„Die Lebensgeschichten ernst nehmen“

Scheitern gehört zum Leben dazu - doch wie kann Kirche mit dem Scheitern von Lebensentwürfen umgehen? Darüber diskutierte Bischof Overbeck im Rahmen der Reihe "Dialoge mit dem Bischof".



Dialog über den Umgang mit dem Scheitern von Lebensentwürfen

Scheitern ist menschlich: Im Straßenverkehr, im Beruf, in Beziehungen und letztendlich im Angesicht des Todes sehen sich Menschen immer wieder damit konfrontiert, dass sie ihre Ziele und ihre Ideale nicht erreichen, ihre Intentionen nicht realisieren können. Vor allem um zwei Formen des Scheiterns ging es bei der fünften Veranstaltung in der Reihe „Dialoge mit dem Bischof“, die jetzt im Rahmen des Dialogprozesses „Zukunft auf Katholisch“, in der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim stattfand: Um Priester, die ihr Amt aufgeben, und Ehepaare, die sich scheiden lassen. Dort diskutierten der Moraltheologe Professor Dr. Eberhard Schockenhoff, der Diplompsychologe Thomas Auchter sowie Dr. Franz-Josef Overbeck, Bischof von Essen, darüber, wie Kirche mit „gescheiterten Lebensentwürfen“ umgehen kann. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Michael Schlagheck, dem Leiter der Akademie.

„Scheitern gehört zum Menschsein dazu“, betonte der Psychologe Dr. Thomas Auchter zu Beginn der Veranstaltung. Problematisch sei der Umgang mit dem Scheitern in einer Leistungsgesellschaft, in der das Scheitern einseitig negativ gesehen und personalisiert wird. Scheitern brauche nicht nur einen Rahmen, in dem Menschen so angenommen werden, wie sie sind. Was helfe seien Beziehungen, Normen und Ideale, die Orientierung geben. Es sei jedoch auch notwendig, die Chancen und Herausforderungen des Scheiterns zu sehen.

„Es braucht ein Zeichen der Einladung“

„Es sind nicht nur die anderen, die mit ihren Lebensentwürfen scheitern, sondern auch die Christen“ betonte Professor Dr. Eberhard Schockenhoff und hob das Gespräch so auf die theologische Ebene. Bislang habe sich die christliche Ethik an gelingenden Lebensläufen orientiert. Nun sei es notwendig, dass die Theologie auch das Scheitern in den Blick nehme und somit auf die sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen reagiere. „Kirche geht von dem Prinzip der Versöhnung aus. Sie sollte die Menschen dazu befähigen, sich mit ihren Lebensentwürfen zu versöhnen“, so der Moraltheologe. Es gelte, die Menschen vom Rande der Gesellschaft in die Mitte zu holen und sich dabei an Jesus zu orientieren, der Menschen mit gescheiterten Lebensentwürfen ohne „erhobenem Zeigefinger“ begegnet sei. Jesus habe es geschafft, die Aspekte der „Treue“ und „Versöhnung“ zusammenzubringen. Das müsse Kirche auch gelingen.

Wiederverheiratete Geschiedene vom Sakrament der Kommunion auszuschließen sei nicht der richtige Weg, betonte Professor Schockenhoff. Die Idee des Normenschutzes durch Sanktionen sei vom staatlichen Recht her bekannt, lasse sich jedoch nicht so leicht auf die Beziehungsebene übertragen. „Viele junge Menschen werden von der drohenden Sanktion abgeschreckt. Sie trauen sich nicht mehr zu heiraten“, so der Theologe. Notwendig sei ein deutliches Zeichen dafür, dass es in Kirche auch einen Raum für das Scheitern gebe. Es sei schwierig genug, Trennungskonflikte zu bewältigen. „Was es braucht ist ein Wort der Einladung. Kirche hat viele Formen der einladenden Geste. Haben wir keine Angst davor, sie zu nutzen.“

Kirchliche Lehre und menschliche Lebenspraxis zusammenbringen

„Angesichts veränderter gesellschaftlicher Bedingungen und zunehmend differenzierter Lebensentwürfe ist es notwendig, neue pastorale Antworten zu finden“, betonte Ruhrbischof Overbeck. „Rund die Hälfte der neu geschlossenen Ehen gehen wieder auseinander. Dieses Spannungsverhältnis zur Lehre der Katholischen Kirche müssen wir ernst nehmen“. Es sei dramatisch, dass Erwachsene und Kinder das Ideal der Familie nur gebrochen kennen lernten. Auftrag von Kirche sei es, allen die Chance zu geben, ein positives Verhältnis zu der Institution aufzubauen. Dabei sei es wichtig, das Menschliche nicht aus dem Blick zu verlieren. „Nur dann nehmen die Menschen die Verkündung auch ernst“. 

Im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen gelte es, die konkreten Lebensumstände sorgfältig in den Blick zu nehmen. „Ich kann die Seelsorger nur ermuntern, ein Wegbegleiter zu sein und nicht mit Sanktionen zu drohen. Die Kommunionbank ist keine Richtbank“, so Overbeck. Priorität habe der Dienst am Menschen. „Wir sollten jeden Einzelnen in seiner Würde und mit seiner Lebensgeschichte ernst nehmen. Das gilt für Priester, aber auch für die Gemeinde, die schließlich ihre Mitglieder in der Gemeinschaft trägt“, so der Bischof. Letztendlich müsse jeder Einzelne seine Entscheidungen mit dem eigenen Gewissen vereinbaren.

Geistliches Leben als Identifikationsmerkmal für „katholisch“

Sowohl Schockenhoff als auch Bischof Overbeck forderten Änderungen im kirchlichen Arbeitsrecht: „Die Anforderungen sind zu hoch. Kirche muss akzeptieren, dass nicht jedes Scheitern auch ein Abwenden von Kirche ist“, so der Moraltheologe. Auch nach Ansicht von Bischof Overbeck darf Moralität kein Identifikationsmerkmal für „katholisch“ sein. Der Maßstab sei vielmehr ein „geistliches Leben“. „Wir brauchen einen größeren Spielraum, um kompetente Mitarbeiter zu gewinnen“, betonte der Bischof. Als Beispiel nannte er katholische Einrichtungen im Partnerbistum Hongkong. Dort seien nicht alle Mitarbeiter katholisch und nichtsdestotrotz würden die Einrichtungen als katholisch wahrgenommen. (ms)

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