Erinnerungsspeicher ist jetzt erschlossen

Ein riesiger Erinnerungsspeicher ist in dieser Woche in Essen „aufgeschlossen“ worden. Mit "Erinnerungsspeicher" meint Professor Dr. Thomas Schilp von der Universität Duisburg-Essen die reichhaltige und umfangreiche urkundliche Überlieferung des Frauenstiftes Essen.

„Essener Urkundenbuch“ macht 700 Urkunden des Essener Frauenstifts verständlich

Ein riesiger Erinnerungsspeicher ist in dieser Woche in Essen „aufgeschlossen“ worden. Erinnerungsspeicher – damit meint Professor Dr. Thomas Schilp von der Universität Duisburg-Essen kein Gebäude und auch keine Festplatte, sondern die reichhaltige und umfangreiche urkundliche Überlieferung des Frauenstiftes Essen. Denn neben den bekannten Essener Schätzen – dem Dom, der Domschatzkammer mit ihrer sakralen Goldschmiedekunst und den eindrucksvollen Handschriften - gibt es noch einen weiteren Schatz, der aus insgesamt 7000 Urkunden besteht.

700 Urkunden der ersten 500 Jahre des Stiftes sind nun durch Schilp inhaltlich zusammengefasst und in heutiger Sprache für jeden historisch Interessierten zugänglich gemacht worden. „Regesten“ nennt man diese Form der kurzen und verständlichen Erfassung von Urkunden. 550 Seiten stark ist das in dieser Woche erschienene „Essener Urkundenbuch. Regesten der Urkunden des Frauenstifts Essen im Mittelalter“. Da in Band I die Urkunden “von der Gründung um 850 bis 1350“ vorgestellt werden, ist für die kommenden Jahre auf eine Bearbeitung der weiteren über 6000 Urkunden zu hoffen“, so Dr. Thomas Plassmann von der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, in deren Publikationsreihe der neue Band erschien.

Die Erarbeitung der Regesten sei eine Sisyphos-Arbeit gewesen, die ihn über viele Jahre täglich mit mehreren Stunden beschäftigt habe,  berichtete Schilp bei der Vorstellung des Buches. Denn die 700 Dokumente waren bislang nicht so leicht und zusammenhängend zugänglich. Der überwiegende Teil der Urkunden liegt im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Andere befinden sich heute als „Sammlung Kindlinger“ im Landesarchiv in Münster. Sie sind schon Ende des 18. Jahrhunderts vom damaligen Stiftsarchivar Kindlinger aus dem Archivbestand herausgenommen und gesondert aufbewahrt worden. Zum guten Schluss sind auch nach der Säkularisation Urkunden und Akten in Essen geblieben und werden heute im Münsterarchiv aufbewahrt. Alle diese Dokumente – in altertümlichen
Buchstaben in Latein und die jüngeren in „Mittelniederdeutsch“geschrieben – musste Thomas Schilp sichten, entziffern und übersetzen, bevor er sie zusammenfassen konnte.

Geschichte des Stiftes muss teilweise neu geschrieben werden

Nun denken viele Menschen bei Urkunden an „langweilige Vorgänge“, die sich nur um Rechtsfragen drehen. Doch Professor Schilp hat durch seine jahrelange Arbeit an den Regesten der Essener Urkunden auch viele kleine Details gefunden, die beispielsweise die gesamte „Stiftsfamilie“ von den Kanonikern bis hin zum Koch der Äbtissin betreffen. Selbstbewusste Essener Äbtissinnen wie die erst 27-jährige Katharina von der Mark wussten sich sogar gegen klare Vorgaben des Papstes zu behaupten. Benedikt XII. hatte von ihr 1337 einen Eid verlangt, in dem sie schwor, niemals zu heiraten. Doch Katharina gelobte ihm und seinen Nachfolgern zwar Treue und Gehorsam, aber das Gelöbnis, niemals zu heiraten, machte sie nicht.
Viele der nun als gedruckter Regest vorliegenden Urkunden sind bislang unbekannt gewesen. Schilp, einer der besten Kenner der Essener Stiftsgeschichte, geht deshalb davon aus, dass die Geschichte des Stiftes zumindest für die Zeit von 1100 bis 1350 in Teilen neu geschrieben werden muss.

Eine kleine Auswahl von acht Urkunden, die sowohl inhaltlich wie formal von besonderem Interesse sind, zeigt die Domschatzkammer bis zum 1. November zu den Öffnungszeiten. Die Präsentation zeigt u. a. eine der kleinsten Königsurkunden, die je ausgestellt wurden: eine Urkunde von Beatrix von Holte, der Bauherrin der gotischen Münsterkirche, mit einem der schönsten Wachssiegel seiner Zeit (1321) und einen Ablassbrief, der mit Zuwendungen für den Kirchenbau verbunden war. Die Urkunde selbst ist durch Löschwasser im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt worden. Doch die zwölf Siegel haben die vergangenen 700 Jahre gut überstanden. Eine Begleitbroschüre zur Ausstellung (zum Preis von 1,50 € an der Kasse der Schatzkammer erhältlich) erläutert die Urkunden und gibt eine inhaltliche Zusammenfassung. In einem ergänzenden Beitrag erläutert Schilp die Bedeutung des „Essener Urkundenbuchs“. (gedo/do)


Thomas Schilp (Bearb.), Essener Urkundenbuch. Regesten der Urkunden des Frauenstifts Essen im Mittelalter, Band 1: Von der Gründung um 850 bis 1350 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. LXXX), Düsseldorf: Droste Verlag 2010. (ISBN 978-3-7700-7635-2), 75,00 €

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