo der Geist Gottes spricht, auch in den mit der Kirche leidenden Menschen“, so Mertes. Das unterstrich auch Generalvikar Pfeffer und fügte hinzu: „In der Kirche muss ein offenes und angstfreies Reden und Streiten möglich sein, darf bei dem Ringen um den Weg die Auseinandersetzung nicht gescheut werden.“ Aus jeder Krise könne man lernen. Den Vertrauensverlust auszuhalten könne auch heißen, katholische Kirche neu zu entdecken. (do)

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