von Cordula Spangenberg

Alte Menschen wollen die Kirche mitgestalten

Fazit der neunten „Denkbar“-Veranstaltung: Aus der alternden Gesellschaft ist eine Gesellschaft des langen Lebens geworden. Im Marienheim in Essen-Überruhr diskutierten rund 80 meist ältere Menschen über Licht und Schatten des Alters.

Die erste Liebe, der erste Kuss – Erlebnisse, die nie aus der Mode kommen, und ein gutes Beispiel für Lebensthemen, die Alt und Jung verbinden. Generationsübergreifend gemeinsame Ressourcen zu entdecken, ist heute Aufgabe der Seelsorge für alte Menschen. „Denn Angebote ohne Eigenbeteiligung haben die meisten Menschen satt“, sagte Ulrich Feeser-Lichterfeld, Professor für praktische Theologie an der Katholischen Hochschule NRW in Paderborn, bei der neunten „Denkbar“ des Bistums Essen. Die Diskussionsveranstaltung hatte sich das Thema „Zwischen Best Ager und Altenheim“ gesetzt.

Rund 80 Interessierte – die meisten über 60 Jahre alt – waren der Einladung in die Altenpflegeeinrichtung Marienheim in Essen-Überruhr gefolgt. Zur Frage, wann man eigentlich alt sei, hatten die Teilnehmer der „Denkbar“ ebenso wie Straßenpassanten in einem eingespielten Video allerhand eigene Eindrücke beizutragen: Die meisten Befragten fühlten sich auch jenseits der Lebensmitte noch frisch, tatkräftig und im Leben stehend. Wenn jedoch der Körper und das Erinnerungsvermögen schwächeln; wenn man in Fragen der Technik nicht mehr auf dem Laufenden ist; wenn andere einem im Bus ihren Platz anbieten, dann fühle man sich alt. Allerdings sei das Altern nicht nur am Defizit festzumachen: Mit 30 Jahren sei man auch schon zu alt für manche Jugendgruppen, und Vorteile bringe das fortschreitende Alter übrigens auch: Keinen Stress in der Schule und keinen ersten Liebeskummer mehr, hieß es im Plenum.

Feeser-Lichterfeld nannte die Verlangsamung und Verlängerung des Alters eine typische Erscheinung der Gegenwart: „Aus der alternden Gesellschaft ist eine Gesellschaft des langen Lebens geworden.“ Angesichts dessen müssten die Pfarrgemeinden sich fragen, ob sie Orte seien, an denen man gern alt werden wolle. Nicht nur die „Best Ager“, auch die Hochaltrigen wollten nicht einfach versorgt werden, sondern mit ihren eigenen Kompetenzen Gehör finden: „Man kann alte Menschen auch als Propheten sehen, die uns etwas zu sagen haben über ein Leben, das nicht immer reibungslos verläuft“, so Feeser-Lichterfeld.

Ein beispielhafter Ansatz dafür auf kommunaler Ebene stammt aus der Zeit der Strukturkrise des Jahres 1979 im Ruhrgebiet: Für die frühverrenteten Bergleute und Stahlkocher wurden die ZWAR-Netzwerke („Zwischen Arbeit und Ruhestand“) gegründet mit dem Ziel, Kontakte in der Nachbarschaft aufzubauen und in Eigenregie die Freizeit sinnvoll zu gestalten. Die Netzwerke sind basisdemokratisch organisiert, es gibt weder eine Leitung noch Mitgliedsbeiträge. Heute gibt es in rund 70 NRW-Städten solche Netzwerke, 16 davon allein in Gelsenkirchen (www.zwar.org).

Die Idee hinter ZWAR, Beziehungen neu aufzubauen und zu pflegen, liegt auch der heutigen Senioren-Pastoral der Kirche zugrunde. Das gilt ebenso für hochaltrige Menschen, die nicht nur Zuwendung empfangen, sondern auch etwas zurückgeben. „Das ist auch für mich persönlich immer eine wertvolle Erfahrung“, sagt Ursula Besse-Baumgarten, Referentin für Altenheimseelsorge im Bistum Essen. Um Altenheimbewohner mit ihren religiösen Bedürfnissen nicht allein zu lassen, wurde von Ruhrbistum und Caritas eine „Pastorale Zusatzqualifikation in der Alten- und Behindertenhilfe“ für Mitarbeiter in Pflege und Sozialem Dienst entwickelt, die Grundkenntnisse der christlichen Seelsorge vermittelt. Im kommenden Jahr soll eine ähnliche Fortbildung auch für ehrenamtliche Mitarbeitende in den Altenpflege-Einrichtungen aufgelegt werden.

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