Ältestes Zeugnis musikalischer Mehrstimmigkeit

Fragmente einer Abschrift der "Musica Enchiriadis", des ältesten Zeugnisses der Mehrstimmigkeit im christlichen Abendland, zeigt jetzt die Essener Domschatzkammer im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres Ruhr.2010.

Bischof Overbeck eröffnete Essener Ausstellung "Musica Enchiriadis"

In der Essener Domschatzkammer ist am Dienstagabend die Ausstellung "Musica Enchiriadis" zum Kulturhauptstadtjahr Ruhr.2010 eröffnet worden. Im Mittelpunkt steht eine Handschrift gleichen Namens, die nach Ansicht des Wiener Musikwissenschaftlers Professor Dr. Dieter Torkewitz „mit allergrößter Wahrscheinlichkeit bis nahezu Gewissheit“ um 900 in der Benediktinerabtei Werden entstand und die als ältestes Zeugnis mehrstimmiger Musik im christlichen Abendland gilt, wie die Ausstellungsmacher erläuterten.

Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck würdigte die Handschrift als Zeichen dafür, "welch große spirituelle und künstlerische Stellung die Abtei Werden schon im frühen Mittelalter innehatte". An Werden und dem Essener Dom werde deutlich, dass Kirche, Kultur und Kunst im Ruhrgebiet seit Jahrhunderten eine Einheit bildeten. Ausdrücklich dankte Bischof Overbeck dem Initiator der Ausstellung und des gesamten Projektes „!SING musica enchiriadis“ Dr. Michael Schlagheck: „Ohne Sie wäre die herausragende Position im Programm der Kulturhauptstadt nicht denkbar.“

Die Schau in der Domschatzkammer neben dem Dom ist bis 30. Juni zu sehen. Gezeigt werden vier erhaltene Seiten des sogenannten Düsseldorfer Fragments aus der Landes- und Universitätsbibliothek der Landeshauptstadt. Dabei handelt es sich um Teile einer unvollständigen Abschrift des verschollenen Originals, wie die Sprecherin der Domschatzkammer, Dr. Ina Germes-Dohmen, erläuterte.

Daneben wird die "Bamberger Handschrift" ausgestellt, die etwa 100 Jahre später von der Düsseldorfer Handschrift abgeschrieben worden ist. Sie ist vollständig erhalten. Der Bistumsbeauftragte für die Kulturhauptstadt Ruhr.2010 und Initiator der Schau, Michael Schlagheck, sprach von einer "historischen Ausstellungssensation".

Die Ausstellung ist Teil des Kulturhauptstadt-Projekts "!SING musica enchiriadis". Dazu gehören auch sechs Konzerte im Essener Dom, in der Werdener Basilika St. Ludgerus und in der Philharmonie Essen, die die Entwicklung der geistlichen Musik bis in die Gegenwart nachzeichnen. Interdisziplinäre Tagungen der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim begleiten die Konzerte und Ausstellungen aus den Perspektiven der Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Mittelalters, der Kirchengeschichte, der Theologie, Musikwissenschaft und Psychologie.


Erstmals ein Notationssystem

Das Besondere an der "musica et scolica enchiriadis" sind nach Angaben der Ausstellungsmacher die "Dasia"-Zeichen. Diese ältesten Zeugnisse einer Notation mit insgesamt 18 Zeichen legten erstmals die Schritte der Töne untereinander fest. Zuvor hat es nur Anweisungen für einen nach oben oder unten laufenden Melodiefluss oder eine mündliche Überlieferung für Singtraditionen gegeben. Dies führte Professor Torkewitz in seinem Vortrag ausführlich vor Augen, unterstützt von musikalischen Beispielen, vorgetragen von Rebecca Schäfer und Inga Behrend.   

Weiteres Ausstellungsstück ist der "Liber ordinarius", ein aus dem 14. Jahrhundert stammendes Regelbuch aus der Essener Münsterkirche. In ihm sind unter anderem die bereits in Mehrstimmigkeit gestalteten "Geistlichen Spiele" wie das "Essener Osterspiel" festgehalten. Darüber hinaus bieten Texttafeln und ein Touchscreen historische und musikalische Hintergründe sowie Hörbeispiele.

An der Eröffnung nahmen auch Dompropst Otmar Vieth, der Künstlerische Direktor Stadt der Künste Ruhr.2010 und Dirigent, Steven Sloane, Professor Dr. Stefan Klöckner, Prorektor der Folkwang Universität, die Leiterin der Domschatzkammer, Dr. Birgitta Falk, undder Intendant der Philharmonie Essen, Dr. Johannes Bultmann, teil. Für Letzteren ist dieses Projekt „das Gänsehaut-Projekt“ im Kulturhauptstadtjahr schlechthin. Es sei an Einmaligkeit nicht zu übertreffen. (KNA/do)

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