BERÜHRT: Lukas 24,13-35 - Die Begegnung mit dem Auferstandenen auf dem Weg nach Emmaus

"Er kam ihnen nahe ..." - Der Codex aureus von Echternach (ca. 1030): EMMAUS

"Er kam ihnen nahe ..."

Der Codex Aureus von Echternach, um 1030 oder 1045 entstanden, zählt zu den bedeutendsten Werken der mittelalterlichen Buchkunst. Auf 16 Seiten, in dreistreifigen Erzählfolgen, wird ein umfangreiches Bildprogramm entfaltet. Der Mittelstreifen der Seite mit den Ostererzählungen inszeniert in zwei Szenen die Emmausgeschichte.

Weg und Mahl

Schon diese Zweiteilung in ein "Weg-Bild" und ein "Mahl-Bild" erschließt in mehrfacher Weise den Sinn der Geschichte und verdeutlicht ihre Struktur. Sie zeigt die Möglichkeit der Christusbegegnung "draußen" und "drinnen" - im Alltag, auf den "Straßen", im "Unterwegssein" und andererseits im Gottesdienst, in der Feier des Herrenmahls. Der Aufbau der urchristlichen Eucharistiefeier - Wort-Gottesdienst und Mahlritus  - der die Emmausgeschichte geprägt hat, ist deutlich erkennbar: Links im Bildstreifen trägt Jesus eine Buchrolle als Zeichen für die Schrift, die er den Jüngern unterwegs auslegt (Lk 24,27.32); im rechten Bildteil reicht der Auferstandene den Jüngern das Brot. Die Parallelität macht die Identität anschaulich: "Wort" und "Brot" sind zwei Formen der Gegenwart Christi, die auf unterschiedliche Weise seine Nähe und seine Zuwendung zu den Menschen erfahrbar machen.

Die beiden Emmausjünger sind im Bild als "Lucas" und "Cleophas" bezeichnet. Der letztere Name entspricht der Auskunft der Geschichte selbst (vgl. Lk 24,18), den ersten hat die Bildtradition "erfunden", um sich an dem Gedanken zu erfreuen, dass der Evangelist selber "Zeuge" dieser Ostererfahrung sei. Wichtig ist aber, dass beide nicht zum Kreis der "Zwölf" gehören. Es sind "Jedermänner, Identifikationsangebote für "Menschen wie dich und mich". Die Erfahrung der Gegenwart des Auferstandenen ist kein Exklusivangebot für geschlossene Kreise. Dass die beiden für "alle" stehe, sieht man auch daran: der eine ist jung, der andere alt. Solche "Komplementärkontraste" sind Lieblingserfindungen der Bildkunst, sie meinen immer die Gesamtheit.

Distanz und Kontakt

Die Jünger auf dem Weg haben Jesus hier nicht in die Mitte genommen, wie man es sonst öfter in Bildern zum Thema sieht. Der Herr geht in deutlichem Abstand hinter den beiden. Man kann dabei an den Anfang der Geschichte denken, wo Jesus - wörtlich übersetzt - den Jüngern "nahe kam" (die Vulgata schreibt appropinquans). Die sichtbare Distanz kann aber auch grundsätzlich verstanden werden als Ausdruck des Nicht-Erkennens, des "Fremdseins".

Die Gesten der Jünger veranschaulichen insbesondere den wichtigen Moment der Ankunft in Emmaus mit der Einladung an Jesus: "Bleib doch bei uns!" Während die Rechte des Lukas noch für das aufmerksame "Hören" steht, weist die Linke - im Zusammenspiel mit der Rechten des Cleophas - auf die offene Tür von "Emmaus".

Die Einladung ist Voraussetzung für die Gemeinschaft mit Jesus., Deswegen wird dieser Moment der Emmausgeschichte in der Kunst besonders häufig dargestellt. Er mahnt an die Pflicht der Gastfreundschaft, gerade auch gegenüber "Fremden", er ruft aber auch das Wort aus der Geheimen Offenbarung, aus dem Sendschreiben an die Gemeinde von Laodizea, in Erinnerung: "Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten, und wir werden Mahl halten, ich mit ihm und er mit mir." (Offb 3,20)

Deutlicher Kontrast zu der Distanz zwischen den Jüngern und Jesus in dem "Weg-Bild" ist der Kontakt im "Mahlbild". Das Brot stellt die Verbindung her, es zeigt augenscheinlich, dass die Hostien, die die Jünger in den Händen halten, das Brot sind, das Christus ihnen reicht und das er selber ist. Es stiftet Gemeinschaft mit ihm und untereinander. Der Griff des Jüngers nach dem Brot ist erin schönes Bild für den paulinischen Satz: "Ist das Brot, das wir essen, nicht Teilhabe am Leib Christi?" (1 Kor 10,16)

Erkennen und Verschwinden

Die Hand Christi über dem Brot ist sowohl eine Segenshand (entsprechend Lk 24,30) als auch eine Geste, die deutlich auf die Augen der Jünger gerichtet ist, die ihn im Augen-Blick des Brotbrechens erkennen können. Die Hand Jesu unterstreicht, dass die Initiative bei ihm liegt: Er "öffnet ihnen die Augen"; von sich aus können die Menschen den Auferstandenen nicht erkennen. Hier wäre auch auf den Sprachgebrauch des Urtextes aufmerksam zu machen, der in der Einheitsübersetzung leider etwas verwischt wird. Der Schlussvers der Emmausgeschichte (Lk 24,35) lautet wörtlich übersetzt: Die Jünger erzählten den Elf, "wie er ihnen beim Brotbrechen erkannt wurde" oder "wie er sich ... erkennen ließ". Zu deuten wäre schließlich noch das auffällige "Stehen" des Auferstandenen. Der Auferstandene "bleibt nicht", bleibt auf jeden Fall nicht so, wie die Jünger es sich gewünscht haben. "Sie erkannten ihn; dann sahen sie ihn nicht mehr"! (Lk 24,31). Jesus steht, weil er geht. Es ist ein sprachlich wie bildlich schwer zu fassendes Phänomen, dass die Gotteserfahrungen - und die Ostererscheinungen sind solche Epiphanien - durch das Ineinander von Offenbarung und Verhüllung, von Da-Sein und Weg-Sein, von Erkennen und Verschwinden gekennzeichnet sind. Vielleicht ist es sogar zutreffend, von einem "Erkennen im Verschwinden" zu sprechen. Dietmar Mieth schreibt einmal in einem ganz anderen Zusammenhang (Die Kunst zärtlich zu sein. Freiburg 19878, 5. Auflage, S.11): Das entspricht dem alten Erfahrungsgrundsatz, dass Sinn im Entschwinden offenbar und bewusst wird. Sinn wird nicht dann bewusst, wenn das, was wir als sinnvoll empfinden, da ist oder verfügbar ist. Es verhält sich doch vielmehr so: Gerade wenn es uns entzogen ist und unverfügbar scheint, dann erfahren wir dies als Sinn. Das gilt für jede Erfahrung, auch für die religiöse Erfahrung.

(Herbert Fendrich)

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