von Cordula Spangenberg

Business-Pläne und „Mixed Economy“ in der Kirche

Nicht nur um das Warum, sondern vor allem um das Wie des Gemeindegründens ging es unter dem Titel „1 % Inspiration, 99 % Transpiration“ in der Wolfsburg

 Neue Gemeinden gründen, während die Pfarreien rundum an Sparplänen arbeiten: irritierend für Kirchgänger, die sich in ihrer Gemeinde vor Ort engagieren. Tatsächlich kommen aber neun von zehn Kirchensteuerzahlern höchstens an Weihnachten zum Pfarrei-Gottesdienst. Will man ihre Wünsche berücksichtigen, muss man andere Gemeindeformen gründen – so das Resultat eines Akademieabends am Donnerstag, 30. November, in der Mülheimer „Wolfsburg“, an dem es nicht nur um das Warum, sondern vor allem um das Wie des Gründens ging. Florian Sobetzko, Aachener Pastoralreferent und Gründertrainer im Zentrum für angewandte Pastoralforschung (ZAP) an der Bochumer Uni, berichtete unter dem von Akademiedozent Dr.Jens Oboth gewählten Titel „1 % Inspiration, 99 % Transpiration“ darüber, unter welchen Anstrengungen man eine Gemeindegründung strategisch planen sollte, damit sie erfolgreich ist. Nämlich erstens: Einen Business-Plan für die neue „Geschäftsidee“ schreiben. Zweitens: Die Nutzerbedürfnisse, sprich: die Erwartungen der Menschen an ihre Kirche berücksichtigen. Und drittens die Idee und das neue Angebot möglichst effektiv verbreiten. Gemeinsam mit ZAP-Leiter Prof. Matthias Sellmann hat Sobetzko diese Vorgehensweise im 2017 erschienenen „Gründerhandbuch für pastorale Startups und Innovationsprojekte“ zusammengetragen.

Auf eine erfolgreiche Gründung in eigener Sache kann Sobetzko auch verweisen. Im Jahr 2004 hatte er als Jugendseelsorger in Aachen die Jugendkirche „Kafarnaum“ quasi aus dem Nichts gegründet. Man startete mit einer Handvoll junger Leute in einem 29 Quadratmeter kleinen Büroraum, später zog „Kafarnaum“ Reisebusse voller Menschen an. Zur Vorbereitung hatte Sobetzko damals ein Gründerseminar der Industrie- und Handelskammer besucht, dessen Geschäftsmethoden auf die Kirche übertragen und gelernt: „Nicht auf das große Budget warten, sondern anfangen mit dem, was da ist.“

Ein Gründer prüft die Mittel, ein Manager seine Ziele

Seine Erkenntnis „Ein guter Gründer arbeitet mittelorientiert, ein Manager dagegen zielorientiert“ bedeute für die Kirche: Etablierte Pfarreien brauchen einen Pfarrer als guten Manager der gewohnten kirchlichen Abläufe. Der Gründer eines innovativen Projekts hingegen muss quasi ohne Rezept mit dem kochen, was er im Kühlschrank vorfindet. „‘Hot and spicy‘ pikant gewürzt wird das Essen, wenn Leute mit verschiedenen Geschmacksvorlieben gemeinsam kochen“, baut Sobetzko das Bild vom Kühlschrank aus und warnt zugleich: „Wenn die Köche alle denselben Geschmack haben, wird es gutbürgerlich.“

Die „Gründer-Szene“ innerhalb der Kirche legt allerdings auch ein Personalproblem offen: In den deutschen Bistümern laufen viele innovative Projekte als zusätzliche Arbeit der Seelsorgenden quasi in deren Überstunden. Florian Giersch kann davon ein Lied singen. Giersch arbeitet als Pastoralreferent in der Pfarrei St. Cyriakus in Bottrop und ist zugleich mit einem festen Stellenanteil Ansprechpartner für das „Gründerbüro für pastorale Innovationen“ des Bistums Essen. Er sagt: „In meiner Pfarrei habe ich gar keine Zeit für neue Projekte, weil ich mit Firmvorbereitung, Beerdigungen und den anderen Seelsorgeaufgaben voll ausgelastet bin.“

„Mixed Economy“ balanciert zwischen Tradition und Alternativen

Ziehe man deshalb Arbeitszeit der hauptamtlichen Kräfte aus der normalen Pfarreiarbeit zugunsten eines neuen Projektes ab, so analysiert Sobetzko, bringe man das „hochaktive Kernsegment der Pfarrei-Aktiven“ gegen sich auf, deren große Sorge sei: „Dann bricht in der Pfarrei alles weg.“ Derzeit wendeten die Bistümer allerdings 95 Prozent der Ressourcen für fünf Prozent der Kirchensteuerzahler auf. Die Lösung: „Mixed Economy“, ein Nebeneinander von traditionellen und alternativen Gemeindeformen.

„Mixed Economy“ ist das Alltagsgeschäft des Verwaltungschefs im Bistum Essen, Generalvikar Klaus Pfeffer. Einerseits erprobt das Ruhrbistum in 20 Zukunftsbildprojekten neue Zugänge zu fernstehenden Kirchenmitgliedern, die eine Aufbruchsstimmung erzeugen und zum Teil hoch erfolgreich sind wie etwa die stark besuchten Segnungsfeiern für Neugeborene. Andererseits stehen derzeit im Zuge des Pfarreientwicklungsprozesses Dienstleistungen, Kirchengebäude und althergebrachte Strukturen auf dem Prüfstand, und hier erlebt Pfeffer oft große Widerstände gegen jede Innovation – oder aber die Hoffnung der treuen Kirchgänger, dass eine neue Idee die Menschen am Sonntag einfach wieder zurück in den Gottesdienst bringe wie zu Zeiten der flächendeckenden Volkskirche.

„Natürlich brauchen wir unbedingt Menschen, die verbindlich die Nachfolge Jesu leben“, sagt Pfeffer, „aber wenn wir nur diese in der Kirche akzeptieren, verweigern wir sehr vielen Menschen die Möglichkeit, mit dem Christsein überhaupt in Kontakt zu kommen.“ Es sei provokant, aber in Ordnung,wenn man in der Kirche Mitglied bleibe wie im ADAC, also nur für den Ernstfall, so der Generalvikar: „Jesus hat auch nicht jeden in den engsten Jüngerkreis aufgenommen. Für ihn war das okay, wenn jemand nur für den Moment etwas mitgenommen hat und dann wieder gegangen ist.“ (cs)

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