von Cordula Spangenberg

„Entscheidend ist auf’m Platz“

Vier Priester und eine Beraterin sprachen in der „Wolfsburg“ über Lust und Frust am Weiheamt

Eine großartige Aufgabe, Priester zu sein – wenn nur die Pfarreiarbeit nicht wäre. Das Schöne und Schwierige des Weiheamtes der katholischen Kirche schilderten fünf Fachleute für das Priestertum am Mittwochabend im vollbesetzten Auditorium der katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim. Seelsorge in der Pfarrei sei zwar eigentlich das wünschenswerte Ziel dieses Berufes, nicht aber die Verwaltung immer größerer Bezirke bei einer schwindenden Zahl immer älterer Aktiver und hohem Desinteresse der fernstehenden Mitglieder. Denn mit denen wolle der Priester ja eigentlich engen Kontakt pflegen und den Glauben teilen. So lautete die übereinstimmende Einschätzung der Seelsorge-Profis, denen die ursprüngliche Begeisterung für ihren Beruf bei aller Kritik und Sorge nicht abhandengekommen zu sein schien.

Das Podium der „Wolfsburg“ war prominent besetzt: Thomas Frings saß dort, ehemaliger Pfarrer aus Münster, der vor einem Jahr unter hohem öffentlichen Interesse sein Amt als Pfarrer niedergelegt hatte: „Mein Amtsverzicht als Pfarrer wäre für alle leichter, wenn ich geheiratet hätte, denn dann müssten die Mitbrüder sich nicht in Frage stellen. Aber ich will nichts anderes als Priester sein.“

Nicht der Priesterberuf, die Gemeindearbeit ist in der Sackgasse

Neben Frings saß Franz Decker, Kölner Pfarrer und Caritasdirektor im Ruhestand. Gemeinsam mit zehn Koautoren hatte er Anfang 2017 anlässlich des gemeinsamen goldenen Priesterjubiläums einen kritischen offenen Brief über den Zustand der Kirche und des Priesterberufes geschrieben, nachdem aus der Pfarrei die Frage gekommen war: „Würden Sie das eigentlich wieder tun?“ Die Welt habe er verändern wollen, darum sei er Priester geworden, sagt Decker: „Nicht der Priesterberuf, sondern die Gemeindearbeit ist heute in der Sackgasse.“

Anders als Decker, der mit den Mitpriestern seines Weihejahrgangs ein halbes Jahrhundert hindurch engen Kontakt pflegte, muss Propst Christoph Wichmann aus Oberhausen, 38 Jahre alt, sich als einziger Kandidat seines Jahrgangs tragfähige Kontakte anderswo suchen als unter den gleichaltrigen Mitbrüdern. „Immer der Jüngste“ sei er im Priesterrat oder in der Pfarrerkonferenz. Trotzdem sei er mit großer Freude nicht nur Priester, sondern auch Pfarrer: „Mich reizt die Vielfalt der Aufgaben. Jeder Tag ist anders, und alles hat mit den Menschen und dem Leben zu tun.“ Allerdings leide auch er unter der Last, Strukturen bündeln zu müssen und für sechs Kirchenstandorte gleichzeitig zuständig zu sein: „Entscheidend ist auf’m Platz. Ich kann nur in einer einzigen Kirche die Osternacht feiern.“

Keiner weiß, wohin es mit der Kirche gehen wird

Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer trägt im Bistum Mitverantwortung für die Bildung neuer Strukturen, in denen die Gemeinden mit ihren Priestern in Zukunft Kirche sein sollen. „Gut, dass es Priester gibt, die den Mut haben, die Dinge beim Namen zu nennen. Wir versuchen im Bistum Essen, eine Atmosphäre zu schaffen, in der man über diese Themen sprechen kann“, dankte Pfeffer für die offene Gesprächsatmosphäre. Allerdings könne er ebenso wenig vorhersehen, wie die Kirche sich in den nächsten Jahren entwickeln werde: „Es geht ja nicht nur um den Priesterberuf, sondern um die Situation der Kirche in der Gesellschaft. Die Kirche steht weit weg von den Menschen – welche Konsequenz ziehen wir daraus?“

Sabine Wengelski-Strock, als Supervisorin, Organisationsberaterin und Coach auch im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz unterwegs, beobachtet, dass die Kirche ganze Gruppen kluger Menschen aus den Diskussionen ausschließe. Grund dafür seien die Machtverhältnisse einer kirchlichen Zwei-Klassen-Gesellschaft zwischen Männern und Frauen sowie Geweihten und Nichtgeweihten.

Die Gemeinden tragen den Zölibat nicht mehr mit

Natürlich spiele in der Diskussion um die Rolle der Priester in der Gemeinde auch der Zölibat eine entscheidende Rolle. „Ich finde es hoch problematisch, jemanden zwangsweise zum Alleinleben zu verdonnern“, befand Analytikerin Wengelski-Strock. Die Priester Frings und Decker empfanden es als großes Glück, im Pfarrhaus immer in Gesellschaft anderer gelebt zu haben. Denn es sei eine „kirchliche Machtdemonstration“, Priestertum und Zölibat zu verbinden, und habe nichts mit dem Evangelium Jesu zu tun, kritisierte Franz Decker. Propst Wichmann vermutet, dass die Gemeinden den Zölibat ohnehin nicht mehr mittrügen: „Würde ich sagen: ‚ich heirate‘, würden sich sicherlich viele freuen.“ Auch die Medien, die ansonsten mit Kirchenkritik nicht sparten, respektierten solche Lebensentscheidungen, so erlebte es Frings: Als er in Münster als Pfarrer zurücktrat, wurde nicht etwa über die zeitgleich tagende Frühjahrsvollversammlung der deutschen Bischöfe berichtet, sondern fast ausschließlich über Frings –und zwar „ohne Skandal und ohne Häme“, wie ein hochrangiger Priester aus Münster überrascht feststellte.

Vorreiterrolle für das Bistum Essen

Was also muss sich ändern, damit die Priester ihre Aufgaben in der sich verändernden Kirche gut wahrnehmen können? „Das A und O ist das Miteinander Sprechen“, sagte Generalvikar Pfeffer, auch wenn viele offene Fragen nur auf Ebene der Weltkirche zu lösen seien. Für Propst Wichmann sind Vertrauen und Loyalität im Seelsorgeteam eine wichtige Sache. Frings wünscht sich, dass neben dem Programm der Territorial-Gemeinde auch Alternativmodelle ausprobiert werden können: etwa eine „gestufte Nähe“ zur Kirche, die den Menschen eine Begegnung mit Jesus Christus ermögliche, ohne sie gleich mit dem Sakramenten-Empfang zu überfordern. Gute Ansätze für solche Alternativen findet Frings im Bistum Essen: „Sie sind da in einer unangenehmen Vorreiterrolle“, bescheinigte er dem Essener Generalvikar. Das sei so, antwortete Pfeffer, weil sein kleines Bistum aufgrund wirtschaftlicher Not zu Veränderungen genötigt werde, während andere Diözesen genug Geld hätten, um einen Strukturwandel noch vor sich her zu schieben.

Dass die Priester auch in einer erneuerten Kirche eine unverzichtbare Rolle haben, beschrieb Propst Wichmann: „Ich wundere mich immer wieder über den Vertrauensvorschuss der Menschen aufgrund meines Amtes. Zum Beispiel bekomme ich selten so viel Dankbarkeit wie in einem Trauergespräch. Bei allen Skandalen und Diskussionen rund um den Priesterberuf ist es einfach toll, das zu erleben.“

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