von Cordula Spangenberg

Gesundheitsziele für die Ruhrregion

Eine Expertenrunde diskutierte in der „Wolfsburg“ über Digitalisierung, integrierte Versorgung und Fachkräftemangel im Gesundheitswesen und über den Jobmotor „Gesundheit“ im Ruhrgebiet

Wenn die Gesundheitsbranche im Ruhrgebiet boomen soll, braucht sie bessere Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer Medizin, fortgeschrittene digitale Technik und gleichermaßen gute Arbeits- und Lebensbedingungen für das Heer an Menschen, die heute schon im Gesundheitswesen tätig sind. Auf diesen Konsens einigte sich eine Expertenrunde von Regionalforschern und Entscheidern der Gesundheitswirtschaft auf Einladung der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ und des Initiativkreises Ruhr am Dienstag, 17. Oktober, in Mülheim.

Die Digitalisierung ist Dreh- und Angelpunkt für fast jede Weiterentwicklung in Medizin und Pflege. Was da auf die Menschen zukommt, demonstrierte Prof. Dr. Jochen Werner, Vorstand des Universitätsklinikums Essen, mit dem Auftritt des humanoiden Roboters „Pepper“. „Pepper“ hat große Augen, runde Körperformen in Kindergröße, überaus bewegliche, menschenähnliche Hände und Arme sowie einen Monitor vor der Brust. Er antwortet auf Fragen, erkennt Mimik, Gestik und Emotionen. Seine Aufgabe ist es zum Beispiel, zum Blutdruckmessen aufzufordern und die Werte an den Arzt weiterzuleiten. Er erinnert im Seniorenheim mit freundlichen Worten an das Mittagessen und die Bingo-Runde, er kann in der Rolle eines Bewegungstrainers Atemübungen oder Gymnastik anleiten und spielt dazu Entspannungsmusik. Er könnte sogar tanzen – aber in diesem Moment stürzte bei der Vorführung in der „Wolfsburg“ leider sein System ab, und „Pepper“ muss neu hochgefahren werden.

Wer einen Computer bedienen kann, kann länger zu Hause leben

Allerdings, schränkte Werner ein, sei „Pepper“ kein intelligentes, selbst lernendes Robotersystem, sondern arbeite nur so gut, wie er zuvor programmiert worden sei. Dennoch zeigt der Roboter, wohin die Entwicklung im Gesundheitssektor gehen wird. Denn Patienten, die einen Computer bedienen können, werden zu einem späteren Zeitpunkt in ein Altenheim ziehen müssen oder früher aus Krankenhaus und Reha nach Hause zurückkehren dürfen, wenn sie zum Beispiel nach einem Schlaganfall mit einer App ihre Sprechfähigkeit trainieren, ihre Gesundheitsdaten selbst dem Arzt übermitteln oder Notrufsysteme nutzen können.

Auch das medizinische Personal profitiere von besserer Software-Unterstützung, um Arztbriefe oder die Pflegedokumentation mit wesentlich weniger Zeitaufwand schreiben zu können, stellte Prof. Dr.Anne Friedrichs in Aussicht, deren Hochschule für Gesundheit in Bochum akademischen Nachwuchs der Gesundheitsberufe ausbildet. Und weil Pflegekräfte sehr oft Rückenschmerzen haben, könnten sie demnächst, wenn sie mehr als fünf Kilo heben müssen, einen Roboter als digitalen Unterstützer hinzuziehen. Solche Lösungen würden, so hofft Prof. Dr. Jochen Werner, die Arbeitszufriedenheit und damit die Verweildauer in einem Pflegeberuf entscheidend verbessern.

360.000 Werktätige im Gesundheitssektor des Ruhrgebiets  

Im Ruhrgebiet bietet der Gesundheitsmarkt als Jobmotor inzwischen höhere Chancen als die Industrie. 360.000 Menschen seien im Ruhrgebiet in Gesundheitsberufen tätig, 315.000 von ihnen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, listete Prof. Dr. Josef Hilbert, Direktor des Instituts für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen, auf. Werner zählt in der Region 9.000 niedergelassene Ärzte und 1.008 Krankenhäuser mit 40.000 Betten. Das engmaschige Netz kleiner Kliniken sei von den Patienten gewünscht, sorge aber für hohe wirtschaftliche Konkurrenz auf dem Gesundheitsmarkt.

Dazu sagte Dr. Dirk Albrecht, Sprecher der Geschäftsführung der Contilia GmbH, einem Trägerverbund katholischer Krankenhäuser und Seniorenheime: „Eine der großen Stärken der Gesundheitswirtschaft im Ruhrgebiet ist die Mentalität der Menschen. Darauf aufbauend brauchen wir in der Zukunft mutiges Unternehmertum, Kooperationen sowie innovative Projekte, um die Gesundheitsbranche in der Region weiter auszubauen.“

Schwarmstädte – attraktive Lebensräume für junge Leistungsträger

Trotz der hohen Beschäftigungszahlen in der gesamten Gesundheitsbranche fehlen allerdings vor allem im Nordteil des Ruhrgebietes über 1.300 niedergelassene Ärzte. Die Ursache für diesen Fachkräftemangel erkennt Prof. Dr. Rolf G. Heinze, Regionalforscher der Ruhr-Universität Bochum, vor allem darin, dass es bislang nicht gelungen sei, die Region zu einer „Schwarmstadt“ zu machen, in die junge Leistungsträger wie ein Schwarm Vögel einfallen, um hier zu leben, zu arbeiten und die Kultur zu bereichern. „Dafür müssen wir jungen, qualifizierten Menschen mehr Bildung, Gesundheit, Kultur und attraktive Wohnquartiere bieten. Das gehört alles zusammen“, sagte Heinze.

An dieser Stelle sieht Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck eine Aufgabe auch für kirchliche Einrichtungen: „Uns fehlen Generalisten, die Verantwortung übernehmen. Als Kirche könnten wir eine der Generalisten-Aufgaben zur Gestaltung des Gemeinwohls übernehmen.“ Die Marke „Bistum Essen“ sei gut dafür geeignet, in diesem Prozess auch die ethischen Fragen nicht aus dem Blick zu verlieren. Prof. Jochen Werner formulierte den ethischen Aspekt für das Uni-Klinikum so: „Die Digitalisierung ist ein wertvoller Prozessunterstützer für die Gesundheitswirtschaft. Das Bauchgefühl von Ärzten und Pflegekräften kann sie jedoch nicht ersetzen.“

Pressestelle Bistum Essen

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