Sie gehen mit Gott

Stephan Markgraf, Thomas Fahle und Sven Christer Scholven sind ihren Weg seit dem ersten Tag gemeinsam gegangen - sie kennen sich seit acht Jahren aus dem Priesterseminar. Ein Portrait der drei Weihekandidaten.



Wenn am Freitag vor Pfingsten drei neue Priester im Bistum Essen geweiht werden, dann verbinden sie gleich mehrere Besonderheiten. Sven Christer Scholven, Stephan Markgraf und Thomas Fahle sind ihren Weg seit dem ersten Tag gemeinsam gegangen; sie kennen sich seit acht Jahren aus dem Priesterseminar. Alle drei haben vorher in anderen Berufen gearbeitet, verschiedene Weggabelungen und Brüche erlebt. Kurz vor ihrem großen Tag herrscht unter ihnen Aufbruchsstimmung. Sie sehen sich nicht als „die letzten Mohikaner“, sondern starten voller Überzeugung und Elan in ihren neuen Lebensabschnitt.


Die Diakonenweihe war ein wichtiger Schritt


Wobei: Ganz neu ist er nicht. Die drei lassen sich nicht auf völlig unbekanntes Gebiet ein. „Aus der Außensicht läuft alles auf die Priesterweihe zu“, weiß Sven Christer Scholven. Die Innensicht ist eine andere: „Die Diakonenweihe wird oft unterschätzt“, sagt Scholven. Sie liegt für die drei rund ein Jahr zurück. Das Zölibatsversprechen haben sie schon damals gegeben. „Damit ist diese Lebensform schon sehr konkret und erfahrbar geworden“, sagt Scholven und zieht die Schultern hoch: „Es ist okay, ja. Auch wenn es eine Herausforderung bleiben wird.“ Die Entscheidung für das Leben als Priester ist bei allen Gemeinsamkeiten doch unterschiedlich verlaufen für die drei „Neuen“.

Für den 34-jährigen Sven Christer Scholven war nach dem Abitur eigentlich alles klar: erst der Wehrdienst, dann das Jura-Studium – in der festen Absicht, daraus etwas zu machen. Nach dem Staatsexamen kam er jedoch ins Grübeln. Der gebürtige Wittener engagierte sich in seiner Bochumer Gemeinde – und wurde eines Tages gefragt, ob er sich vorstellen könnte, Priester zu werden. Er zieht die Stirn kraus: „Ich war ziemlich entgeistert. Aber die Frage, einmal gestellt, ging nicht mehr weg.“ Die Antwort fand der junge Mann mit den kurzen, hochgeigelten schwarzen Haaren im Kloster. „Ich bin ohne Idee dahingefahren und kam zurück mit der Erkenntnis, dass ich mich einfach auf den Weg machen muss.“ Seine Eltern waren von seiner Entscheidung fürs Priesteramt nicht überrascht.

Die Reaktionen im Umfeld von Stephan Markgraf fielen anders aus. „Mein Chef ist aus allen Wolken gefallen“, erinnert sich der blonde Priesterkandidat aus Lüdenscheid. Er wirkt ruhiger als sein jüngerer Kollege Scholven, redet sich aber in Begeisterung, wenn es um den Glauben geht: „In und mit der Kirche zu leben, das war für mich schon immer wie ein Elixier.“ Dennoch hatte er sich bereits für eine andere Laufbahn entschieden, Goldschmied gelernt, als Geselle in Bonn gearbeitet. Er lächelt: „Die Zeit dort war toll, ich hatte das Gefühl, in einer Stadt zu leben, in der andere Urlaub machen. Mich hat keine Krise zur Kirche geführt, sondern Gott hat mich auf dem Höhepunkt erwischt.“ Seine endgültige Entscheidung fiel auf einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela.

Thomas Fahle, der Dritte im Bunde, erhielt den entscheidenden Anstoß von außen – von einer Arbeitskollegin im Verwaltungswesen. In diesem Bereich hat der heute 49-Jährige lange gearbeitet. „Wer wie ich aus Paderborn kommt, ist ohnehin katholisch“, sagt Fahle und lacht. „Aber erst diese Kollegin hat mich auf die Idee gebracht.“ Fahle holte das Abitur am Bischöflichen Abendgymnasium in Essen nach, studierte in Bochum und Wien. Dieses theoretische Rüstzeug gehört dazu, aber: „Letztlich sind das Konstruktionen. Als Priester muss man konkret werden, schließlich ist Gott auch konkret im Leben.“ Alltag und Glauben zu verweben, sei ihm immer wichtig gewesen. Fahle bezeichnet diese Verknüpfung auch als eines seiner wichtigen Ziele im Priesteramt: „Ich will keiner sein, der über den Menschen steht und alles besser weiß. Wir sind gemeinsam auf dem Weg und gerade vor Gott alle gleich. Ich kann nur versuchen, den Menschen dafür die Ohren zu öffnen.“

Für alle drei Kandidaten ist eines klar: Sie sind auf dem Weg – und noch lange nicht am Ziel.  Eine Zäsur und Irritation auf diesem Weg war offensichtlich der Missbrauchsskandal. Fällt das Stichwort, ist den Männern die Erschütterung von 2010 noch heute anzusehen. Einen Moment schweigen sie, bevor Stephan Markgraf formuliert, wie es wohl jedem von ihnen ergangen ist: „Mich hat erschreckt, was da passiert ist.“ Hilflos habe er sich gefühlt, sagt Sven Christer Scholven: „Auch im Hinblick auf die Frage, wie wir als Priester mit unseren Mitbrüdern umgehen. Es ist gut, dass es da ein Umdenken gibt, dass die Kirche als irdische, fehlbare Institution ein neues Selbstbild etablieren muss.“

