von Cordula Spangenberg

Einzigartiges Kunstwerk: das Kreuznagelreliquiar im Essener Domschatz

Neue Ausgabe „Das Münster am Hellweg“ gibt Einblick in Entstehung und Verehrung des Goldschmiedewerks, das einen Kreuznagel Christi in sich trägt

„Ist der echt?“, fragt sich so mancher Besucher angesichts des Kreuznagelreliquiars, das im Essener Domschatz aufbewahrt wird. Hinter durchsichtigen Bergkristallplatten ist ein knapp 5 Zentimeter langer, rostiger Eisennagel zu sehen, der als heiliger Nagel vom Kreuz Christi verehrt wird und im 11. Jahrhundert in eine mit Perlen, Edelsteinen und goldenen Filigranbändern kostbar geschmückte Tafel eingefasst wurde. „Ein einzigartiges Kunstwerk“, urteilt Kunsthistorikerin Daniela Krupp, stellvertretende Leiterin des Domschatzes. In der neuesten Ausgabe „Das Münster am Hellweg“, der Jahrespublikation des Münsterbauvereins, hat Krupp eine wissenschaftliche Untersuchung zum Kreuznagelreliquiar veröffentlicht. Das Heft ist für 9,90 Euro im Domschatz zu kaufen.

Einzigartig ist das Kreuznagelreliquiar freilich vor allem als rätselhaftes Goldschmiedewerk und nicht etwa, weil bewiesen werden könnte, dass der Nagel tatsächlich „echt“ wäre. Denn weil der Nagelkopf fehlt, kann der Nagel nicht datiert werden. „Für die Menschen im Mittelalter war der Nagel sehr verehrungswürdig, weil er in ihrer Vorstellung mit dem Blut Christi in Berührung gekommen war“, sagt Krupp, „für uns heute ist es wertvoll und interessant, die religiösen Bedürfnisse der Menschen vergangener Zeiten zu erkennen.“ Heute suche sich der Glaube zwar andere Ausdrucksformen – Zeichen für Schutz und Segen seien aber immer noch gefragt, wie etwa die Plakette des Schutzheiligen Christophorus im Auto oder eine Motorradsegnung vor der Sommer-Saison zeigten.

Angefertigt wurde das Kreuznagelreliquiar im 11. Jahrhundert im Auftrag der Essener Äbtissin Theophanu, einer machtbewussten Frau, die als Angehörige der letzten Generation das Totengedenken ihrer Ottonischen Familie sichern, aber auch die Stellung des Essener Frauenstifts und nicht zuletzt ihre eigenes Gedenken aufwerten wollte. Deshalb stiftete sie neben dem Kreuznagelreliquiar zahlreiche weitere Kunstwerke und Handschriften und ließ die Essener Stiftskirche aufwändig umgestalten. Für Theophanu war es überaus wichtig, sich mit ihrer berühmten Vorgängerin im Äbtissinenamt, Mathilde, gemeinsam darzustellen. Um eine Verbindung zu schaffen, ließ sie vier Email-Ornamente von der Goldenen Madonna, dem zu Mathildes Zeiten entstandenen kostbarsten Schatz am Essener Dom, auf das Kreuznagelreliquiar übertragen.

Das Kreuznagelreliquiar wurde ebenso wie die Vortragekreuze, die heute gemeinsam im selben Raum des Domschatzes ausgestellt sind, mehrmals im Jahr bei Prozessionen mitgeführt und dem Volk gezeigt. Weil die Menschen im 11. Jahrhundert das Bedürfnis entwickelten, Reliquien anzuschauen, wurde das Reliquiar entsprechend gestaltet und der Kreuznagel hinter Bergkristall zur Schau gestellt. „Im Mittelalter wurde die Liturgie oft szenisch dargestellt, damit die Gläubigen, die ja die auf Latein vorgetragenen Lesungen nicht verstehen konnten, dennoch am Geschehen teilnehmen konnten“, erklärt Daniela Krupp. So übernahm das Kreuznagelreliquiar, das bei den Passionsfeiern wie eine Standarte vorweg getragen wurde, die Rolle des „vorausschreitenden Christus“.

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