Religionen sind Teil der Gesellschaft

Zu Gast beim "Kardinal-Höffner-Kreis" in Berlin, einem informellen Zusammenschluss von katholischen Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU-Fraktion, war am Mittwoch, 16. Juni, Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck. Dort sprach er zum Thema "Politik mit dem Gottesbegriff. Glaubensperspektiven im Kulturpluralismus".

Bischof Overbeck war Gast beim „Kardinal-Höffner Kreis“

Die in Deutschland lebenden Einwanderer machen nach Ansicht von Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck neben den heimischen Traditionen den „kulturellen Reichtum unseres Landes“ aus. Gerade die Region des Bistums Essen, das Ruhrgebiet, schöpfe seine besondere Identität daraus, „dass es über zwei Jahrhunderte bei allen Konflikten im Großen und Ganzen die Menschen integriert hat, Menschen, die dorthin kamen, um ihren Lebensunterhalt hart zu erarbeiten“, betonte er bei einem Treffen mit dem „Kardinal-Höffner-Kreis“ in Berlin, einem informeller Zusammenschluss von katholischen Bundestagsabgeordneten in der CDU/CSU-Fraktion.

Die „kulturelle Wirklichkeit offener Gesellschaften“ des Westens sei vom Pluralismus bestimmt. Dieser kulturelle und weltanschauliche Pluralismus ist für Overbeck ein „positiver Teil der Identität unseres Gemeinwesens“.  Die Einheit der Gesellschaft sei nicht über Einheitlichkeit herzustellen. Es gehe vielmehr darum, „die Andersheit des Anderen als besonderes Gut anzuerkennen“, sagte Overbeck in seinem Vortrag zum Thema „Politik mit dem Gottesbegriff. Glaubensperspektiven im Kulturpluralismus“. Das letzte Konzil habe den Dialog als Modell der gesellschaftlichen Integration des Katholizismus empfohlen. In der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung gebe es eine „gute Grundlage“, mit Vertretern unterschiedlicher Weltanschauungen und Religionen „für die Menschenwürde und die Personalität aller Menschen zu streiten“, betonte Overbeck.


Keine Nischenbildung und Parallelgesellschaften

Er warnte davor, die Religion ins Private abzudrängen. Religionen seien vielmehr „Teil der gesellschaftlichen Öffentlichkeit“. Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht gebe es kein Interesse an Nischenbildung und Parallelgesellschaften. Aber: „Glauben kommt vom Hören und verlangt nach Zugehörigkeit. Das muss auch erkennbar sein dürfen“, so der Bischof. Es sei aber darauf zu achten, dass die Wahrnehmung öffentlicher Ämter die Neutralitätspflicht des Staates nicht verletze. Was religiöse Symbole betreffe, so hätten diese „eine wichtige kulturelle Funktion“ und gehörten zum „gemeinsamen Gedächtnis der Gesellschaft“.

Für Overbeck ist das deutsche Modell der balancierten Trennung von Kirche und Staat eine „kulturelle Errungenschaft“ mit einer „Partnerschaft auf Augenhöhe". Doch es müsse darauf geachtet werden, dass die bewährten Modelle des Zusammenlebens „nicht durch europäische Grundrechtedebatten nivelliert werden“. Die Kirchen in Deutschland leisteten aufgrund der föderal-subsidiären Ordnung in Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereichen „wichtige Beiträge zum gesellschaftlichen Gemeinwohl“ und engagierten sich auf diese Weise erfolgreich für Integration und gesellschaftlichen Frieden. „Liberal darf also nicht mit ‚liberalistisch‘ verwechselt werden“, warnte Overbeck.

Die Kirche mache zwar nicht selbst Politik im Sinne von Parteipolitik, sei sich aber der „politischen Dimension des Glaubens“ bewusst. „Als Katholische Kirche stützen wir den gesellschaftlichen Grundkonsens“, betonte der Bischof. Weil es den Christen um das „Wohl aller Menschen“ gehe,  werde er als Ruhrbischof immer den Diskurs suchen, „wenn es um die Debattenkultur und um wirtschaftliche, arbeits-, familien, bildungs- und integrationspolitische Themen geht“, unterstrich Overbeck. Hinsichtlich der augenblicklichen Spardebatte mahnte er, die soziale Balance nicht aus den Augen zu verlieren. Beim Abbau von Staatsleistungen müsse zunächst das verfassungsrechtlich geforderte Existenzminimum  garantiert sein. „Gleichzeitig haben Familien – bei allem Verständnis für das Argument der Generationengerechtigkeit – ein Recht auf verlässliche Rahmenbedingungen“, sagte Overbeck. Das gelte auch für die Bezieher von Arbeitslosengeld II.


Religiöse Werte stützen die politischen Werte

Auch auf die Wertedebatte ging der Ruhrbischof ein: „In einem pluralistischen Gemeinwesen stützen religiöse Werte die politischen Werte.“ Oft werde den Kirchen die gesellschaftliche Funktion des  „Wertegaranten“ zugesprochen und abverlangt. Doch die Kirche lasse sich „nicht einfach gesellschaftspolitisch in den Dienst nehmen. Overbeck: „Es geht vielmehr um Gottesdienst und damit um den Dienst am Nächsten, in dem wir Gott selbst begegnen.“ In Zeiten der allgemeinen Gottesvergessenheit wirke die Präsenz des Islam „für uns wie eine positive Provokation“. Vieles, was lange gesellschaftlich keiner Rede mehr wert war, werde heute neu diskutiert, so zum Beispiel der Gottesbegriff. Ein verfassungsrechtlicher Gottesbegriff – so Overbeck – weise „entlastend auf die Grenze politischer Machbarkeit“ und relativiere den Machtanspruch. Leider sei die Übertragung dieses in Deutschland bewährten Kulturgutes auf die europäische Ebene nicht gelungen.

Als „Irrtum“ bezeichnete der Bischof die Ansicht, der interreligiöse Dialog könne langfristig zu einer Einigung der Religionen auf ein gemeinsames Bekenntnis führen. „Ziel des Dialoges ist ein besseres Verständnis, das Herausarbeiten von Unterschieden  und – wo möglich – gemeinsames Handeln für das Gemeinwohl“, so Overbeck.

Mit Blick auf die CDU/CSU unterstrich der Bischof, dass eine plurale und multikulturelle Gesellschaft Kräfte brauche, „die mit religiösem Bewusstsein ausgestattet, in der Lage sind, über das traditionell Eigene hinausgehend, für anderes Verständnis zu haben und Gemeinsames neu wachsen zu lassen“. Er habe großen Respekt vor Politikern, „die die letzten Gründe ihres Handeln offen legen, indem sie die religiöse und kulturelle Kraft des Christentums für die Gesellschaft fruchtbar machen“. (do)

Vortrag von Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck

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