Thomas Fahle plädiert dafür, Mitarbeiter schon in der Ausbildung zu sensibilisieren. „Mir verschlägt es immer noch die Sprache, wenn ich über die Missbrauchsfälle nachdenke“, sagt er. „Das Wichtigste ist, dass wir als Kirche wiedergutmachen, so gut es irgend geht. Für die Zukunft ist wichtig, dass wir eine natürliche Nähe zu Menschen erhalten können. Denn eine kalkulierte Nähe wäre fatal.“

Der Umgang mit dem Skandal ist jedoch nicht das Einzige, das die zukünftigen Priester als Herausforderung für sich und ihre Kirche betrachten. Alle drei stimmt es traurig, dass viele Menschen aus der Kirche austreten oder ihr doch immer weniger Platz in ihrem Leben einräumen. „Wir möchten die Menschen ermutigen“, sagt Sven Christer Scholven, „denn wir sind doch Kirche. Also gilt es, Räume zu öffnen, in denen Menschen glauben können.“

Auf welche Art Gott erfahrbar ist, dafür hat Stephan Markgraf viele konkrete Ideen. „Es ist eine Illusion zu hoffen, dass man jeden erreichen könnte. Aber es gibt schon eine wunderbare Vielfalt von Projekten, etwa ,stay to pray‘ in Essen-Borbeck, Taizé- Gottesdienste oder das Nightfever in anderen Städten. Da spricht Kirche die Sprache der Menschen.“ Auch diejenigen, die mit Religion nichts zu tun hätten, würden Kirchen oftmals als besondere Gebäude betrachten. „Viele empfinden aber eine Hemmschwelle, wissen nicht, ob sie da überhaupt rein dürfen. Dabei ist jeder eingeladen.“ Unterschiedlichen Menschen zu begegnen und gemeinsam Dinge auszuprobieren, findet Markgraf wichtig: „Es darf nicht beim Reformieren von Strukturen bleiben.“


Die Veränderungen mit den Menschen gestalten


Diese Möglichkeiten zur Gestaltung sind für Thomas Fahle ein Grund, warum er als Priester im Bistum Essen arbeiten möchte. „Hier verändert sich momentan viel. Das heißt auch, dass vieles neu definiert werden muss: Gemeinde, was heißt das heute überhaupt? Wie organisiert sie sich? Und wie kann ich bei allen Veränderungen weiterhin das Evangelium unter die Leute bringen?“ Fahle möchte in den kommenden Jahren umsetzen, was er in seiner zwölfjährigen Ausbildung gelernt hat. „Bei diesem Prozess dabei zu sein, ihn mit den Menschen zu gestalten, das finde ich spannend.“ Auch Sven Christer Scholven nennt das Bistum Essen einzigartig. Ihm gefallen die urbane Prägung mit ländlichen Einsprengseln und die multikulturelle Bevölkerung. Dass die neuen Priester in ihrem Bistum mitten im Leben stehen, daran lassen sie keinen Zweifel.

Sowohl für das Bistum als auch für die Priesterlaufbahn werden sie sich immer wieder neu entscheiden müssen; unter diesem Aspekt werden Priestertum und Ehe häufig verglichen. Bekommen die Kandidaten da nicht doch kalte Füße? Sven Christer Scholven schmunzelt: „Als ich zur Diakonenweihe gefahren bin, bin ich eingeschlafen.“ Seine Kollegen lachen, doch er wird schnell wieder ernst und erklärt: „Das war für mich ein Zeichen des völligen Vertrauens, dafür, wie sehr ich überzeugt war und bin, dass Gott ja zu mir sagt, so wie ich an diesem Tag in die Kirche komme.“

Ein Geschenk, das kaum greifbar ist, meint auch Stephan Markgraf. „Ich bin sehr aufgeregt“, gibt er zu. „Ich frage mich, warum, immerhin habe ich mich lange genug vorbereitet. Wahrscheinlich kann mein kleiner Verstand nicht erfassen, vor welcher Aufgabe ich da eigentlich stehe.“ Thomas Fahle erscheint gespannt und gelassen zugleich. „Die persönliche Beziehung zu Gott bereichert mein Leben. Wichtig ist da vor allem, nicht stehen zu bleiben, sondern die Beziehung vital zu halten. Eben ein bisschen wie in einer Ehe.“


Wer nur funktionieren will, der wird kein Priester


Abgesehen davon möchten die drei keine Ratschläge verteilen. Für sie selbst war das Ausprobieren der richtige Weg. „Man erkennt manches nicht durch langes Überlegen und Abwägen, sondern nur im Gehen“, sagt Stephan Markgraf in Anspielung auf seine eigene Pilgererfahrung und auf seinen Weg mit Gott. Sven Christer Scholven nennt die Eigenschaften, die für ihn einen guten Priester ausmachen: „Neugier, Offenheit und die Klarheit darüber, dass es eine Herausforderung ist. Und ich glaube, man darf nicht nur funktionieren wollen, sondern muss Gott, die Menschen und auch sich selbst leiden können.“

Letztlich sei stets wichtig, auf die eigene innere Stimme zu hören, ergänzt Thomas Fahle – und zusätzlich mit anderen im Gespräch zu bleiben. „Glauben ereignet sich nur in Gemeinde“, ist er überzeugt. Das gelte indes nicht nur für angehende Priester oder diejenigen, die hauptamtlich in der Kirche arbeiten möchten, sondern für alle Gläubigen. Fahle lächelt: „So zu tun, als gäbe es nur die Optionen ,Priester‘ oder ,nix‘ – das ist ziemlich out.“ (pko)

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