„Kirche endet niemals an der Grenze der Pfarrei“

Sich nicht in die Gemeinden zurückzuziehen und einzuigeln, sondern die Wirklichkeit außerhalb der Pfarreigrenzen wahrzunehmen und sich ihr zu stellen, dazu rief Weihbischof Franz Vorrath zum Auftakt des Caritassonntags in Bochum auf. Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich dürfe Christen nicht kalt lassen.

Weihbischof Franz Vorrath zum Auftakt des Caritassonntags

Dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden, ist für den Essener Weihbischof Franz Vorrath, Bischofsvikar für die Caritas, ein „Armutszeugnis“ für ein so reiches Land wie die Bundesrepublik. „Das haut scheinbar niemanden mehr vom Hocker“, beklagte er zum Auftakt des Caritassonntags am Samstagabend, 22. September, in der Liebfrauenkirche in Bochum-Altenbochum.

In seiner Predigt rief er eine Frage von Mutter Teresa von Kalkutta in Erinnerung: „Kennt ihr die Armen eurer Stadt, eurer Gemeinden?“ Er habe bisweilen den Eindruck, „dass wir im gewissen Sinne an einer Art ‚Kultur der Trennung‘ leiden“. Auf der einen Seite gebe es Gebet, Spirituelles, Glaube und Bibel, Arbeit und Gesellschaftliches, auf der anderen Seite die „Wahrnehmung himmelschreiender Not und Ausbeutung“. Es sei unbequem, sich damit zu beschäftigen. So mancher wünsche sich, in seiner Gemeinde einen „Hort des Friedens“ und eine „Oase des Verschnaufens“ zu finden. „Armut aber hindert uns, das Gefühl spiritueller Behaglichkeit zu erlangen. Deswegen alles lieber trennen“, so Vorrath mit einem ironischen Unterton. Der „moderige Geruch dieser Welt“ solle lieber draußen bleiben.


Die Wirklichkeit „da draußen“ wahrnehmen

Schon 1949 habe die französische Sozialarbeiterin Madeleine Delbrêl kritisiert, dass sich ihre Gemeinde von jeglichem nichtgläubigen und nichtbürgerlichen Milieu abgeschnitten habe und gegenüber diesem eine gleichgültige Haltung einnehme. Ihr Resümee: „Das kommt wahrscheinlich daher, dass der Ausgangspunkt stets der Pfarrbezirk ist, der keine Liebe zu dem hat, was ‚draußen‘ liegt.“

„Lieben wir in unseren Gemeinden wirklich, was da draußen ist?“, fragte der Weihbischof kritisch. „Sehen wir, was in unserer Stadt, unserem Viertel, direkt vor unserer Haustür passiert?“ Armut sei heute oft nicht direkt sichtbar. Manche versuchten, ihre bedrückende Lebenssituation zu verbergen. Mit seiner Kampagne 2012 unter dem Motto „Armut macht krank“ mache der Deutsche Caritasverband auf diese Entwicklungen in der Gesellschaft aufmerksam. „Armut erhöht das Risiko, krank zu werden“, so Vorrath. Arme Menschen hätten eine deutlich kürzere Lebenserwartung.


Die Kluft zwischen Arm und Reich ist kein Randphänomen

Die Kirche müsse die Wirklichkeit „da draußen“ wahrnehmen und sich ihr stellen. „Das darf uns nicht kalt lassen“, forderte Vorrath, „denn Gott spricht zu uns genau durch all diese Ereignisse und Fakten.“ Die Erkenntnis, dass Armut oft mit Krankheit einhergehe oder Herkunft die Bildungschancen entscheidend beeinflusse, dürfe für die Gemeinden „kein akademisches Glasperlenspiel“ werden. Es gehe darum, die „Zeichen der Zeit“ wahrzunehmen und zu deuten. Spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil gebe es keine Trennung zwischen der profanen Welt auf der einen und der sakralen Kirche auf der anderen Seite. Deshalb müsse die Kirche „über sich hinausgehen“ und durch Kontakt zur und Auseinandersetzung mit der Welt eine immer neue Gestalt suchen.

Armut und die weiter wachsende Kluft zwischen Arm und Reich seien keine Randphänomene, mit denen sich nur Politiker oder Soziologen beschäftigen müssten. „Das sind Aufträge und Aufforderungen an uns Christen, die Wachheit und Einsatz verlangen“, betonte der Weihbischof. Denn Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Zusammenhalt seien „keine Selbstläufer und Automatismen“.

Schon immer habe es engagierte Frauen und Männer in der Kirche gegeben, die Hilfe für andere organisieren sowie Orte und Strukturen schaffen, um die Not ihrer Mitmenschen zu lindern. „Sie sahen und sehen darin einen Anruf Gottes“, so Vorrath. Die Welt selbst sei der Fundort für den Lebenssinn und die Lebensaufgabe. Deshalb ende Kirche niemals an der Grundstücksgrenze der Pfarrei. „Eine ‚Kultur der Trennung‘, die darin besteht, sich zurückzuziehen, einzuigeln, scheinbar aus der Sorge um das uns Heilige, war und ist niemals Bestandteil christlicher Glaubenskultur“, hob Vorrath hervor. Er rief die Gläubigen auf, die „Zeichen der Zeit“ wahrzunehmen und zu deuten, die „Kultur der Trennung“ zu überwinden und „mutig hinaus zu gehen um Gottes und der Menschen willen“. (do)


Predigt von Weihbischof Franz Vorrath

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