von Cordula Spangenberg

Das Ruhrgebiet – abgehängte Region oder heimlicher Gewinner?

Über die Chancen der Region diskutierten in der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ drei Experten für Stadtplanung.

Jungen Menschen gute Gründe zu liefern, sich im Ruhrgebiet niederzulassen, ist Aufgabe der drei Gestalter für Stadtentwicklung, die die Katholische Akademie „Die Wolfsburg“ unter dem Titel „Das Ruhrgebiet – Stresstest für die Gerechtigkeitsfrage“ am Montag, 18. September, zum abendlichen Podium eingeladen hatte. Prof. Dr. Rolf G. Heinze forscht an der Ruhr-Universität Bochum zu Wandlungsprozessen im Ruhrgebiet. Prof. Dr. Hans-Peter Noll entwickelt als Geschäftsführer der RAG Montan Immobilien neue Nutzungsmöglichkeiten für alte Industrie-Areale. Der Anwesenheit des Gelsenkirchener Sozialdezernenten Luidger Wolterhoff war es geschuldet, dass Gelsenkirchen in der abendlichen Diskussion häufig als Beispiel für die Strukturprobleme auch anderer Ruhrgebietsstädte genannt wurde.

Die Probleme der Ruhrregion sind zahlreich und langwierig. Stadtentwickler Noll und Regionalforscher Heinze zählten sie auf: Kleinräumige, zergliederte Strukturen, enge Finanzen der Kommunen und ein unterrepräsentierter Mittelstand lähmten die Entwicklung. Mancherorts sähen die Kinder keinen Erwerbstätigen mehr in ihrem Viertel, ganze Straßenzüge seien heruntergekommen, sagte Heinze: „Manche Viertel wachsen, aber mit ihnen wächst die Kriminalität.“

Noll verwies aber auch auf die „Aktivposten“ der Region: Etliche Unternehmen aus dem Montankomplex hätten es geschafft, Arbeitsplätze zu erhalten, indem sie neue, international gefragte Produkte entwickelten - etwa Förderseile, die jetzt nicht mehr im Bergbau Verwendung finden, sondern weltweit im Brückenbau. Auch die Lebensqualität nehme zu: Der im Jahr 1992 begonnene ökologische Umbau der Emscher lasse gerade im Kern des Ruhrgebietes, der Gegend rund um den ehemals verrufenen Köttelbach, eine neue Stadtlandschaft entstehen. „Nicht zuletzt die Universitäten der Region mit 280.000 Studenten, ein ausgezeichnetes kulturelles Angebot und hohes zivilgesellschaftliches Engagement machen das Ruhrgebiet zu einem heimlichen Gewinner“, urteilte Noll.

Den sozial abgehängten Bewohnern dieser ambivalenten Region eine Perspektive zu schaffen, müsse wesentlicher Bestandteil der Stadtplanungen sein, sagte Sozialdezernent Luidger Wolterhoff, der als Vorsitzender des Diözesanrates auch in die Gestaltungsprozesse des Bistums Essen eingebunden ist. Gegenden wie die problematische Bochumer Straße in Gelsenkirchen dürften nicht nur unter Rentabilitäts-Aspekten entwickelt werden: „Überall in der Stadt eröffnen wir Bürgerläden als Anlaufstellen für Menschen in sozialen Schwierigkeiten.“

Wolterhoff berichtete von knapp 14 Prozent Arbeitslosenquote in seiner Stadt – einem „traurigen Spitzenwert“, auch wenn dieser Wert im vergangenen Jahr um ein Prozent gesunken sei. Langzeitarbeitslose seien schwer wieder in Arbeit und damit zu gesellschaftlicher Teilhabe zu bringen, wenn ihre Grundqualifikationen nicht mehr gefragt seien. „Manche werden nicht mehr auf ein Leistungsniveau kommen, dass man vermarkten kann“, sagte Wolterhoff, „deshalb muss man für diese Menschen einen zweiten Arbeitsmarkt schaffen.“ Den Kindern und Jugendlichen sei aus diesem Gefüge nur durch Bildung in Kindergarten und Schule sowie durch Frühförderung vor Ort in den Stadtquartieren herauszuhelfen, sagte Regionalforscher Heinze und kritisierte: „Es ist nicht damit getan, in der Berufsschule zu lernen, wie ich Sozialleistungen beantragen kann.“

Wenn man Menschen vom Ruhrgebiet überzeugen wolle, brauche man außerdem gleichermaßen preiswerten wie auch hochwertigen Wohnraum, sagte Stadtplaner Noll: „Andernfalls suchen Gutverdiener sich ihren Wohnsitz im Münsterland oder dem Bergischen Land und pendeln nur zur Arbeit ins Ruhrgebiet.“

Das A und O im Ballungsraum sei jedoch die Mobilität in Digitalisierung und Verkehr, sagte Noll: „Dass wir für die Reparatur einer kaputten Brücke zehn Jahre brauchen und daran kapitulieren, ist ein Wahnsinn.“

Pressestelle Bistum Essen

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