von Thomas Rünker

Kirche im Wandel soll den Geist der 68er aufnehmen

Bei einer Tagung in der Mülheimer Akademie „Die Wolfsburg“ ging es am Samstag um die Frage, wie die 68er-Bewegung die Kirche von heute prägt.

Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer sieht die katholische Kirche in einem „radikalen Wandel“, in dem sie sich in vielen Bereichen gleichzeitig verändern müsse. „Wir haben gar keine Zeit, erst das eine und dann das andere zu machen“, entgegnete er am Samstag in Mülheim auf einer Tagung zur Wirkung der „68er“ auf die Kirche von heute. Die Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Claudia Lücking-Michel warf den kirchlichen Verantwortlichen vor „einen Sprung zu schnell“ unterwegs zu sein und zu sehr auf die sich ändernde Rolle der Kirche in der Gesellschaft zu schauen. „Erst einmal müssen wir innerhalb der Kirche unsere Hausaufgaben machen“, sagte Lücking-Michel. 50 Jahre nach den Umbrüchen der „68er“ und dem von diesen Umbrüchen geprägten Essener Katholikentag müsse die Kirche „den Ball der 68er aufnehmen“ und sich Themen wie Frauen, Demokratisierung und Mitbeteiligung sowie synodalen Strukturen annehmen, um zukunftsfähig zu sein. Nur bei echter Mitbestimmung seien die Kirchenmitglieder auch künftig bereit, die Kirche mitzufinanzieren, sagte sie mit Blick auf das Thema Kirchenaustritte. Pfeffer wehrte sich nicht gegen Struktur-Reformen, betonte aber: „Wir können die Dinge nicht nacheinander tun, sondern nur gleichzeitig.“ Hier sei das Bistum mit seinem Zukunftsbild auf einem guten Weg. Gleichzeitig helfe das Ruhrbistum, Strukturdebatten voran zu treiben, „weil es bei uns keine Denk- und Sprechverbote gibt“.


„Kirchen sind Bastionen gegen die Dehumanisierung“

„Letztlich ging es den 68ern um eine Verbesserung der Lebensbedingung der Menschen“, hob der Publizist Andreas Püttmann hervor. Aus dieser Motivation heraus gehe es darum, „die Menschenverächter von heute in die Schranken zu weisen: Jahrelang hat man in Deutschland gegen einen Faschismus gekämpft, der keiner war – jetzt ist er da und es heißt: Alle Mann an Deck“, so Püttmann. Hier seien „beide großen Kirchen echte Widerlager und Bastionen gegen die Dehumanisierung.“ Allerdings sollten sich gerade die Bischöfe noch klarer und wahrnehmbarer äußern, „wenn in der öffentlichen Debatte gegen die Menschwürde argumentiert wird“. Lücking-Michel verwies auf das kirchliche Engagement in der Flüchtlingshilfe und der Entwicklungspolitik und sagte: „Gut, dass wir da von den 68ern auf den richtigen Weg gebracht worden sind.“

Der frühere rheinische Präses und EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider warnte auf der Tagung davor, sich die beiden großen christlichen Kirchen ohne ihre Strukturen zu wünschen: „Das wären keine dem Evangelium gemäßen Kirchen“, betonte er. Natürlich müssten sich die Kirchen verändern, sagte Schneider und empfahl, die Kirchen stärker an der seelsorgerischen Arbeit vor Ort zu orientieren.

Kleine Kirche mit „vernetzten Inseln des Glaubens“

Franz-Josef Nocke, emeritierter Theologie-Professor und im Kontext der Reformbewegungen der 68er Mitbegründer des „Essener Kreises“, sieht in der Gesellschaft nach wie vor „einen großen Bedarf am Evangelium“. Die Menschen kämen heute weniger in die Kirchen, „aber es gibt immer noch so viele Menschen, die darauf warten, persönlich bejaht, ernst genommen und geliebt zu werden. Das ist für uns der Kern des Evangeliums.“ Auch Nocke glaubt nicht, „dass die Gemeinden den aktuellen Schrumpfungsprozess stoppen können“. Die Kirche werde künftig „nicht mehr so groß sein, aber das ist auch nicht so schlimm“, sagt der 85-jährige Priester aus der Duisburger Karmel-Gemeinde. Aus der 68er-Bewegung hätten sich in der Kirche viele kleine Gruppen entwickelt, in denen sich die Katholiken „gegenseitig in ihrem Glauben vergewissern“. Solche kleinen Gruppen als „vernetzte Inseln des Glaubens“, sieht Nocke auch als eine Basis für die Kirche der Zukunft.

Verpflichtung der „Generation Konzil“

Für Christian Weisner aus dem Bundesteam von „Wir sind Kirche“, ist der Geist der 68er und des II. Vatikanischen Konzils (1962-1965) zumindest in den kirchlichen Reformgruppen bis heute präsent. Nun sei es die „Verpflichtung der ,Generation Konzil‘, diesen Geist weiterzugeben“. Kontraproduktiv seien da Entwicklungen wie der aktuelle Streit um die gemeinsame Kommunion für katholische und evangelische Ehepartner: „Wenn wir als Kirche Verbots- statt Willkommensschilder aufstellen, müssen wir uns auch nicht wundern, wenn niemand mehr kommt“, sagte Weisner.

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